Titel: | Selbstwirkende Bremse, von Hrn. Guérin. |
Fundstelle: | Band 144, Jahrgang 1857, Nr. XLIII., S. 164 |
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XLIII.
Selbstwirkende Bremse, von Hrn. Guérin.
Aus Armengaud's Génie industriel, November 1856, S.
225.
Mit Abbildungen auf Tab.
III.
Guérin's selbstwirkende Bremse.
Unter allen Apparaten, die zum mehr oder weniger augenblicklichen Aufhalten der
Eisenbahnzüge in Vorschlag gebracht wurden und welche selbstthätig wirken, können
nur wenige mit der von Hrn. Guérin erfundenen
Bremse in die Schranken treten.
Dieser sehr leicht ausführbare Apparat ist ein höchst empfehlenswerther Zusatz für
die jetzt auf allen Eisenbahnlinien gebräuchlichen Bremsen, deren von einem Menschen
ausgehende Wirksamkeit er auf eine ganz eigenthümliche Weise von selbst ergänzt.
Seine Wirkung beruht auf dem Grundsatz, daß wenn zwei, durch mehr oder weniger starre
Bänder verbundene Körper mit einer gewissen Kraft auf irgend einer Bahn fortbewegt
werden, und die Geschwindigkeit des ersten Körpers durch irgend eine Ursache
plötzlich vermindert wird, der zweite auf diesen einen um so größern Druck ausübt,
je größer die Geschwindigkeit und das Gewicht des ersten Körpers sind.
Fig. 1 ist ein
Längendurchschnitt eines Wagengestelles mit Darstellung der verschiedenen Theile,
welche die Bremse bilden.
Fig. 2 ist
eine Endansicht, wobei man einen Durchschnitt nach den Rädern annimmt.
Fig. 3 ein
allgemeiner Grundriß des montirten Wagengestelles in Verbindung mit der Bremse.
Fig. 4 zeigt
das An- oder Einhängen des Zughakens nach einem größern Maaßstabe.
Fig. 5 ist
eine Endansicht, ebenfalls im größern Maaßstabe, von dem auf der Hinterachse
befestigten großen Muffe, den ganzen Apparat im Zustand der Ruhe gedacht.
Fig. 6 ist
eine Seitenansicht des Muffes, der in Folge des Aufhörens der allgemeinen Bewegung
auf der Achse liegend gedacht wird.
Auf der Hauptwelle A der gewöhnlich gebräuchlichen
Bremsen, welche die ihr vom Bremser ertheilte Bewegung auf die mit den Schuhen
versehenen Hebel überträgt, befestigt man bleibend zwei Hebel a; an dem Ende eines jeden von denselben ist eine Platte a' angeschweißt, welche gegen die Feder B treten. Diese besteht aus einzelnen Blättern, die
durch ein Band zusammengehalten werden, in Coulissen verschiebbar sind und mittelst
ihrer Enden b die Bufferstangen stets vorwärts zu
drängen suchen. Mittelst dieses einfachen Mechanismus wird das erwähnte Princip
unmittelbar auf die verschiedenen Theile der gewöhnlichen Bremse angewendet.
Nehmen wir nämlich an, es soll ein mit einer gewissen Geschwindigkeit fahrender
Bahnzug ohne Hülfe des Bremsers aufgehalten werden, so verschließt der
Locomotivführer mittelst des Regulators das Dampfrohr, während der Heizer die
Tenderbremse sehr scharf anzieht. Locomotive und Tender fahren daher sogleich
langsamer und diese Verzögerung überträgt sich auf den ersten Waggon, welcher mit
der ersten Bremse versehen ist. Da nun die übrigen Waggons eine Geschwindigkeit
erlangt haben, welche natürlich größer als diejenige der ersteren ist, so üben sie
mittelst ihrer Buffer einen mehr oder minder kräftigen Druck auf die Buffer
desjenigen Wagens aus, an welchem die fragliche Bremse angebracht wurde. Die Stangen
ihrer beiden Buffer nöthigen die Feder B, sich in den
Coulissen welche ihre Kappe zurückhalten, zu verschieben und folglich einen Druck
auf die Platten a' auszuüben, bis dieser Druck sich
mittelst des Hebels a dem ganzen System mittheilt und
die Schuhe gegen die Räder gedrängt werden, worauf sich die Feder gegen die Platten
a biegt, nachdem der Druck der Schuhe sein Maximum
erreicht hat – eine Wirkung, welche Fig. 1 und 3 erläutern.
Nach dem Bremsen und dem vollständigen Stillstande des Zuges müssen die Bremsschuhe
wieder von den Rädern entfernt werden. Um ohne Hülfe des Bremsers zu diesem Resultat
zu gelangen (das zum Theil schon durch die Repulsivkraft erreicht wurde, welche die
Platten a' auf die Feder B
ausgeübt haben), wurde der Kopf des einen von den Hebeln a mit der Feder D in Verbindung gesetzt, die
auf einer der Traversen des Wagengestelles angebracht ist und deren Enden d' auf den ebenfalls auf dieser Traverse
festgeschraubten eisernen Platten reiben. Diese Mittheilung erfolgt durch einen
Hebel e, der bei e' ein
Gelenk hat, so daß er der Bewegung des Transmissionshebels a folgen kann. Man begreift, daß die natürliche Spannung oder Elasticität
der Feder D den Hebel a
gegen die große Feder B drängen und folglich die Räder
von dem Druck der Bremsschuhe befreien muß, indem zugleich die Köpfe der Buffer wieder
in ihre gehörige Stellung zurückkommen.
Man wird bemerken, daß wenn die Guérin'sche Bremse
sich nur auf die bisher beschriebenen Theile beschränkte, sie auch unter denjenigen
Umständen in Wirksamkeit treten würde, wo man einen oder mehrere Wagen von dem
ganzen Zuge abschiebt, was auf den Bahnhöfen häufig vorkommt. Dieß ist aber nicht
der Zweck des Erfinders; seine Bremse soll nur zum Aufhalten eines mit einer großen
Geschwindigkeit fahrenden Zuges dienen und ihre Wirksamkeit soll aufgehoben werden,
sobald diese Geschwindigkeit bedeutend nachgelassen hat oder fast ganz auf Null
reducirt ist.
Zur Erreichung dieses ganz speciellen Zweckes hat er auf der Hinterachse E des die Bremse tragenden Waggons einen Metallkranz f, Fig. 5 und 6, befestigt, welcher aus
zwei, mittelst Bolzen und Schraubenmuttern verbundenen Theilen besteht und zu beiden
Seiten mit zwei rechtwinkelig gegen die Achse liegenden Zapfen versehen ist. Auf
diesen Zapfen ist ein gußeiserner Muff G, welcher
ebenfalls aus zwei durch Schrauben g, g' verbundenen
Theilen besteht, so aufgelagert, daß er sich auf denselben um einen gewissen Bogen
drehen kann, wobei er wegen der Metallfedern, mit welchen die Zapfen umwickelt sind,
gegen den Metallkranz f immer centrirt bleibt. Die Größe
des Drehungsbogens ergibt sich aus Fig. 6.
In gleicher Ebene mit diesem Muff, aber hinter demselben, ist ein Hebel H an einer Traverse des Wagengestelles mittelst eines
Bügels h drehbar aufgehängt; dieser Hebel trägt in einer
gewissen Entfernung vom Aufhängepunkt eine, mit einem Gegengewicht i' belastete Stange i, deren
Zweck es ist, den Kopf des Hebels stets gegen die vorspringenden Theile des Muffes
G anzudrücken.
An dem mittlern Theil des Hebels H ist ein zweiter, um
einen Mittelpunkt l' beweglicher Bügel l angebracht; dieser Bügel besteht aus einem Stück mit
einer Stange m, deren Ende m' in eine Leitung eintritt, welche in der hinter dem Kopf des Zughakens
I befindlichen Traverse angebracht ist. Dieses Ende
m' trifft gegen den untern Arm eines an derselben
Traverse befestigten eisernen Winkelhebels p. Der äußere
Theil des horizontalen Armes dieses Winkelhebels legt sich gegen eine Schulter am
Zughaken an; die Stange I' des Zughakens ist mit dem
Rahmen der großen Feder B unwandelbar fest verbunden.
Diese Sperrung wird durch Fig. 4
veranschaulicht.
In Folge dieser Anordnung ergibt sich, wenn ein im schnellen Fahren befindlicher Zug
aufgehalten werden soll, folgende Wirkung: Bei der schnellen Bewegung, die der Achse
E und dem Metallkranz f
mitgetheilt wird, nimmt der Muff G eine rotirende Bewegung um die Zapfen des
Metallkranzes an und stellt sich in Folge der Centrifugalkraft rechtwinkelig gegen
die Wagenachse ein. Einerseits dadurch, daß der Muff zu wirken aufhört, anderseits
aber durch die Einwirkung des Gegengewichts i', nimmt
der Hebel H eine verticale Lage an; das Endstück m' der Stange m drückt gegen
den niederhängenden Arm des Winkelhebels und löst dadurch den Zughaken aus, dessen
Stange nun der Bewegung des Rahmens der Feder B folgen
kann. Wird unter diesen Umständen der Dampf abgesperrt und die Tenderbremse
angezogen, so werden nicht nur die Bremsbacken gegen die Räder angedrückt, sondern
es nimmt auch wegen der verminderten Centrifugalkraft der Muff G eine geneigte Lage gegen die Achse E an. In Folge hiervon nimmt auch der Hebel H eine geneigte Lage an, das Endstück m' der Stange m und der
Winkelhebel werden zurückgedrückt, und der horizontale Arm des letztern trifft gegen
die Schulter des Zughakens und bewirkt die Sperrung desselben. Gibt man unter diesen
Umständen dem mit mehreren anderen Wagen verbundenen Bremswagen eine rückgängige
Bewegung, so kann der Theil der Feder B, welcher mit den
Platten oder Querschienen a' in Berührung ist, nicht
mehr wirken, und werden die Buffer zurückgedrückt, so ertheilen die Stangen
derselben den Enden der Feder B nur eine Biegung um
ihren Mittelpunkt, welcher in Folge der eben beschriebenen Sperrung fest geworden
ist.
Wenn man auf einem Bahnzuge mehrere Bremsapparate dieser Art hat, so ist ihre Wirkung
um so besser, je näher sie dem Punkte sind, an welchem die Bremsung zuerst
vorgenommen wurde.
Man hat diesen Bremsapparat schon im J. 1855 auf der Orleansbahn geprüft; er wurde an
einem Wagen angebracht, der zu einem gewöhnlichen Zuge von 10 bis 12 Personenwagen
gehörte; der ganze Zug wurde in 50 bis 60 Metern Entfernung von der Stelle, wo man
den Bremsapparat in Wirksamkeit setzte, aufgehalten.
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Der französische Minister für Landwirthschaft, Handel und Staatsbauten hat eine
Commission ernannt, welche auf den Bahnen von Paris nach Orleans und von Paris nach
Corbeil Versuche mit dem Guérin'schen Bremsapparat
anstellte; in Uebereinstimmung mit den Ingenieuren der Orleansbahn gab diese
Commission ihr Gutachten dahin ab, daß dieser Apparat sicherwirkend und leicht
anwendbar, seine Benutzung auch mit keinen Uebelständen verbunden ist. – Die
eigentliche Bremse, welche 179 Kilogr. wiegt, kostet 357 Francs; der selbstwirkende
Apparat wiegt 76 Kilogr.
und kostet 171 Francs; der vollständige Bremsapparat kostet also 528 Francs. (Bulletin de la Société d'Encouragement,
März 1857.)