Titel: | Die Runkelrüben-Krankheit und die Verhütung ihrer Wiederkehr durch Anwendung des gebrannten Kalks. |
Fundstelle: | Band 124, Jahrgang 1852, Nr. XLIX., S. 216 |
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XLIX.
Die Runkelrüben-Krankheit und die
Verhütung ihrer Wiederkehr durch Anwendung des gebrannten Kalks.
Aus dem Moniteur industriel, 1852, Nr. 1621 u.
1622.
Ueber die Runkelrüben-Krankheit.
Während unsere Gelehrten noch mit Aufsuchung der Ursache dessen, was man voriges Jahr
die Runkelrüben-Krankheit nannte, beschäftigt sind, glauben unsere Landleute
das Mittel dagegen schon gefunden zu haben und schreiten allerwärts zu dessen
Anwendung.
Aus dem Austausch ihrer Erfahrungen geht zuvörderst hervor, daß auf jedem mehr oder
weniger kalkreichen Boden die Runkelrübe in der Regel eine eben so gute Ernte gab,
als in den vorhergehenden Jahren auf andern Böden. Sodann haben sie bemerkt, daß in
festerm Erdreich, überall wo solchem Kalk zugesetzt wurde, die Runkelrübe mehr
ertrug, als in anderm. Endlich wurde von ihnen nachgewiesen, daß in dem schweren
Boden der Kantone des Nord-Departements das Kalken noch wenig im Gebrauche
war, wahrscheinlich weil es bei den gewöhnlichen frühern Culturen des Landes nicht
nothwendig war; in den gleichartigen Kantonen im Innern, wo ähnliche Culturen wie
die der Runkelrübe vorkommen, ist jedoch das Kalken seit sehr langer Zeit im
Gebrauch und wird daselbst als unerläßlich betrachtet.
Diese Punkte einmal zugegeben, schienen dann in Folgendem ihre natürliche Erklärung
zu finden. Ein Boden ist für ein gewisses anzubauendes Product nur darum mehr oder
weniger geeignet, weil dieses Product gewisse nährende Bestandtheile, die es bei
seinem Heranwachsen in sich aufnimmt, in mehr oder weniger großer Menge daraus zu
schöpfen vorfindet. Daraus folgt, daß wenn diese Bestandtheile aus irgend einer
Ursache aufhören sich in demselben Maaße im Boden zu befinden, dasselbe Product
nicht mehr so gedeihlich darin fortkommen kann, es sey denn, daß die ihm
unentbehrlichen nährenden Bestandtheile dem Boden wieder in gleicher Menge zugesetzt
werden.
Man weiß aber auch, daß die Runkelrübe beim Wachsen eine ungeheure Menge KaliEin Beweis — die Potaschefabrication aus den Rückständen der Melasse
(beschrieben im polytechn. Journal Bd. CXXIII S. 143). in sich
aufnimmt, daher den Boden an solchem erschöpft; damit derselbe also zu einem neuen
Runkelrübenbau wieder
geeignet wird, muß ihm alles entzogene Kali ersetzt werden. Auf diese Weise erklären
sich die Vortheile des Kalkens, denn dasselbe trägt zu dieser Wiedererstattung
wesentlich bei.
Außerdem gewährt der gebrannte Kalk noch einen Vortheil, indem er, umsichtig
angewandt, die jungen Pflanzen vor den tödtlichen Angriffen der Würmer und Schnecken
schützt.
Bereits beginnen die Landwirthe des nördlichen Frankreichs an vielen Punkten Kalköfen
zu erbauen, welche ihnen in Zukunft das beste Bodenverbesserungsmittel für den
zunehmenden Runkelrübenbau liefern sollen.
Verhandlungen über die Runkelrübenkrankheit
im landwirthschaftlichen Verein zu Paris.
In einer der letzten Sitzungen der Pariser Central-Ackerbaugesellschaft
berichtete Hr. Payen über das Ergebniß seiner in
Gemeinschaft mit Hrn. Dumas in neuester Zeit im
Nord-Departement angestellten Untersuchungen über die
Runkelrübenkrankheit.
Es wurden drei Muster dieser Wurzeln in verschiedenen Zuständen vorgelegt: die erste
stark verdorben, ohne jedoch gefault zu seyn; die zweite ebenfalls verdorben, aber
nicht in demselben Grade, obschon die meisten Gefäße mit einer rothgefärbten
Substanz umgeben waren; die dritte ganz gesund.
Beide Chemiker untersuchten mit den HHrn. Blanquet und Gouvion die fragliche Krankheit an Ort und Stelle; die
Rüben waren davon in einem Bezirke ergriffen, dessen Gränzen die Gemeinden St.
Saulve, Valenciennes, Hérmin, Denain, Abscon, Escaudin, Anzin und Raisme bilden, und
der den größten Theil des Arondissements von Valenciennes ausmacht. Außerhalb dieses
Bezirkes waren die Runkelrüben in der Regel gut, jedoch von geringerm Zuckergehalt
als in guten Jahrgängen. Kurz, das genannte Arondissement wird weniger Runkelrüben
tragen als gewöhnlich, und die Rüben werden überdieß verhältnißmäßig weniger Zucker
geben. Es ist sogar wahrscheinlich, daß eine Vermehrung der damit angebauten
Bodenfläche um ein Drittheil den Ausfall nicht decken werde.
Hr. Gouvion-Deray, ein geschickter Landwirth und
Fabrikant, hat seit dem J. 1847 sehr interessante Beobachtungen über die Abnahme des
Ertrags eines und desselben Bodens an Runkelrüben angestellt. So war sein höchster
Ertrag per Hektare:
im J.
1847
62,000
Kil.
im J.
1848
50,000
Kil.
im J.
1849
40,000
Kil.
im J.
1850
33,000
Kil.
Im J.
1851
20,000
Kil.
Der Ertrag nahm also in regelmäßigem Verhältniß ab, und es ist daher zu bezweifeln,
ob der frühere Ertrag je wieder erreicht werden kann, ohne Einführung eines
Fruchtwechsels, bei welchem die Runkelrübe erst in längern Zwischenräumen wieder an
die Reihe kommt.
Die gegenwärtige Rübenkrankheit scheint Hrn. Payen von
derjenigen im J. 1847 sehr verschieden zu seyn; er beobachtete damals bei Hrn. Crespel-Delisse in der Nähe von Arras und mit Hrn.
Kuhlmann in der Umgebung von Lille eine Krankheit,
die viel ärger erschien als diese und viel Aehnlichkeit mit derjenigen der
Kartoffeln hatte. So wurden die von der damaligen Krankheit ergriffenen Theile der
Rüben durch Kochen härter, und die rothe Substanz hatte sich offenbar von den
Blättern auf die Stengel und Wurzeln fortgepflanzt; die ergriffenen Rüben verloren
rasch einen Theil ihres Zuckers, und was von demselben zurückblieb, ging allmählich
in Traubenzucker über, so daß die Fabricanten bald nur noch Melasse aus den Rüben
erhalten konnten.
Im heurigen Jahre hat die Krankheit einen andern Charakter. Man bemerkt wohl im Lauf
der Gefäße eine rothe Färbung, allein beim Kochen findet keine Erhärtung statt und
die Blätter sind ganz anders beschaffen.
Neben gesunden Rüben sieht man zusammengeschrumpfte mit sehr kleinen Wurzeln. Einige
Felder sind von der Krankheit so heimgesucht, daß man es nicht der Mühe werth hält
die Rüben einzuernten; andere geben nur eine halbe oder Drittels-Ernte. Man
schätzt in dem bezeichneten Bezirke den Ausfall zu wenigstens 50 Procent.
In mehreren Fabriken in der Umgebung von Denain konnte keine einzige gesunde Rübe
gefunden werden; in der Umgebung von Famars, wo sich die Fabrik des Hrn. Lessens befindet, konnte man hingegen nicht leicht eine
erkrankte auffinden — eine Beweis, daß es in einer und derselben Gegend
Felder gibt, welche von der Krankheit vollständig befallen wurden, und wieder
andere, welche ganz davon verschont blieben.
Bei allen von der Krankheit ergriffenen Rüben ist das Gewebe härter und schwerer zu
zerreißen; sie enthalten weniger Saft und der Saft verhältnißmäßig weniger Zucker. Die in die Wurzeln
eingedrungene Luft trug zum Verderben der Wurzeln und dazu bei, sie weniger
productiv zu machen; auch wird der Ausfall wohl die Hälfte bis zwei Drittheile
betragen.
Die HHrn. Dumas und Payen
nahmen an Ort und Stelle Rüben mit der sie umgebenden Erde mit, um den Zustand
derselben genauer zu ermitteln. In diesen Proben bemerkte Hr. Decaisne schon eine Veränderung der Wurzelschwämmchen, und Hr. Payen erkannte an den angegriffenen Wurzelfasern, bevor
noch die Wurzelschwämmchen ihren Zusammenhang verloren hatten, Fäserchen, die einer
kryptogamischen Vegetation angehören (deren Abbildung er vorlegte). Meistens zeigt
sich das Schmarotzergewächs über den Schwämmchen. Beim Beginne der Krankheit hat die
Wurzelfaser noch ihre gewöhnliche Beschaffenheit. Schon mit bloßem Auge läßt sich
das durch diese Vegetation veranlaßte Anschwellen der angegriffenen Wurzelfasern
wahrnehmen, welche noch weiß sind. Payen glaubt daß dieß
eine der secundären Ursachen der Krankheit sey.
Die primären Ursachen der Krankheit anbelangend, scheint ihm die hauptsächlichste die
Aufeinanderfolge des Runkelrübenbaues zu seyn, welche oft 20 Jahre nacheinander ohne
Unterbrechung oder doch mit zu geringer Abwechselung in demselben Boden angebaut
werden. Man sollte daher nach seinem Vorschlag den Fruchtwechsel eintreten lassen,
etwa auch tüchtig kalken; jedenfalls sollte man mit Kalk in Ueberschuß und andern
sogenannten Kalkungsmitteln Versuche anstellen.
In der Sitzung der landwirthschaftlichen Gesellschaft zu Valenciennes machten die
HHrn. Dumas und Payen eine
Bemerkung, mit welcher mehrere gegenwärtige Landwirthe übereinstimmten. Dieselben
sahen viele Runkelrüben, deren jüngste Blätter gesund erschienen, während die alten
sonst zu dieser Zeit immer starken und nur gelb gewordenen, schon ganz zerstört
waren. Payen glaubte zu bemerken, daß die innern
Schichten der Entwickelung der ersten Reihen von verdorbenen Blättern mehr
entsprachen, als die mehr äußerlichen Schichten.
Mehrere Landwirthe versicherten, daß zu einer gewissen Zeit viele Blätter auf einmal
verwelkten, andere hingegen sich hierauf entwickelten.
Falls dieselbe Krankheit im J. 1852 wieder einträte, wäre nun zu untersuchen, ob das
kryptogamische Gewächs welches sich im heurigen Jahr (1851) zeigte, sich an den
Wurzelfasern der Rüben zu der Zeit wieder erzeugt, wo die Blätter zu verwelken
beginnen.
Hr. Becquerel theilt ganz Payen's Meinung, daß der ununterbrochene Anbau von Runkelrüben eine der
Hauptursachen der Krankheit sey. Eben so, sagt er, sey es mit dem Pfirsichbaum,
welcher, wenn man ihn mehrmals nacheinander in denselben Boden pflanze, nicht gut
gedeihe.
Hr. Brongniart sagt, daß, wie er zu Valenciennes erfahren
habe, die Runkelrüben-Aussaat dieses Jahr sehr spät vorgenommen worden sey,
welchen Umstand die Landwirthe der Umgegend die Krankheit zum Theil zuzuschreiben
geneigt sind. So viel sey gewiß, daß in Folge der Spätsaat das Wachsthum nicht wie
gewöhnlich sich entwickeln konnte; auch bemerkt man, daß die Rüben selbst da, wo sie
nicht erkrankten, in der Regel sehr klein sind.
Dasselbe brachte auch Hr. Payen in Erfahrung; überdieß
bemerkte man ihm, daß es auf den mit Rüben angebauten Feldern starke und lange
andauernde Regengüsse gegeben habe, was gewiß mit zur Krankheit beigetragen hat.
Die HHrn. Dumas und Payen
besuchten ein Feld, wo man glaubte, daß es keine von der Krankheit befallenen Rüben
geben werde, und doch konnte man bei genauerer Untersuchung nicht drei Schritte
gehen, ohne zwei bis drei kranke Pflanzen zu treffen. Die Rüben zwischen diesen
waren gesund. Es fanden also in demselben Boden große Verschiedenheiten statt, die
nicht von der späten Saat und den Temperatur-Verhältnissen abhingen.
Jedenfalls, glaubt Hr. Payen, war die von Hrn. Brongniart bezeichnete allgemeine Ursache von Einfluß auf
die Entwickelung der Krankheit.
Ein allgemeiner Charakter dieser Krankheit ist nach Payen
die röthliche Färbung der Intercellulargänge und selbst eines Theiles der
Gefäßwände. Eine eigenthümliche Erscheinung zeigte sich bei mehreren der
untersuchten Wurzeln, daß nämlich der Saft in den von der rothen Färbung umgebenen
Gefäßen alkalisch war.
Hr. Brongniart bemerkt, daß bei diesen Pflanzenkrankheiten
immer die Frage entsteht, ob das kryptoganische Gewächs eine Ursache oder eine
Wirkung sey: ferner glaubt er, daß, wenn nicht alle Pflanzen eines Feldes krank
sind, man daraus nicht schließen dürfe, daß keine allgemeine Ursache vorhanden
gewesen sey, welche auf sie gewirkt habe. Es gibt bekanntlich starke und schwache
Individuen; letztere unterliegen dem Einfluß der Ursache, während erstere ihr
widerstehen. Es wird, wenn die Krankheit im nächsten Jahr sich wieder zeigt,
vorzüglich zu untersuchen seyn, ob sich die Kryptogamen schon am Anfang der
Erkrankung zeigen.
Hinsichtlich des Fruchtwechsels sey ihm gesagt worden, daß nur an einigen Orten
ausnahmsweise die Runkelrübe alle Jahr gebaut worden sey. In der Regel werde sie nur
alle zwei bis drei Jahre gesäet; vielleicht müsse man aber noch mehr Zeit dazwischen
lassen.
Hr. Payen bemerkt, daß Hr. Erespel-Delisse die Runkelrübe 25 Jahre lang nacheinander auf
demselben Felde angebaut, aber beobachtet habe, daß in dem so behandelten Boden die
zuerst ausgenommenen Rüben immer von Insecten befallen und zerstört sind, welche die
ersten Blätter fressen. Man muß diese Rüben besonders halten und das Feld zum
zweitenmal ansäen.