Titel: | Untersuchungen über die Befestigung der Farben auf den Geweben mittelst des Färbens; von Friedr. Kuhlmann. |
Fundstelle: | Band 142, Jahrgang 1856, Nr. LIII., S. 221 |
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LIII.
Untersuchungen über die Befestigung der Farben
auf den Geweben mittelst des Färbens; von Friedr. Kuhlmann.
Aus den Comptes rendus, April 1856, Nr. 15 und 16, durch
das polytechnische Centralblatt Lief. 14.
Kuhlmann, Untersuchungen über die Befestigung der Farben auf den
Geweben mittelst des Färbens.
I. Ueber die Eigenschaften des
unveränderten und des zersetzten Pyroxylins in Bezug auf die Annahme von Beizen
und Farbstoffen.
Die thierischen Faserstoffe sind bekanntlich leichter zu färben als die
vegetabilischen und man hat dieß öfter dem Stickstoffgehalt der ersteren
zugeschrieben. Kuhlmann wollte sehen, wie Cellulose, die
durch Behandlung mit Salpetersäure in Pyroxylin verwandelt ist, also viel Stickstoff
(freilich jedenfalls in anderer Verbindungsweise, wie in den thierischen
Faserstoffen) aufgenommen hat, sich in Bezug auf die Annahme von Beizen und
Farbstoffen verhält, und ließ daher Versuche hierüber ausführen. Zu diesen Versuchen
wurde sowohl baumwollenes und leinenes Gewebe, als auch rohe Baumwolle, durch
Behandeln mit einer Mischung von concentrirter Salpetersäure und Schwefelsäure in
Pyroxylin verwandelt und dasselbe durch Waschen mit Wasser, Einlegen in Sodalösung
und abermaliges Waschen von aller Säure befreit. Die Färbe- und Druckversuche
wurden vergleichsweise mit den so in Pyroxylin verwandelten oder nitrificirten
Geweben und mit den gleichen Geweben im gewöhnlichen Zustande ausgeführt. Nach
gehöriger Vorbereitung durch Waschen, Calandriren u.s.w. wurden beide Arten von
Gewebe mit denselben verdickten Mordants, bestehend namentlich aus essigsaurer
Thonerde und essigsaurem Eisen, bedruckt, mehrere Tage lang, zuletzt in der Wärme,
aufgehängt, im Kuhmistbade behandelt, gewaschen, im Garancinbade ausgefärbt und
gereinigt. Von den ausgefärbten Proben wurden Stücke abgeschnitten und diese der
Buntbleiche mittelst Chlorkalk unterworfen. Die Versuche ergaben Folgendes: Alle
nitrificirten Gewebe blieben, im Vergleich mit den nicht nitrificirten, ausnehmend
blaß, trotzdem daß die Färbesubstanz im Ueberschuß vorhanden war. Das nitrificirte
Gewebe scheint aber, obgleich es die Mordants nicht gut annimmt, die Eigenschaft zu
besitzen, sich ohne Mitwirkung derselben mit einem Theile des Krappfarbstoffs zu
verbinden, nach der gelblichen Farbe zu urtheilen, die es selbst nach der Passage
durch Chlorkalk behält.
Andere Proben der Gewebe wurden durch ein warmes Bad von holzsaurem Eisen genommen
und dann im Galläpfelbade ausgefärbt. Die nitrificirten Gewebe nahmen auch hierbei
nur wenig Mordant auf und waren, im Vergleich mit den gewöhnlichen, nach dem
Ausfärben sehr blaß. Bei ferneren Versuchen wurde nitrificirte und gewöhnliche
Baumwolle durch Berlinerblau blau und mittelst Rothholz roth gefärbt; die
nitrificirte Baumwolle blieb auch hierbei, im Vergleich mit der gewöhnlichen,
ausnehmend blaß. Die Ergebnisse aller Versuche stimmen also darin überein, das das
Pyroxylin, weit entfernt, die Farben leichter anzunehmen, als die gewöhnliche
Pflanzenfaser, wie man wegen seines Stickstoffgehalts vermuthen könnte, sich im
Gegentheil gar nicht ordentlich färben läßt.
Nach Bechamp kann man das Pyroxylin oder die
Schießbaumwolle wieder in gewöhnliche Baumwolle verwandeln, indem man sie ziemlich
lange mit einer Lösung von Eisenchlorür kochen läßt und sie dann mit Salzsäure
behandelt, um das auf der Faser abgesetzte Eisenoxyd zu entfernen. Kuhlmann fand, daß die Baumwolle, indem sie nach diesem
Verfahren denitrificirt wird, das Vermögen, die Farben anzunehmen, welches der
gewöhnlichen Baumwolle zukommt, wenigstens großentheils wieder erhält.
Von den oben erwähnten, im Januar 1853 angestellten Versuchen hatte Kuhlmann einen Theil des nitrificirten Baumwollgewebes
übrig behalten und dasselbe dicht zusammengerollt in einem weitmündigen, mit einem
Kork verschlossenen Glase aufbewahrt. Vor etwa zwei Monaten fand er, daß das Glas
mit salpetrigen Dämpfen gefüllt und der Kork corrodirt und gehoben war. (Eine
ähnliche freiwillige Zersetzung der Schießbaumwolle haben auch Andere schon
beobachtet.) Er ließ das zersetzte Gewebe herausnehmen und waschen; es war sehr
angegriffen und leicht zerreißbar, auch viel weniger entzündlich, als unzersetztes
Pyroxylin. Wurtz analysirte es und fand darin 31,25 Proc.
Kohlenstoff, 4,08 Wasserstoff und 7,88 Stickstoff, während die unveränderte
Schießbaumwolle 27,9–28,5 Proc. Kohlenstoff, 3,5 Wasserstoff und
10,5–11,6 Stickstoff enthält. Kuhlmann stellte mit
dem zersetzten und dabei theilweise denitrificirten Gewebe Färbeversuche an, wobei
dasselbe mit essigsaurer Thonerde gebeizt und dann theils mit Garancin, theils mit
Brasilienholz ausgefärbt wurde. Merkwürdigerweise ergab sich dabei, daß das
zersetzte Gewebe nicht nur sich färben ließ, sondern sogar weit gesättigtere und
lebhaftere Farben annahm, wie gewöhnliche Baumwolle mittelst derselben Beize und
Färbebäder. Als das zersetzte Gewebe und andererseits unverändertes Pyroxylin mit
einer Lösung von schwefelsaurem Eisenoxydul erwärmt wurde, färbte ersteres sich sehr bald
gelbbraun, während das Pyroxylin viel weniger Eisenoxyd aufnahm, als gewöhnliche
Baumwolle unter denselben Umständen. Als man durch angesäuerte Blutlaugensalzlösung
das Eisenoxyd auf der Faser in Berlinerblau verwandelte, zeigten sich entsprechende
Differenzen in der Farbe. Indem also das Pyroxylin einen Theil der salpetrigen
Elemente verliert, verliert es nicht nur den Widerstand gegen die Aufnahme von
Beizen und Farbstoffen, sondern wird sogar weit geeigneter, diese Stoffe
aufzunehmen, als gewöhnliche Baumwolle. Das Verhalten zu Eisenvitriollösung scheint
anzudeuten, daß das zersetzte Pyroxylin die salpetrigen Elemente minder fest
gebunden enthält, als das unzersetzte.
II. Ueber den Einfluß einer Behandlung
der Faserstoffe mit Salpetersäure auf das Vermögen derselben, Farben
anzunehmen.
Wie in dem vorhergehenden Aufsatze mitgetheilt ist, hat Kuhlmann gefunden, daß, während Schießbaumwolle sich so gut wie gar nicht
färben läßt, solche Schießbaumwolle, die sich freiwillig zersetzt hat, leicht zu
färben ist und dabei lebhaftere Farbentöne annimmt, als gewöhnliche Baumwolle. Er
theilt nun weitere Färbeversuche mit, bei denen statt der freiwillig zersetzten
Schießbaumwolle Baumwollgewebe angewendet wurden, die vor der Behandlung mit der
Beize kürzere oder längere Zeit mit Salpetersäure verschiedener Concentration oder
mit Mischungen von Salpetersäure und Schwefelsäure in verschiedenen
Mengenverhältnissen in Berührung gebracht waren. Dieselben ergaben merkwürdige
Resultate. Brasilienholz mit essigsaurer Thonerde gab auf gewöhnlicher Baumwolle
violettrothe Töne; wurde die Baumwolle aber 20 Minuten lang in Salpetersäure von
34° Baumé getaucht, durch Waschen mit Wasser und Sodalösung von aller
Säure befreit und sodann mit essigsaurer Thonerde gebeizt und in Brasilienholzauszug
ausgefärbt, so nahm sie eine viel sattere und weniger ins Violette ziehende rothe
Farbe an. Selbst ein halbstündiges Einlegen der Baumwolle in ein Gemisch von 1 Vol.
Salpetersäure von 34° B. und 2 Vol. Wasser brachte einen merklichen Erfolg
hervor, und in diesem Falle war die Festigkeit der Baumwolle nicht merklich
verringert.
Der Verfasser theilt speciell vergleichende Versuche mit, bei denen angewendet
wurde:
Nr. 1. Gewöhnliche, nicht mit Salpetersäure behandelte Baumwolle.
Nr. 2. Baumwolle, die 5 Minuten lang in einer Mischung von 2 Vol. Salpetersäure von
34° Baumé und 1 Vol. Schwefelsäure von 66° gelegen hatte.
Nr. 3. Baumwolle, 2 Minuten lang in eine Mischung von 1 Vol. Schwefelsäure von
34° und 1 Vol. Schwefelsäure von 66° getaucht.
Nr. 4. Baumwolle, auf welche 20 Minuten lang eine Mischung von 1 Vol. Salpetersäure
von 34° und 2 Vol. Schwefelsäure von 66° gewirkt hatte.
Nr. 5. Baumwolle, die 20 Minuten lang in eine Mischung von 1 Vol. Salpetersäure von
34°, 2 Vol. Schwefelsäure von 66° und 1/2 Vol. Wasser getaucht
war.
Die Baumwolle wurde bei allen diesen Proben als Gewebe angewendet. Nach dem
Herausnehmen aus der Säuremischung wurde dasselbe mit vielem Wasser gewaschen, durch
Sodalösung genommen, wieder gewaschen, sodann, ebenso wie das Gewebe Nr. 1, mit
essigsaurer Thonerde gebeizt und endlich in einer Abkochung von Brasilienholz
ausgefärbt. Die Ergebnisse waren folgende:
Nr. 1 nahm eine blaßviolettrothe Farbe an.
Nr. 2 erhielt eine weniger ins Violette ziehende, aber noch ziemlich blasse rothe
Farbe.
Bei Nr. 3 war die Farbe gesättigter und lebhafter.
Nr. 4 nahm eine viel dunklere ponceau-rothe Farbe an, ziemlich ähnlich
derjenigen, welche bei den früheren Versuchen auf der zersetzten Schießbaumwolle
erhalten war.
Nr. 5 nahm eine dunkelrothe, außerordentlich reiche Farbe an, die schönste Nuance,
welche der Verfasser bei allen seinen Versuchen erhielt. Mit einem concentrirten
Färbebade erhielt man auf der Probe Nr. 5 ein glänzendes und so dunkles Roth, daß es
braun erschien.
Der Verfasser machte ferner einige Versuche mit Cochenille und Orseille, wobei
ebenfalls essigsaure Thonerde als Beize angewendet wurde. Baumwolle, die 20 Minuten
lang in reiner Salpetersäure oder in einer Mischung von 2 Vol. Salpetersäure und 1
Vol. Schwefelsäure eingetaucht war, nahm beim Färben mit Cochenille eine blasse
Lilafarbe an, wenig verschieden von der auf gewöhnlicher Baumwolle entstehenden.
Nach 20 Minuten langem Eintauchen in eine Mischung von 1 Vol. Salpetersäure und 1
Vol. Schwefelsäure färbte die Baumwolle sich im Cochenillebade viel dunkler. Nach
Behandlung mit einem Gemisch von 1 Vol. Salpetersäure und 2 Vol. Schwefelsäure nahm
aber die Baumwolle eine Lilafarbe (couleur
giroflée) an, deren Intensität wenigstens doppelt so groß war, wie
beim vorhergehenden Versuch. Diese Ergebnisse stimmen mit den beim Färben mit Brasilienholz erhaltenen
so ziemlich überein. Nach der Behandlung mit dem zuletzt erwähnten Säuregemisch
nimmt die Baumwolle auch mit Orseille eine ziemlich gesättigte Farbe an.
Es wurde ferner auch das Garancin als Färbesubstanz probirt. Nach Behandlung mit
bloßer Salpetersäure nimmt die Baumwolle im Garancinbade eine etwas mehr gelbe, aber
nicht dunklere Farbe an, als Baumwolle, die nicht mit Salpetersäure behandelt wurde.
Die Mischung von 2 Vol. Salpetersäure und 1 Vol. Schwefelsäure veranlaßte eine
ähnliche, aber dunklere Farbe. Nach Behandeln mit einem Gemisch von 1 Vol.
Salpetersäure von 34° und 1 Vol. Schwefelsäure erhielt die Baumwolle im
Garancinbade eine sehr schöne braunrothe Farbe, ähnlich dem Türkischroth vor dem
Aviviren. Durch Behandeln mit einem Gemisch von 1 Vol. Salpetersäure und 2 Vol.
Schwefelsäure und Ausfärben in Garancin erhielt man dieselbe Farbenintensität, aber
die Farbe mehr ins Orange ziehend. Nach 20 Minuten langem Eintauchen in ein Gemisch
von 1 Vol. Salpetersäure, 2 Vol. Schwefelsäure und 1/2 Vol. Wasser nahm die
Baumwolle mit Garancin eine sehr lebhafte rothe Farbe an, die weit dunkler war, als
im vorhergehenden Falle.
Alle mit nitrificirter Baumwolle angestellten Versuche des Verfassers wurden mit
Schafwolle, Seide, Federn, Haaren wiederholt, indem man diese Stoffe vor dem Beizen
und Färben ebenfalls mit dem betreffenden Säurebade behandelte. Hierbei wurden
bezüglich der Vermehrung der Farbenintensität und des Farbenreichthums durch diese
Behandlung eben so merkwürdige Resultate erhalten. Bei Anwendung von mit dem 5fachen
Volum Wasser vermischter Salpetersäure ist die Wirkung schon sehr deutlich.
Da die Fasern und Gewebe, namentlich die von Baumwolle und Flachs, durch Behandeln
mit concentrirten Säuren merklich verändert werden und deßhalb die Ergebnisse der
beschriebenen Versuche in der praktischen Färberei nicht allgemein angewendet werden
können, so suchte der Verfasser auf den genannten Faserstoffen Körper zu fixiren,
die durch Einwirkung von Salpetersäure auf gewisse organische Stoffe entstehen, um
dadurch ihre Anziehung zu den Farbstoffen zu vergrößern. Pikrinsäure, die auf
gewöhnlicher Baumwolle mit Thonerdebeize sich nicht fixirt, gibt auf nitrificirter
Baumwolle sehr gesättigte Töne. In diesem Falle wirkt die Pikrinsäure als Farbstoff,
aber sie wirkt auch als Beize, namentlich um zusammengesetzte Farben
hervorzubringen, indem man entweder nach Application der gewöhnlichen Beizen auf den
Zeugen Pikrinsäurebäder gibt oder dem Färbebade Pikrinsäure hinzufügt. Die so zusammengesetzten Farben
sind sehr lebhaft und bieten die glänzendsten Nüancen dar, sie sind aber mehr für
Wolle und Seide anwendbar, denn die auf Baumwolle fixirte Pikrinsäure wirkt mit der
Zeit auf den Farbstoff und zersetzt ihn mehr oder weniger, so daß die Farbe in Gelb
übergeht.
Bei einer Behandlung der Faserstoffe mit Salpetersäure vor dem Färben würde natürlich
der Umstand, daß dieselben dabei, indem sie mehr oder weniger die Bestandtheile der
Salpetersäure aufnehmen, sehr an Verbrennlichkeit
zunehmen, ernstliche Beachtung erfordern.
Zuletzt zieht der Verfasser aus seinen Versuchen den Schluß, daß die chemische
Zusammensetzung des Faserstoffs auf die Fixation der Farbstoffe auf demselben den
größten Einfluß hat, daß beim Färben wahre chemische Verbindungen mit dem Faserstoff
entstehen und daß die von der Capillarität und der eigenthümlichen Structur der
Fasersubstanz herrührenden Wirkungen nur secundär seyen. In einem folgenden Theile
seiner Arbeit gedenkt er dieß näher nachzuweisen.