Titel: | Ueber den Thee und das Theïn, den Kaffee und das Caffeïn. |
Fundstelle: | Band 95, Jahrgang 1845, Nr. XII., S. 25 |
Download: | XML |
XII.
Ueber den Thee und das Theïn, den Kaffee
und das Caffeïn.
Aus dem naͤchstens erscheinenden Supplement
zu Dr. Ure's Dictionary o. Arts, Manufactures and Mines
durch das London Journal
of arts, Novbrf 1844, S. 287.
Ueber den Thee und das Theïn, den Kaffee und das
Caffeïn.
Der Thee hat in der neuesten Zeit, sowohl in chemischer als in physiologischer
Hinsicht, die Aufmerksamkeit der Gelehrten mehrfältig auf sich gezogen. In ihrer
Zusammensezung nähert sich diese bekannte Pflanze durch ihren Stikstoffgehalt den
animalischen Substanzen und scheint deßhalb nach Liebig
im Stande zu seyn, auf einige thierische Functionen, namentlich auf die
Gallensecretion, eine besondere Wirkung zu üben. Der charakteristische chemische
Bestandtheil des Thees, des Kaffees und der Cacaobohne ist ein und derselbe, und
wird aus irgend einer dieser Substanzen gewonnen und in gleich reinem Zustand
dargestellt, ohne Unterschied entweder Theïn oder Caffeïn benannt. Mulder bereitet das Theïn aus dem Thee durch
Behandlung des abgedampften Extracts mit heißem Wasser, geglühter Magnesia,
Filtriren der Mischung, Abdampfen der durchlaufenden Flüssigkeit bis zur Trokne und
Digeriren des Rükstands mit Aether. Wird leztere Auflösung destillirt, so geht der
Aether über und das Theïn bleibt in der Retorte zurük. Auf dieselbe Weise
wird dieser Stoff aus gemahlenem rohen Kaffee, und dem Guarana, einem von den Brasilianern hochgeschäzten Präparate aus den
Früchten (seeds) der Paullinie (Paullinia sorbilis) gewonnen. Das
Theïn krystallisirt in reinem Zustand in feinen weißen, seidenglänzenden
Nadeln, welche bei der Temperatur des siedenden Wassers 8 Procent an ihrem Gewicht
verlieren, was ihren zwei Atomen Krystallisationswasser entspricht. Diese Nadeln
schmeken bitter, schmelzen bei 350° F. (141° R.) und sublimiren sich
bei 543° F. (227° R.). Bei 250° F. (97° R.) getroknet,
lösen sich diese Krystalle in 98 Theilen kalten Wassers, 97 Theilen Alkohol und 194
Theilen Aether auf. In ihrem gewöhnlichen Zustand sind sie in diesen Flüssigkeiten
nur um weniges auflöslicher. Das Theïn ist eine schwache Basis und wird nur
vom Gerbestoff aus seinen Auflösungen gefällt.
Stenhouse bereitet das Theïn durch Fällung eines
Theeabfuds mittelst essigsaurer Bleilösung, Abdampfen der filtrirten Flüssigkeit zu
einem trokenen Extract und Sublimiren dieses Extracts in einer flachen eisernen
Schale, deren Mündung mit porösem Papier bedekt wird, welches man ringsherum am
Rande anklebt und das dem Dampf als Filter dient; über dasselbe kömmt eine Kappe von
festem Papier, worin sich die Krystalle ansammeln. Stenhouse erhielt auf diese Weise aus 100 Theilen Thee im Maximum nur 1,37
Theïn. Peligot aber schloß aus der Quantität
Stikstoff, welche er in den Theeblättern fand und die gegen 6 Procent beträgt, daß
mehr Theïn in denselben enthalten seyn müsse, als bisher daraus erhalten
wurde, und befolgte daher folgendes verbessertes Verfahren, um es daraus zu
gewinnen: – dem noch heißen Theeaufguß wurde basisch essig saures Blei und
dann Ammoniak zugesezt; durch die filtrirte Flüssigkeit ließ man einen Strom
Schwefelwasserstoff streichen, um alles Blei niederzuschlagen; die klare
Flüssigkeit, bei mäßiger Wärme abgedampft, gab beim Abkühlen eine reichliche Menge
Krystalle. Beim nochmaligen Abdampfen der Mutterlauge wurden noch mehr Krystalle
erhalten, welche alle zusammen 5 bis 6 Procent vom Thee betrugen.
Die Zusammensezung des Theïns kann durch die chemische Formel C⁸H⁵N²O²
ausgedrükt werden; wonach es nicht weniger als 29 Procent Stikstoff enthält.
Peligot fand im Durchschnitt in 100 Theilen
In kochendem Wasser auflösliche Theile.
getrokneter schwarzer Theesorten
43,2
–
grünen –
47,1
der käuflichen schwarzen
–
38,4
–
grünen
–
43,4
Der Thee hat nach Mulder's Analyse eine sehr complicirte
Zusammensezung; 100 Theile desselben enthalten:
(grüner)
(schwarzer)
ätherisches Oehl (welchem er sein Aroma
verdankt)
0,79
0,60
Chlorophyll (Blattgrün)
2,22
1,84
Wachs
0,28
Harz
2,22
3,64
Gummi
8,56
7,28
Gerbestoff
17,80
12,88
Theïn
0,43Dieser
Bestandtheil ist offenbar viel zu gering
angegeben.
0,46
Extractivstoff
22,80
19,88
deßgleichen dunkel gefärbter
–
1,48
(grüner)
(schwarzer)
dunklen Farbstoff, durch Salzsäure
ausziehbar
23,60
19,12
Albumin
3,00
2,80
Faser
17,08
28,32
Asche
5,56
5,24
Da das Verhältniß des Stikstoffs im Theïn und Caffeïn viel größer ist
als in irgend einer animalischen Verbindung, mit Ausnahme des Harnstoffs und der
Harnsäure, und so viele verschiedene Nationen gleichsam instinctmäßig auf den
ausgedehnten Gebrauch des Thees, Kaffees und der Chocolade oder des Cacao's geführt
wurden, als auf nährende und belebende Getränke, welche sonst in keiner Eigenschaft
sich gleichen, als durch den Gehalt eines und desselben eigenthümlichen chemischen
Bestandtheils, so müssen wir daraus schließen, daß die Zusammensezung dieser
Pflanzenproducte kein zufälliges Launenspiel der Natur ist, sondern von der
Vorsehung so angeordnet wurde, um für die Menschheit wohlthätig zu wirken. Die
Medicin, diese auf Muthmaßungen beruhende Kunst, welche nur zu oft von Leuten
ausgeübt wird, die in den Naturwissenschaften bloß oberflächlich gebildet und
Sklaven oder Aufsteller grundloser Hypothesen sind, sprach über den Thee und Kaffee
im Allgemeinen den Bann aus, welcher bei der Menge dieselbe Unfehlbarkeit besizt,
wie in früheren Zeiten der Bann des Papsts, und verpönte den Gebrauch derselben, als
veranlasse er eine Menge nervöser und anderer nosologischer Krankheiten. Die Chemie aber, welche mit ihrer
unauslöschbaren Leuchte in die dunkelsten Gebiete der Natur vordringt, hat nun das
Geheimniß entschleiert und jene elementaren Umbildungen bei den organischen
Functionen des menschlichen Körpers dargelegt, zu welchen der Thee und Kaffee sehr
heilsam und kräftig beitragen.
Liebig kam bei seinen bewunderungswürdigen Untersuchungen
in dem Bereiche des ganzen Lebens zu dem Schluß, daß die Galle eines der aus der
Zersezung der animalischen Gewebe herrührenden Producte ist und daß unsere
thierischen Nahrungsmittel vermöge des bei der Respiration den Lungen so reichlich
zugeführten Sauerstoffs in Galle und Harnstoff, den charakteristischen Bestandtheil
des Harns, aufgelöst werden können.
Wenn die Consumtion des Zellgewebes beim Menschen gering ist, wie dieß bei Leuten von
unserer künstlich verfeinerten Lebensweise der Fall ist, die wenig Bewegung haben,
bei welchen folglich auch die Verdauung, Assimilirung und Zersezung langsam vor sich
geht, muß der häufige Gebrauch an stikstoffhaltigen Verbindungen reicher Substanzen,
die dem Hauptbestandtheil der Galle sehr nahe verwandt sind, die Erzeugung dieser für
die gesunde Thätigkeit der Eingeweide und andern Organe so wichtigen Secretion
kräftig unterstüzen. Liebig hat es vollkommen bewiesen,
daß die Galle keine excrementöse Flüssigkeit ist, die als ein dem System nur
schädlicher Inwohner ausgeschieden werden muß; sondern daß sie, nachdem sie
secernirt ist, zu mehreren wichtigen Verrichtungen in der thierischen Oekonomie
dient, die vorzüglich den Respirationsproceß befördern.
Ich beschließe diese Bemerkungen, indem ich die Beziehung zwischen dem Theïn und dem thierischen Product, Taurin, dem charakteristischen Bestandtheil der Galle,
darlege.
1 Atom Theïn = C⁸N²H⁵O²9 Atome Wasser =
H⁹O⁹9 Atome
Sauerstoff = O⁹
2 Atome Taurin= C⁸N²H¹⁴O²⁰.
Eine sehr geringe Menge Theïn ist im Stande, der Galle allen Stikstoff zur
Bildung ihres krystallinischen Hauptbestandtheils, des Taurins zu liefern.
Es muß jedoch hier bemerkt werden, daß der Thee und Kaffee, wenn sie auch in der
Hauptsache übereinstimmen, in anderen Beziehungen doch wieder von einander abweichen
und zwar vorzüglich durch die große Menge Gerbestoffs in dem erstern und sein
Nichtvorhandenseyn, meinen Versuchen zufolge, in dem leztern, wenn gleich viele
chemische Werke ihn als auch in diesem vorhanden angeben. Aus diesem Grund kann der
Thee auf Personen von Kretenser Gewohnheiten (faule Bäuche)Epistel Pauli an Titum Capitel I. V. 12. nachtheilig wirken; während der Kaffee nicht verstopfend wirkt, wenn er
gleich bei gewissen Zuständen sehr aufregen und erhizen kann.
Hr. Staite, welcher sich ein Patent auf ein sehr zu
empfehlendes concentrirtes Thee- und Kaffee-Präparat ertheilen ließ,
sagt in einem Schriftchen: die Quantität Thee, welche in China wächst und consumirt
wird, kann man nicht angeben; die Theeconsumtion in Europa und Amerika aber läßt
sich folgendermaßen annehmen:
Rußland
6,500,000 Pfd.
Vereinigte Staaten in Amerika
8,000,000 –
Frankreich
2,000,000 –
Holland
2,800,000 –
übrige Länder
2,000,000 –
Großbritannien
50,000,000 –
–––––––––––––
71,300,000 Pfd. oder 31,830 Tonnen.
Die Anzahl der Theehändler belief sich im Jahr 1839 in England auf 82,794, in
Schottland auf 13,611 und in Irland auf 12,744; zusammen auf 109,149. Durch die Zunahme der
Bevölkerung ist ihre Anzahl gegenwärtig zu mehr als 120,000 anzunehmen.
Oben angeführte Bemerkungen Liebig's geben eine
befriedigende Erklärung der großen Vorliebe der Armen (in England) für den Thee
überhaupt, und besonders für die besseren und kostbareren Sorten desselben.
„Unerforschlich, sagt er, wird es immer bleiben, wie die Menschen auf
den Genuß eines heißen Aufgusses von Blättern gewisser Stauden (des Thees) oder
der Abkochung gerösteter Samen (des Kaffees) gekommen sind; es muß eine Ursache
geben, welche erklärt, daß er ganzen Nationen zu einem Lebensbedürfniß geworden
ist. Noch weit merkwürdiger ist es gewiß, daß die wohlthätigen Wirkungen auf die
Gesundheit, bei beiden Pflanzenstoffen, einer und derselben Materie (dem
Theïn oder Caffeïn) zugeschrieben werden müssen, deren
Vorhandenseyn in zwei Pflanzen, welche verschiedenen Pflanzenfamilien und
Welttheilen angehören, die kühnste Phantasie nicht voraussezen konnte. Und doch
haben neuere Untersuchungen außer allen Zweifel gesezt, daß Theïn und Caffeïn in jeder Hinsicht identisch sind. Es lassen sich, sagt
der Verfasser weiter unten, die stikstoffhaltigen, durch ihre Wirkung auf das
Gehirn und die Substanz der Bewegungsapparate so merkwürdigen Pflanzenstoffe als
Nahrungsstoffe für die unbekannten Organe betrachten, welche zur Metamorphose
der Blutbestandtheile in Gehirn- und Nervensubstanz bestimmt sind, und so
die Willenskraft der Bewegung und das Denkvermögen immer neu
beleben.“ Eine solche Entdekung gibt dem Thee und Kaffee in
physiologischer und medicinischer Hinsicht ein großes Interesse.
In einer Sizung der Pariser Akademie las Peligot vor
Kurzem eine Abhandlung über die chemische Zusammensezung des Thees. Er zeigte, daß
der Thee wichtige Nahrungsstoffe enthalte, welche seine reizenden Eigenschaften bei
weitem übertreffen und in jeder Hinsicht einer der wünschenswerthesten Artikel für
den allgemeinen Gebrauch sey. Einer seiner Versuche über die Ernährungsfähigkeit des
Thees im Vergleich mit derjenigen der Suppe, fiel entschieden zu Gunsten des erstern
aus.
Der Kaffee wächst in Brasilien, Cuba, Hayti, Java, Brittisch-Westindien,
holländisch Guiana, in den südamerikanischen Staaten, den
französisch-westindischen Colonien, Portorico, Sumatra, Ceylon, Bourbon,
Manilla und Mokka. Brasilien erzeugt die größte Menge 72,000,000 Pfd.: und die
andern Staaten und Colonien, der Ordnung entsprechend in welcher sie hier aufgezählt
sind, bis herunter zu
Mokka, welches am wenigsten, nämlich 1,000,000 Pfd. producirt; im Ganzen beträgt
dieß 346,000,000 Pfd., so daß sich die enorme Consumtion von wöchentlich 2900 Tonnen
oder 150,800 Tonnen per Jahr herausstellt.
Nach officiellen Berichten betrugen die in einem Jahr von den verschiedenen
Productionspläzen ausgeführten Quantitäten Kaffee 154,550 Tonnen, und zwar gingen
nach:
Frankreich
29,650 Tonnen.
Vereinigte Staaten von Nordamerika
46,070 –
Trieft
9,000 –
Hamburg
20,620 –
Antwerpen
10,000 –
Amsterdam
8,530 –
Bremen
4,500 –
St. Petersburg
2,000 –
Norwegen und Schweden
1,470 –
Dänemark
1,400 –
Spanien
1,000 –
Preußen
930 –
Neapel und Sicilien
640 –
Venedig
320 –
Fiume
170 –
Großbritannien (Durchschnitt v. 10
J.)
18,250 –
––––––––––––––
154,550 Tonnen.
Jeder denkende Mensch muß zugeben, daß Artikel von so großer Consumtion wie Thee und
Kaffee, die das Hauptgetränk einer ganzen Nation bilden, auf das Wohl des Volks von
sehr großem Einfluß seyn müssen und daß jede Entdekung, welche zur Reinigung dieser
Getränke beiträgt und sie gesünder macht, ohne daß sie dadurch an ihrer
Annehmlichkeit verlieren, eine der Gesellschaft erzeigte Wohlthat ist.