Titel: | Brunnenvergiftung durch Einwirkung schädlicher Gasarten auf atmosphärisches Wasser; von Dr. Th. Clemens aus Frankfurt a. M. |
Autor: | Th. Clemens |
Fundstelle: | Band 111, Jahrgang 1849, Nr. XXXVI., S. 192 |
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XXXVI.
Brunnenvergiftung durch Einwirkung schädlicher
Gasarten auf atmosphärisches Wasser; von Dr. Th. Clemens aus Frankfurt a. M.
Clemens, über Brunnenvergiftung durch Einwirkung schädlicher Gase
vom Wasser.
Bei der großen Wichtigkeit, welche dem Wasser bei Ernährung und Erhaltung des
Organismus beigelegt werden muß, ist es Pflicht der sanitätspolizeilichen Anstalten,
alle schädlichen Stoffe von den der allgemeinen Benutzung preisgegebenen
Wasserbehältern wo möglich ferne zu halten. Besonders empfehlenswerth dürfte diese
Vorsicht seyn bei oberflächlichem Stand des Quellwassers, wie solcher bisweilen in
niedern kiesreichen Gegenden vorkommt, wo das trinkbare Wasser oft bei 3–4'
Tiefe schon angetroffen wird.
In diesem Fall befand sich eine bei Frankfurt a. M. gelegene Fabrik von Farben und
chemischen Producten, welcher ich mehrere Jahre vorstand und wo ich als Arzt
zugleich Gelegenheit hatte, unter den Arbeitern derselben eine eigenthümliche
Krankheit zu beobachten, welche, nachdem ich deren Grund (die Vergiftung des
Brunnenwassers durch Schwefelwasserstoffgas) entdeckt hatte, bei Vermeidung des auf
der Fabrik gegrabenen Trinkwassers auch allmählich verschwand. Da ich das Wasser
näher untersucht habe, und wie sich später ergab, die Bedingungen, unter welchen es
seine schädlichen Eigenschaften angenommen hatte, eben keine ganz gewöhnlichen
waren, so dürfte diese Mittheilung vielleicht geeignet seyn ähnlichen Vorfällen
vorzubeugen.
Im Frühjahr, wo das Quellwasser am höchsten stand, erkrankten nämlich in einem sehr
kurzen Zeitraum fast alle Arbeiter unter folgenden gleichartigen Symptomen. Nachdem
Schwäche der Extremitäten, Appetit- und Geschmacklosigkeit eingetreten waren,
entstand bald ein lästiger Druck in dem Magen, der sich bei manchen zum Schmerz
steigerte, bei zweien sogar mehrmaliges heftiges Erbrechen veranlaßte. Die Zunge war
wenig belegt, der Puls normal, alle Ab- und Aussonderungen schienen
ungehindert; nur wurde von einigen ein eigenthümliches, lästiges Gefühl in der Haut
wahrgenommen, was mir mit einer verminderten Hautthätigkeit gepaart schien. Alle
angewandten Mittel halfen wenig oder gar nichts, und gegen den vierten bis fünften
Tag hin (nach dem Erscheinen der Magensymptome) zeigte sich ein Hautausschlag, der
gewöhnlich sehr schnell, beinahe plötzlich entstand und sich durch folgende
Erscheinungen charakterisirte. An mehreren Stellen des Körpers, gewöhnlich im Gesicht, an Hals
und Armen, seltener auf der Brust und an andern Theilen, entstanden verschieden
große furunkelartige Geschwüre, die einen torpiden Charakter annahmen. Sie waren
fast ganz schmerzlos, eiterten schlecht, blieben lange offen und vernarbten endlich
ungewöhnlich langsam, um neuen ausbrechenden Platz zu machen. Oft erschien das Uebel
an den Lippen und auf der Stirn in der Gegend der Augen, wo die Geschwüre manchmal
von der Größe einer starken Haselnuß bis zu einer mittleren Wallnuß, durch ein
höchst lästiges Spannen und Kribeln in der Haut den damit Behafteten höchst lästig
wurden. Zeigte sich die Hautaffection, so verschwand der Magenschmerz; doch dauerte
Geschmack- und Appetitlosigkeit fort. War das Hautübel mehr verbreitet, so
beklagten die Leute sich über dumpfes Eingenommenseyn des Kopfs, manchmal über
Schwindel; in diesen Fällen blieben die Geschwüre fast unverändert stehen und
bedeckten sich mit einem schlecht aussehenden, grindigen Schorf. Auffallend war es
mir gleich anfangs, daß die Arbeiter, welche mit dem Räumen der Rußkammern
beschäftigt waren, was oft in einer Temperatur von 28–30° R. Wärme
geschehen mußte, von diesem Hautübel fast gänzlich verschont blieben. Diese Leute
trieften bei ihren Arbeiten so von Schweiß, daß sie ihre Hemden förmlich auswinden
mußten. Sicher entfernte hier die abnorm erhöhte Haut-Transspiration die
Ursache der Geschwürbildung, denn diese Arbeiter klagten eben so wie die anderweit
beschäftigten über genannte Magensymptome. Selbst nachdem die von mir entdeckte
Ursache dieser kleinen Epidemie erforscht und beseitigt war, dauerte die Affection
bei mehreren, die stärker heimgesucht waren, noch einige Zeit fort. Der Werkmeister
selbst erkrankte nach entdeckter Ursache unter den Symptomen einer scheinbaren
Lungenentzündung, die ich derselben Ursache zuschrieb und auch mit dieser Rücksicht
das Heilverfahren einschlug. Nach einem Aderlaß und bewirkten starken Schweiße etc.
verschwanden die Brustsymptome schnell und am vierten Tag der Krankheit zeigte sich
ein nußgroßer Furunkel mit starker Geschwulst im Nacken, welcher bei geeigneter
Behandlung schnell in Eiterung überging, jedoch ganz den Charakter der anderen
Furunkel zeigte. Sobald der Furunkel aufgebrochen, fühlte sich der Mann, nach seinem
eigenen Ausdruck, wie neugeboren.
Das von mir untersuchte Brunnenwasser, dem ich die alleinige Ursache dieser
Krankheits-Erscheinungen beilegte, was der Erfolg auch bestätigte, zeigte
sich milchig trüb, von schlechtem fauligem Geschmack und enthielt außer dem
schwefelsauren Kalk und den sonstigen gewöhnlichen Bestandtheilen, mechanisch
beigemischte Oelpartikelchen und eine sehr bedeutende
Quantität Schwefelwasserstoff. Die Oelpartikelchen waren mit bloßen Augen
nicht sichtbar, und ich entdeckte dieselben anfangs nur mit Hülfe des Mikroskops.
Bei der Destillation des Wassers gruppierten sie sich jedoch zu größeren, mit bloßen
Augen sichtbaren Tropfen, die alle Eigenschaften des auf der Fabrik producirten
Theeröls und Kreosots zeigten. Die Gegenwart von Schwefelwasserstoff war schon durch
den diesem Gas eigenthümlichen Geschmack und Geruch sehr in die Augen fallend. Das
Wasser röthete Lackmuspapier; heftig geschüttelt, zeigte es einen sehr starken
schwach lila scheinenden Schaum, der bei seinem Platzen den stinkenden Geruch der
Hydrothionsäure so stark verbreitete, daß es mir sogleich unbegreiflich schien, wie
man solches Wasser nur genießen könne. Auf mein Befragen theilten mir die Arbeiter
mit, daß sie seit einiger Zeit, wo der Geschmack so auffallend schlecht geworden
sey, das Wasser nur zum Kochen rein verbraucht, als Getränk aber dasselbe mit
Milchkaffee gemischt genossen hätten. Bei dem Kochen mit diesem Wasser wäre der üble
Geschmack desselben (wie natürlich) keinem von ihnen aufgefallen. Daß allein das
Daseyn der im Wasser vorhandenen bedeutenden Quantität Schwefelwasserstoff an der
Krankheit Schuld war, davon überzeugte ich mich bald umsomehr, als ich dieses Gas in
allen Brunnen der Fabrik in verschiedener Menge vorfand. Der Oelgehalt des Wassers
war zu unbedeutend, um die genannten Erscheinungen hervorzubringen.
Auf welche Art dem Brunnenwasser diese Quantitäten Schwefelwasserstoff mitgetheilt
wurden, erklärte ich mir folgendermaßen und fand auch diese Erklärung durch
angestellte Versuche gerechtfertigt. Auf den hohen Stand des Brunnenwassers im
Frühjahr, wie auf den Kiesboden habe ich bereits aufmerksam gemacht, und bemerke nur
noch, daß in der Zeit jener Brunnenvergiftung Land- und Platzregen fast
ununterbrochen und mit großer Heftigkeit bei fast vollkommener Windstille die Gegend
heimsuchten, in welcher die Fabrik lag. Da nun in der Regel Nachts die
Destillirapparate geöffnet wurden und Ströme von Hydrothionsäure,
Kohlenwasserstoffgas etc. sich in die Atmosphäre ergossen, so daß die Fabrik oft wie
in einen Nebel gehüllt schien, so konnte es bei den anhaltenden Regen nicht fehlen,
daß eine bedeutende Quantität der in Wasser so leicht löslichen Hydrothionsäure von
den Regentropfen absorbirt wurde, zur Erde niederfiel und entweder unmittelbar oder
durch die dünne Kiesschichte sich dem Brunnenwasser mittheilte, auf welche Art sich
in den Cisternen der Brunnen nach und nach ein förmliches Gas-Reservoir
bildete. Das unter den angegebenen Verhältnissen an verschiedenen Orten der Fabrik
sowie in dem Dunstkreis derselben von mir aufgefangene Regenwasser, zeigte noch ehe
es den Boden berührt hatte, entschieden Hydrothionsäure; auch bemerkte ich Spuren von Oel in demselben,
welches lediglich durch Abkühlung der beständig entweichenden dicken Oeldämpfe durch
das kalte Regenbad condensirt und niedergeschlagen worden war.
Ich erinnere hier an die Methode den Hüttenrauch der Röstöfen bei Kupferwerken durch
angelegte Regenkammern (Rain chambres, chambres à
pluie) zu condensiren. Hier wird der schädliche und noch sehr verwerthbare
Stoffe führende Rauch durch Kammern geleitet, in welchen ein beständiger,
künstlicher Regen fällt. In dem aufgefangenen Regenwasser findet man condensirt und
absorbirt die meisten Bestandtheile des Hüttenrauchs und zwar in großen Quantitäten
wieder, z.B. arsenige Säure, schweflige und Schwefelsäure, Flußsäure, metallischen
Arsenik in Staubform etc. Wird der Rauch nicht auf diese Weise verwerthet und
unschädlich gemacht, so ist ein solches Hüttenwerk für die Umgegend wie für die
Arbeiter ein wahres Verderben, indem nicht nur die ganze Vegetation im höchsten
Grade benachtheiligt wird, sondern auch das Leben der in dem Dunstkreis der Fabrik
athmenden Menschen gefährdet und verkürzt wird. Es ist in der That die Pflicht eines
wohlgeordneten Staates, hierüber zu wachen und wenigstens dafür Sorge zu tragen, daß
Schädlichkeiten, welche doch beseitigt werden können, das Leben der Fabrikarbeiter
nicht mehr bedrohen. Kleiner Ersparnisse wegen setzt man in dieser Hinsicht gar oft
Leben und Gesundheit von vielen braven Leuten, deren einziges Gut und Vermögen doch
in der Regel eben nur ihre Gesundheit ist, leichtsinnig auf das Spiel.
Die Brunnen, deren Wasser zu genießen ich auf das strengste untersagte, ließ ich nun
soweit dieß möglich war, auspumpen und untersuchte das Wasser in einigen Tagen
wieder, wo ich dann zu meinem Erstaunen Schwefelwasserstoff in nicht geringerer
Quantität darin fand. Ich warf nun in einen ausgepumpten Brunnen einige Pfunde
Chlorkalk, wodurch ich die sich ansammelnde Quantität Schwefelwasserstoff zu
verringern gedachte, was mir jedoch höchst unvollständig gelang, denn in einigen
Tagen konnte ich dessenungeachtet in diesem mit Chlor gemischten Wasser unzersetzte
Hydrothionsäure entdecken, ein Beweis wie begierig und in welchen großen Quantitäten
das Wasser der Atmosphäre Schwefelwasserstoffgas absorbirt. Die Vegetation in der
Fabrik und in der Umgegend kränkelte auffallend, und alle Pflanzen, welche ich
ausschließlich mit diesem inficirten Wasser begießen ließ, kränkelten und starben in
kurzer Zeit. Je mehr nun im Laufe des Sommers das Quellwasser sank und die Regen
aufhörten, desto reiner und freier von Schwefelwasserstoff wurde das Wasser der
Brunnen; bis sich endlich im August kaum noch eine Spur von Schwefelwasserstoff nachweisen
ließ; ein Beweis, daß nur durch die häufige leichte und schnelle Verbindung des
atmosphärischen Wassers mit dem unterirdischen Quellwasser diese Brunnenvergiftung,
welche noch zu rechter Zeit entdeckt wurde, möglich geworden war.