Titel: | Ueber die Verwandlung der Holzfaser in Gummi und zuckerartige Substanz. |
Autor: | Prof. Dr. August Vogel [GND] |
Fundstelle: | Band 1, Jahrgang 1820, Nr. XXIX., S. 335 |
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XXIX.
Ueber die Verwandlung der Holzfaser in Gummi und zuckerartige Substanz.
Auszug aus einer Vorlesung, gehalten in der mathem. physikal. Klasse der Koͤnigl. Akademie der Wissenschaften in MuͤnchenKunst- und Gewerb-Blatt Nro. II. 1820..
Vom Dr. A. Vogel.
Mit einem Zusaz vom Herausgeber.
Vogel über die Verwandlung der Holzfaser in Gummi und zuckerartige Substanz.
Es ist wiederum auf dem Wege des Experiments eine sehr
interessante Entdeckung gemacht worden, welche einen neuen Beweis liefert, daß sich
in der Chemie nur durch Versuche erwuͤnschte Fortschritte hoffen lassen, eine
Entdeckung, welche auf dem Wege der Speculation und der Theorie von den
scharfsinnigsten Denkern schwerlich gemacht worden waͤre.
Die in Rede stehenden Resultate geben aber zugleich einen Beleg, daß man in den
physikalischen Wissenschaften ein angekuͤndigtes Faktum, und wenn es auch mit
den bekannten Wahrheiten in Widerspruch zu stehen scheint, nicht unbedingt zu
verwerfen berechtigt sey.
Die Wirkung der concentrirten Schwefelsaͤure auf Holz und auf organische
Stoffe uͤberhaupt, wurde fuͤr so einfach gehalten, und der Gegenstand
schien durch die Bemuͤhungen der Herren Fourcroy und Vauquelin, Hatchet, Link
u.s.w. so sehr erschoͤpft zu seyn, daß die von den eben genannten Chemikern
aufgestellten Thatsachen als unbezweifelt angenommen wurden.
Man war naͤmlich im Allgemeinen dahin uͤbereingekommen, daß sich die
organischen Substanzen, welche durch Schwefelsaͤure behandelt werden, in
Kohle und Wasser zerlegen, und daß die dabei entstandene Waͤrme von der
Verbindung des eben erzeugten Wassers mit der Schwefelsaͤure
herruͤhre.
Neue Versuche haben gezeigt, daß dieser Gegenstand aus einem andern Gesichtspunkte zu
betrachten ist, und haben uns uͤber die Sache besser belehrt.
Herr Braconnot in NancyVergl. vorstehende Abhandlung., der das Einwirken der beiden angefuͤhrten Koͤrper mit einer
unbedeutenden Modifikation wiederholte, machte dabei die uͤberraschende
Beobachtung, daß das Holz durch die Schwefelsaͤure in Zucker und Gummi
umgewandelt werden kann.
Da das aus den Saͤgespaͤnen erhaltene Gummi etwas braun gefaͤrbt
erscheint, indem es mit Schwierigkeiten verknuͤpft ist, ihnen allen
Faͤrbestoff zu entziehen, und sie auf den gehoͤrigen Zustand der
Reinheit zu fuͤhren, so bediente sich Herr Braconnot der reinsten Holzfaser, d.h., der
Leinwand aus Hanf und Flachs.
Ich wiederholte die eben angegebenen Versuche mit einigen Abaͤnderungen auf
folgende Weise:
Weißes Linnenzeug wurde fein geschnitten, mit sehr verduͤnnter Kalilauge
ausgekocht, und so lange mit heißem Wasser behandelt, bis es dem Wasser gar nichts
mehr mittheilte.
Das auf die angegebene Art zertheilte, gereinigte und scharf ausgetrocknete
Linnenzeug wurde, auf 32 Loth desselben, mit 43 Loth concentrirter
Schwefelsaͤure von einem specifischen Gewichte von 1,800, unter
bestaͤndigem Umruͤhren, benezt. Wenn die Masse erkaltet war, wurde
wieder eine neue Quantitaͤt Schwefelsaͤure hinzugesezt. Nach Verlauf
von 3 Stunden war alle Saͤure hinzugekommenWendet man eine Schwefelsaͤure von 1,850 an, so wird das Linnenzeug
schwarz, man erhaͤlt eine geringere, Quantitaͤt Gummi, und das
Gummi ist außerdem sehr braun gefaͤrbt. Laͤßt mam das Gemeng
fest zusammengestampft, so mißlingt sogar die Operation, und das Linnen wird
gaͤnzlich verkohlt. Um die im Handel vorkommende concentrirte
englische Schwefelsaͤure fuͤr diese Operation tauglich zu
machen, muß man 1 Pfund derselben mit 3, hoͤchstens 4 Loth Wassers
vermengen, wodurch sie auf ein specifisches Gewicht von 1,800 herunter
gesezt wird..
So ließ ich das mit Schwefelsaͤure angefeuchtete Linnen 2 Tage stehen. Die
Masse nahm immer mehr und mehr an Volumen ab, wurde sehr klebrig und zulezt etwas
fluͤssig, ohne jedoch eine schwarze Farbe anzunehmen.
Sie wurde nun mit 3 Maaß kochenden Wassers uͤbergossen, wodurch sich alles bis
auf wenige unangegriffene Fasern des Leinenzeuges aufloͤste.
Nachdem die Aufloͤsung mit angefeuchteter Kreide gesaͤttigt und mit 2 Maaß kochenden Wassers
verduͤnnt war, wurde sie durch ein Tuch filtrirt, und der Ruͤckstand
mit Huͤlfe der Presse ausgepreßt.
Die vereinigten Fluͤssigkeiten, in einer flachen Porzellan-Schaale
verdampft und nach dem Erkalten noch einmal klar abgegossen, um den Gyps, der sich
niedergelegt hatte, davon zu trennen, wurden im Sandbade langsam bis zur Trockne
abgeraucht.
Es blieb eine gelbliche durchsichtige sehr klebrige Materie zuruͤck, welche
sich in wenig Wasser aufloͤste, und ihm eine schleimigte Consistenz gab. Der
Weingeist schlug sie aus dem Wasser in weißen Flocken nieder; sie verhielt sich im
Wesentlichen wie das Gummi arabicum.
Hundert Theile des eben erwaͤhnten Gummi's ließ ich mit 300 Theilen Wasser,
welches mit 4 Theilen concentrirter Schwefelsaͤure vermengt war,
waͤhrend 5 Stunden in einem Kolben kochen, wobei sich eine Quantitaͤt
Gyps erzeugte, welcher von dem im Gummi befindlichen Kalksalze herruͤhrt.
Alsdann wurde die freie Saͤure durch Kreide abgestumpft, und die filtrirte
Fluͤssigkeit langsam abgeraucht. Ich erhielt eine suͤße Substanz,
welche in undurchsichtigen Koͤrnern kristallisirte. Sie hat freilich nicht
die Suͤßigkeit des Rohrzuckers, giebt aber doch dem Staͤrke-
und Traubenzucker nichts nach.
Das Papier von Manuscripten, alten gedruckten Buͤchern und Baumwolle auf eben
diese Weise behandelt, lieferte mir die naͤmlichen Resultate. Auch das Stroh
verwandelte sich zum Theil in Gummi, was aber eine schwarzbraune Farbe hatte.
Die Spaͤhne von Birkenholz lieferten mir auch ein Gummi, es war aber nicht so
rein, als das aus abgenuzten Linnenzeug und aus Papier.
Das geraspelte Korkholz mit Schwefelsaͤure behandelt, geht gar nicht in Gummi
uͤber, und hierdurch unterscheidet sich der Kork, seine uͤbrigen
Merkmale abgerechnet, noch ganz eigenthuͤmlich von der Holzsubstanz.
Bei jedem Unbefangenen muß es ein lebhaftes Interesse erwecken, daß es ein
unaufloͤslicher geschmackloser Stoff, die Holzfaser, vermoͤge
chemischer Reaction in zwei Koͤrper verwandelt werden kann, und daß der
Chemie hier eine Kraft auszuuͤben verliehen wird, welche bisher nur der Natur
und der Vegetation insbesondere, vorbehalten war; denn die kuͤnstliche
Bildung des Zuckers und des Gummi's muß ja nicht mit der Extraction der beiden
Substanzen aus organischen Stoffen, in denen sie schon vorhanden waren, verwechselt
werden, welches eine seit undenklichen Zeiten wohl bekannte Kunst ist.
So erfreulich nun auch die Resultate des Herrn Braconnot fuͤr alle diejenigen
seyn muͤssen, welche an den Fortschritten eines jeden Zweiges der
Wissenschaft den geeigneten Antheil nehmen, so wird zugleich auch der Fabrikant, der
Kaufmann und vielleicht mancher Laie in dem Gebiete des physikalischen Wissens, die
in solchen Faͤllen nur allzu gewoͤhnliche Frage aufwerfen, was nun
durch diese Entdeckung das praktische Leben gewinne, und ob Gummi und Zucker dadurch
wohlfeiler werden koͤnnen.
Es laͤßt sich auf dies Lezte nicht sogleich eine bejahende Antwort ertheilen,
vorzuͤglich in Hinsicht des Zuckers; was aber das so gewonnene Gummi
betrifft, so ist es sehr wahrscheinlich, daß es ins Leben eingefuͤhrt, und
ein Gegenstand werden kann, welcher die Aufmerksamkeit der Fabrikanten auf sich
ziehen wird. Denn alle fasrigen Koͤrper, als Werg von Hanf und Flachs,
Lumpen, altes Papier, das Holz selbst u.s.w. werden durch bloße Beruͤhrung
mit Schwefelsaͤure alsbald in Gummi verwandelt, und sobald die vorwaltende
Saͤure durch
Kreide abgestumpft ist, kann man sich der Fluͤssigkeit als Aufloͤsung
von Schleim oder Gummi bedienen.
Zusaz des Herausgebers.
Herr Hofrath Vogel hat sich durch die mitgetheilte Pruͤfung der von Braconnot
gemachten Entdeckung, Holzfaser in Gummi und zuckerartige Substanz zu verwandeln,
den Dank aller derer erworben, welche diese Entdeckung interessirt. Moͤchte
es diesem erfahrenen Chemiker doch gefallen, auch andere auslaͤndische
chemische Entdeckungen, welche den vaterlaͤndischen Fabriken und Gewerben
Vortheile versprechen, einer so sorgfaͤltigen und gruͤndlichen
Pruͤfung zu unterwerfen; da nur solche zuverlaͤßige, mit neuen
gepriesenen Entdeckungen angestellte Untersuchungen dem Polytechniker nuzbringend
seyn koͤnnen. Welche bedeutende Summen Geldes, und wie manche edle Stunde
Zeit wuͤrden von den Dilettanten der Chemie erspart werden, wenn die
Nichtigkeit dieser und jener Erfindung hinlaͤnglich bewiesen waͤre;
und mit welcher Sicherheit kann sich im Falle der Bewaͤhrung der
Polytechniker in ein Unternehmen einlassen, dessen Gelingen ein zuverlaͤßiger
Chemiker, wie unser Freund Herr Dr. Vogel ist, durch
Versuche entschieden hat.
Die Resultate, welche sich aus meinen, jezt vorgenommenen Versuchen im Großen, die
Braconnotische Entdeckung betreffend, ergeben, so wie die Anwendung der auf diesem
Wege erzeugten Produkte in Fabriken und Gewerben, werde ich naͤchstens in
diesem Journal mittheilen. Es wird sich dann zeigen, welche Vortheile sich die
vaterlaͤndische Industrie von dieser, in jeder Hinsicht sehr interessanten
Entdeckung versprechen duͤrfe.