Titel: | Ueber das Anilin, seine Darstellung, Eigenschaften und wichtigsten Salze. |
Fundstelle: | Band 155, Jahrgang 1860, Nr. LXVIII., S. 210 |
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LXVIII.
Ueber das Anilin, seine Darstellung,
Eigenschaften und wichtigsten Salze.
Aus
Ure's Dictionary of
arts, manufactures, and mines: new edition, edited by Robert Hunt. London, 1859.
Ueber das Anilin, seine Darstellung, Eigenschaften und wichtigsten
Salze.
Da das Anilin (Syn. Phenylamin,
Krystallin, Kyanol, Benzidam) in der letzten Zeit in Folge des von Hrn.
William H. Perkin (in Greenford Green, bei Harrow)
mittelst desselben dargestellten violetten Farbstoffs für die Färberei und den
Zeugdruck eine große Wichtigkeit erlangt hat, so theilen wir eine kurze Beschreibung
seiner Darstellungsmethoden, Eigenschaften und wichtigsten Salze mit; eine
vollständige Zusammenstellung der bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen über
diese organische Base, deren Verbindungen und Zersetzungsproducte enthält das
„Handwörterbuch der Chemie von Liebig,
Poggendorff und Wöhler, zweite Auflage,
redigirt von Dr. Hermann v. Fehling.“
Darstellung. – a) Das
vortheilhafteste Rohmaterial zur Darstellung des Anilins im Großen ist wohl das
basische Steinkohlentheeröl, welches im Wasser untersinkt
(das sogenannte schwere Oel der Fabriken). Dieses Oel wird in Ballons mit
concentrirter Salzsäure geschüttelt, welche ihm die basischen Oele entzieht; die
klare Flüssigkeit, welche die chlorwasserstoffsauren Basen enthält, wird decantirt,
und dann über freiem Feuer abgedampft, bis sie anfängt stechende Dämpfe zu
entwickeln, welche eine beginnende Zersetzung anzeigen, wornach man sie filtrirt, um
anhaftende neutrale Verbindungen abzusondern. Die so erhaltene klare Flüssigkeit
wird mit Aetzkalilauge oder Kalkmilch zersetzt, welche die Basen in Form eines
braunen Oels frei machen, das hauptsächlich aus einem Gemisch von Anilin
(C¹²H⁷N) und Leucolin oder Chinolin
(C¹⁸H⁸N) besteht. Dieses Gemisch wird der Destillation
unterzogen, und das Anilin findet sich hauptsächlich in demjenigen Theil, welcher
bei ungefähr 182° Cels. übergeht; durch wiederholtes Rectificiren und Sammeln
des bei dieser Temperatur destillirenden Products wird das Anilin gereinigt. Um das
so theilweise
gereinigte Anilin vollständig zu reinigen, behandelt man es noch einmal mit
Salzsäure, scheidet die Basen wieder durch ein Alkali ab, und rectificirt es dann
sorgfältig. Um bei diesem Verfahren zu ermitteln, ob noch Anilin übergeht, prüft man
das Destillat von Zeit zu Zeit mit Chlorkalkauflösung, welche dem Anilin eine tief
purpurviolette Färbung ertheilt, dem Leucolin aber nicht.
b) Aus Indigo erhält man das
Anilin, indem man die fein pulverisirte Substanz so lange in eine siedende
concentrirte Kalilauge einträgt, als sie sich darin mit gelber Farbe löst. Die
Lösung wird eingedampft und über freiem Feuer destillirt. Die Operation wird mit
Vortheil in einer eisernen Retorte vorgenommen.In England kommen im Handel gußeiserne Papin'sche
Töpfe von jeder Größe vor, mit dampfdicht aufgeschliffenem Deckel, welcher
durch Keile festgepreßt wird. Wenn man das Sicherheitsventil aus dem Deckel
ausbricht und in die Oeffnung eine gebogene eiserne Gasröhre einschraubt, so
hat man den besten und wohlfeilsten Apparat für die Darstellung des Anilins,
so wie für zahlreiche ähnliche Operationen. (Fehling.) Die Ausbeute verringert sich, wenn man mehr als 1 bis 2 Pfund Indigo auf
einmal verarbeitet. Ein Pfund guten käuflichen Indigos erfordert wenigstens 3 Pfund
rohen Kalihydrats. Das Gelingen der Darstellung hängt vorzugsweise von der Länge der
Zeit ab, welche der Indigo mit der concentrirten Kalilauge im Sieden erhalten wird.
Wenn man mit 2 Pfund Indigo arbeitet, so lasse man die Mischung 2 bis 3 Tage lang
kochen, unter steter Erneuerung des verdampften Wassers. Nach Verlauf dieser Zeit
löst sich die Masse mit rein gelber Farbe in Wasser auf; man dampft nunmehr ein, bis
dieselbe ruhig fließt und destillirt nach Aufsetzen des Helmes aus einer
Sandcapelle, die allmählich zum Glühen erhitzt werden kann. Aus dem unmittelbaren
Destillate, welches viel Ammoniak und je nach der Reinheit des Indigos mehr oder
weniger nicht basisches Oel enthält, wird das Anilin durch Auflösen des Gemisches in
einer heißen alkoholischen Lösung von Oxalsäure gewonnen, indem sich beim Erkalten
derselben Nadeln von von oxalsaurem Anilin abscheiden; man hat dieses Salz nur noch
durch ein Alkali zu zersetzen, die abgeschiedene Base durch geschmolzenes Kalihydrat
zu entwässern und einer letzten Destillation zu unterwerfen, um das Anilin
vollkommen rein zu erhalten. In den besten Operationen liefert ein Pfund käuflichen
Indigos nicht mehr als 3 bis 3 1/2 Unzen reines Anilin. (Fehling.)
Durch Behandlung mit Kali wird das Indigoblau (C¹⁶H⁵NO²)
in Chrysanilsäure und Anthranilsäure (C¹⁴H⁷NO⁴)
umgewandelt; letzterer Körper liefert durch trockne Destillation Kohlensäure und
Anilin:
C¹⁴H⁷NO⁴ =
C¹²H⁷N + 2 CO².
c) Zur Darstellung des Anilins aus NitrobenzolZur Darstellung des Nitrobenzols bringt man Benzol allmählich zu warmer
rauchender Salpetersäure, die beim Erkalten Nitrobenzol als ein gelblich
gefärbtes Oel von intensiv süßem Geschmack und starkem dem Bittermandelöl
ähnlichem Geruch abscheidet, das mit Wasser gewaschen und nach dem Trocknen
über Chlorcalcium durch Destillation rein erhalten wird. wird eine Auflösung desselben in Alkohol mit Ammoniak und alsdann mit
Schwefelwasserstoff gesättigt. Nach 24 Stunden ist der Schwefelwasserstoff zersetzt,
indem sich Schwefel ausgeschieden hat. Man wiederholt die Operation, so lange sich
noch Schwefel absetzt. Der Proceß wird außerordentlich beschleunigt, wenn man die
Flüssigkeit nach dem Sättigen in einer Retorte zum Sieden erhitzt. Auf die eine wie
auf die andere Art ist es schwer, alles Nitrobenzol in Anilin umzuwandeln. Sobald
der Schwefelwasserstoff nicht mehr zerlegt wird, versetzt man die Flüssigkeit mit
Chlorwasserstoffsäure, destillirt den Alkohol ab und scheidet aus dem rückständigen
salzsauren Salze die Base durch Kalihydrat. Die Trennung von Ammoniak wird durch
Umwandlung in oxalsaures Salz und Destillation bewirkt.
Die Umwandlung des Nitrobenzols in Anilin durch Einwirkung von Schwefelwasserstoff
erfolgt nach der Formel:
Textabbildung Bd. 155, S. 212
Nitrobenzol; Anilin
Um das Nitrobenzol in Anilin umzuwandeln, ist der Anwendung des Schwefelwasserstoffs
die Behandlung mit Essigsäure und Eisenfeile nach der Methode von Béchamp vorzuziehen. Zu diesem Zweck hat G. Williams folgende Verhältnisse entsprechend gefunden: man
mischt in einer Retorte 1/4 Pfd. Eisenfeile mit beiläufig 2 Unzen Essigsäure, und
setzt dann beiläufig ein gleiches Volum Nitrobenzol zu. Nach wenigen Minuten tritt
ein lebhaftes Aufbrausen ein, und das Anilin destillirt nebst Wasser über. Bisweilen
muß die Reaction durch Anwendung einer sehr gelinden Wärme befördert werden; sie
findet aber mit der größten Leichtigkeit statt, und man hat nur eine genügende
Condensationsvorrichtung anzuwenden. Da das Anilin nahezu die Dichtigkeit des
Wassers hat, so sondert es sich nicht leicht auf der Oberfläche ab, aber der Zusatz
von wenigen Tropfen Aether, welcher sich im Anilin auflöst, bringt es auf die
Oberfläche. Man kann es dann decantiren, worauf man es behufs des Trocknens kurze
Zeit über Chlorcalcium stehen läßt, und hernach durch Rectification reinigt.
– Die Darstellung nach dieser Methode scheint nicht so gut zu gelingen, wenn
man mit großen Quantitäten arbeitet.
d) Laurent hat die
Beobachtung gemacht, daß mit Aetzammoniak gesättigte Phenylsäure, in einer
zugeschmolzenen Glasröhre lange Zeit auf 300° Cels. erhitzt, Anilin
erzeugt:Diese Umsetzung des phenylsauren Ammoniaks ist vielleicht zur Darstellung des
Anilins im Großen anwendbar. Zur Bereitung der Phenylsäure (Carbolsäure, im
Handel unter dem Namen Kreosot vorkommend sammelt
man die zwischen 150° und 200° (C. übergehenden Theile des
Steinkohlentheeröls für sich, und versetzt sie mit einer sehr concentrirten
Aetzkalilauge; das Gemisch bildet eine krystallinische Masse welche
hauptsächlich aus phenylsaurem Kali besteht. Dieses Salz löst man in Wasser
aus, decantirt dann die Flüssigkeit und sättigt sie mit Salzsäure: die fast
unauflösliche Phenylsäure scheidet sich sogleich ab. Man kann sie leicht
decantiren, und reinigt sie, indem man sie wiederholt bei einer Temperatur
von 5 bis 10° C. krystallisiren und jedesmal abtropfen läßt. A. d.
Red.
NH³, HO, C¹²H⁵O =
C¹²H⁷N + 2 HO.
Eigenschaften des Anilins. – Man kann das Anilin
als Ammoniak betrachten, worin ein Aequivalent Wasserstoff durch das
zusammengesetzte Radical Phenyl
(C¹²H⁵) ersetzt ist, nämlich:
N
C¹²H⁵HH
Gerade so wie das Phenyl ein Glied einer Reihe homologer
Radicale ist, ist das Anilin das erste Glied einer Reihe
homologer Basen, worin ein Aequivalent Wasserstoff durch eines dieser Radicale
ersetzt ist, nämlich:
Phenyl
C¹²H⁵
– Anilin
N
C¹²H⁵H²
Toluol
C¹⁴H⁷
– Toluidin
N
C¹⁴H⁷H²
Xylen
C¹⁶H⁹
– Xylidin
N
C¹⁶H⁹H²
Cumyl
C¹⁸H¹¹
– Cumidin
N
C¹⁸H¹¹H²
Cymol
C²⁰H¹³
– Cymidin
N
C²⁰H¹³H²
Im reinen Zustande ist das Anilin eine farblose ölartige Flüssigkeit, von 1,028 spec.
Gewicht, und weinartigem Geruch. Von Wasser wird es in geringer Menge aufgelöst, mit
Alkohol und Aether vermischt es sich in allen Verhältnissen. Es siedet bei
182° C. Es löst Schwefel und Phosphor in der Kälte auf, und coagulirt Eiweiß.
Es scheint nicht absolut giftig, aber von schädlicher Wirkung auf den thierischen
Organismus zu seyn.
Die wässerige Lösung des Anilins hat eine außerordentlich schwache alkalische
Reaction, welche nur durch die empfindlichsten Papiere erkannt werden kann. Sie
scheidet, gerade so wie das Ammoniak, aus den Salzen des Eisenoxyduls, des
Eisenoxyds, des Zinkoxyds und der Thonerde die Basen aus. Das Anilin bildet auch wie
das Ammoniak mit Platinchlorid und Palladiumchlorid gelbe Doppelverbindungen. Eine
charakteristische Reaction des Anilins ist, daß die kleinste Spur dieses Körpers
einer Auflösung von Chlorkalk (überhaupt unterchlorigsauren Salzen) eine prächtige
blaue oder violette Färbung ertheilt.
Anilinsalze. – Das Anilin verbindet sich mit den
Säuren zu einer Reihe von Salzen, welche in jeder Hinsicht den entsprechenden
Ammoniaksalzen analog sind. Diese Salze sind ausgezeichnet durch die Leichtigkeit,
mit welcher sie krystallisiren, daher die Base den Namen Krystallin erhielt; beim Zusammenbringen der Base mit den meisten Säuren
entsteht sofort ein Krystallbrei, welcher nur in siedendem Wasser oder Alkohol
aufgelöst zu werden braucht, um beim Erkalten in der Regel wohlausgebildete
Krystalle zu erhalten. Die krystallisirten Anilinsalze sind fast alle weiß, nehmen
aber an der Luft eine rosenrothe Farbe an. Die mineralischen Alkalien zersetzen
dieselben und machen das Anilin frei.
Schwefelsaures Anilin. – Dieses Salz
(C¹²H⁷N; HO, SO³) wird bei der Fabrication der
verschiedenen Nüancen von Anilinviolett nach Perkin's
Methode angewendet. Um es darzustellen, behandelt man das Anilin mit verdünnter
Schwefelsäure, und dampft langsam ab bis sich das Salz abscheidet. Aus kochendem
Alkohol krystallisirt es in glänzenden farblosen Tafeln, denn das Salz ist in kaltem
Alkohol fast gar nicht löslich. In Wasser ist es leicht löslich, aber in Aether
unlöslich. Die Krystalle werden an der Luft rosenroth; man kann sie auf den
Siedepunkt des Wassers erwärmen ohne daß sie eine Veränderung erleiden, aber in
höherer Temperatur zerlegt sich das Salz vollständig, indem schweflige Säure und
schwefligsaures Anilin entweichen und Kohle zurückbleibt.
Oxalsaures Anilin (C¹²H⁷N; HO,
C²O³). – Der beim Vermischen von Anilin mit Oxalsäure
entstehende Krystallbrei wird aus siedendem Wasser umkrystallisirt. Beim Erkalten
scheiden sich glänzende, sternförmig vereinigte triklinometrische Prismen ab, welche
in Aether unlöslich, in absolutem Alkohol schwierig löslich sind. Das Salz kann
nicht bei 100° C. getrocknet werden.
Die Salze, welche das Anilin mit Chlor-, Brom- und Jodwasserstoffsäure,
Salpetersäure, Phosphorsäure, Citronensäure, Weinsteinsäure etc. bildet, bieten zur
Zeit nur ein rein wissenschaftliches Interesse dar, was auch von den mannichfaltigen
Zersetzungsproducten dieser organischen Base gilt.