Titel: | Das Gußstahl-Scheibenrad des Bochumer Vereins für Bergbau und Gußstahlfabrication; mitgetheilt von F. Henckel, Civilingenieur in Cassel. |
Autor: | Friedrich Henckel |
Fundstelle: | Band 156, Jahrgang 1860, Nr. VI., S. 12 |
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VI.
Das Gußstahl-Scheibenrad des Bochumer
Vereins für Bergbau und Gußstahlfabrication; mitgetheilt von F. Henckel, Civilingenieur in Cassel.
Mit Abbildungen auf Tab.
I.
Henckel, über das Gußstahl-Scheibenrad des Bochumer
Vereins.
Der Bochumer Verein befindet sich bekanntlich im Besitze des ihm patentirten, von
seinem technischen Director Hrn. Jacob Mayer erfundenen
Verfahrens, Façonstücke aus Gußstahl zu gießen. Für diesen wichtigen
Fortschritt auf dem Gebiete der Stahlfabrication wurde dem Bochumer Verein auf der
Pariser Weltausstellung die große goldene Ehrenmedaille und dem Erfinder, Hrn. Mayer, das Kreuz der Ehrenlegion verliehen.
Die erste Anwendung fand der Gußstahl-Fayonguß in der Bochumer Fabrik zur
Herstellung der Stahlglocken, die sich bereits seit Jahren einer so wohl verdienten
und täglich allgemeiner werdenden Anerkennung erfreuen.
Nachdem sich dann die neue Erfindung auch zur Anfertigung von mannichfachen
Maschinentheilen als sehr geeignet bewährt hatte, ist sie in neuerer Zeit besonders
dem Eisenbahnwesen dienstbar gemacht worden.
Zunächst war es die Herstellung von Bandagen, die auf dem neuen Wege versucht und zu
vollem Gelingen gebracht wurde.
Die Gußstahl-Bandagen des Bochumer Vereins werden als Ringe gegossen und
schließlich einer kräftigen Auswalzung unterworfen. Solche Bandagen haben sich, trotz aller
Vorurtheile und Angriffe, auf einer großen Zahl von Eisenbahnen: der königlich
hannoverschen, der Köln-Mindener, bergisch-märkischen,
Aachen-Düsseldorfer, der Saarbrücken westphälischen, der
österreichisch-französischen Staats-Eisenbahn u.a.m. bereits
vollkommen bewährt. Und doch waren die bisher vom Vereine gelieferten Bandagen mit
noch unvollkommenen Mitteln hergestellt, wozu besonders das Auswalzen derselben in
England auf nicht genügend starken Walzwerken zu rechnen ist. Sobald der Verein in
nächster Zeit sein im Bau begriffenes, sehr kräftiges Bandagen-Walzwerk in
Betrieb setzt, wird er für die Fabrication von Gußstahl-Bandagen in
großartiger Weise eingerichtet seyn und solche dann in allen Dimensionen und in
rascher und vorzüglicher Ausführung liefern können.
Nachdem durch die Gußstahl-Bandage allen Anforderungen welche die
Eisenbahntechnik an diesen Theil des Rades stellt, vollkommen genügt worden, trat
nunmehr die Aufgabe in den Vordergrund, nicht nur den Reifen, sondern ein ganzes Rad
aus Gußstahl, als dem unbedingt vorzüglichsten Materiale, herzustellen. Dieser
Aufgabe hat der Bochumer Verein in neuester Zeit eine Lösung gegeben, welche sich
sicherlich den Beifall der Eisenbahn-Techniker erringen wird. Es ist ihm
nämlich gelungen, von jener Erfindung die glückliche Anwendung zu machen: Gußstahl-Scheibenräder herzustellen, bei denen
Nabe, Scheibe und Spurkranz als ein einziges Stück gegossen werden. Von diesen
Waggonrädern laufen sechs Stück seit etwa 6 Monaten unter einem Gepäckwagen im
Personenzuge der Köln-Mindener Bahn und zeigen nach etwas über 5500
durchlaufenen Meilen erst 1/4 Linie gleichmäßige Abnutzung. Bei derselben Bahn sind
auch Locomotivräder seit Kurzem im Betriebe. Die Scheibe des Waggonrades ist in
radialer Richtung etwas wellenförmig gebogen, damit nachtheilige Spannungen beim
Gießen vermieden werden und das Rad den wünschenswerthen Grad von Elasticität
erhält. Bei dem Locomotivrade haben ebenfalls Rücksichten auf gute Gießbarkeit dazu
geführt, statt des einen erforderlichen, drei Kurbelzapfenaugen symmetrisch um die
Nabe herum anzuordnen.
Obgleich die großen und vielen Vorzüge des Gußstahl-Scheibenrades allen
Eisenbahn-Technikern in die Augen springen werden, so sey es doch gestattet,
einige derselben kurz anzudeuten:
1) Das neue Rad gewährt zunächst alle Vortheile, welche die Scheibenräder gegenüber
den Speichenrädern besitzen und die in Hervorrufung eines kleineren
Luftwiderstandes, in geringerem Aufwirbeln des Staubes und dadurch herbeigeführter
besserer Conservirung der Achslager, und endlich besonders darin bestehen, daß
Scheibenräder ihre runde Form weit besser beibehalten als Speichenräder, bei denen immer eine
Tendenz zum Polygonalwerden vorhanden ist.
2) Das Gußstahl-Scheibenrad vereinigt in sich die Vorzüge, welche dem
schmiedeeisernen Scheibenrade mit Bandage und dem gußeisernen Blockrade einzeln
eigen sind, schließt dagegen die Nachtheile dieser beiden Constructionen aus. Das
Bochumer Rad dürfte daher wohl das beste seyn, welches sich für
Eisenbahn-Fahrzeuge überhaupt herstellen läßt.
3) Das Rad besteht aus einem Materiale, dessen Festigkeit – bis zu den
Elasticitätsgränzen – mindestens doppelt so groß ist, als die von gutem
Schmiedeeisen.
4) Da das Rad ein einziges Stück ist, so fallen mit Ausnahme des Abdrehens alle
Unterhaltungskosten weg.
5) Weil an dem Rade – außer dem seltenen Abdrehen – keine Reparaturen
vorkommen, so ist seine Leistungsfähigkeit eine größere, als bei einem Rade von
irgend einer andern Art, das nicht aus einem Stücke besteht.
6) Unfälle, wie sie bei anderen Rädern durch das Losgehen von Nieten, Schrauben oder
Keilen, oder durch das Springen der Bandage vorkommen, sind bei dem
Gußstahl-Scheibenrade vermöge seiner Construction nicht möglich.
7) Das Abnutzen des Radkranzes ist ein eben so geringes, wie bei Rädern mit
Gußstahl-Bandagen.
8) Ist endlich der Radkranz bis zu der geringsten zulässigen Dicke abgeschliffen, so
hat man es in der Hand, ihn durch Abdrehen des Spurkranzes zu einem Unterreifen für
eine aufzuziehende Bandage zu machen.
Die außerordentliche Haltbarkeit der Bochumer Gußstahl-Scheibenräder wurde vor
Kurzem durch Versuche auf den Stahlwerken des Bochumer Vereins nachgewiesen.
Es waren dabei Seitens der Köln-Mindener Eisenbahn die HHrn.
Betriebs-Director Baurath Leopold,
Obermaschinenmeister Weidtmann, Vorsteher der
Wagen-Verwaltung Bauinspector Hesekiel und
Oberwerkführer Wruck zugegen. Die Einrichtung des
Versuchsapparates ist aus den Figuren 15, 16 und 17 zu ersehen.
An einen starken gußeisernen Rahmen a sind vier Lager
b angegossen, in welche zwei Traversen c drehbar eingelegt sind. Letztere bilden in der Mitte
zwei mit Schalen und Deckeln versehene Lager d, in
welchen die Zapfen der Achse, auf der das zu untersuchende Rad sitzt, befestigt
werden. Die Achse ist so gegen Verschiebungen in ihrer Längenrichtung gesichert. Die
gegen das Rad geführten Schläge werden durch eine pendelartig aufgehängte Kugel im
Gewichte von 780 Pfd. bewirkt. Um die Durchbiegung des Rades an der geschlagenen Stelle
zu messen, ist derselben gegenüberstehend ein Hebelarm e
angebracht, der an der Radnabe gut befestigt ist. Durch das Ende desselben ist ein
Stäbchen M hindurchgesteckt; vor jedem Schlage wird
dieses gegen den Radkranz angedrückt und zeigt dann durch sein Zurückweichen die
Größe der Durchbiegung an. In analoger Weise sind die Durchbiegungen der Achse an
verschiedenen Stellen gemessen worden, indem Stäbchen A, B,
C, D und E gegen die Achse angedrückt
wurden.
Die beiden den Proben unterworfenen Scheibenräder hatten einen Durchmesser von 37
1/2'', die Scheibe war an der Nabe 1 1/4'' und am Radkranz 1/2''
dick. Bei dem ersten Versuche saß das Rad auf einer 4zölligen Gußstahl-, bei
dem zweiten auf einer 5zölligen Feinkornachse.
Die unten folgenden Tabellen enthalten die Resultate der Versuche. Bei dem ersten
erfolgte der Bruch des Rades durch Abreißen der Nabe von der Scheibe. Beim zweiten
Versuch zerbrach der Apparat beim 11ten Schlage, bevor es gelungen war, das Rad auch
nur im mindesten zu beschädigen. Es soll nun in nächster Zeit noch eine größere
Reihe ähnlicher Versuche angestellt und zum Vergleiche auch andere Radconstructionen
in den Kreis derselben hineingezogen werden.
Zur Prüfung der ökonomischen Vortheile des neuen Rades dürfte noch die Mittheilung
der einstweiligen Preisnotirung am Platze seyn.
1) Ein vollständiger Satz, eine 4zöllige gedrehte
Gußstahlachse mit zwei aufgezogenen,
aber nicht abgedrehten Scheibenrädern,
im Gewicht von circa 1650 Pfd.
300 Thlr.
2) Ein Waggonrad mit gelochter Nabe im Gewicht von circa
700 Pfd.
120 „
3) Locomotivräder mit gelochten Naben und Kurbelwarzen
(bis zu 4'
Durchmesser)
a) unabgedreht pro Centner
20 „
b)
abgedreht „ „
24 „
Hiernach stellt sich der Preis pro Satz Waggonräder
immerhin fast doppelt so hoch, als der durchschnittliche von feinkorneisernen, resp.
puddelstählernen. Dagegen erklärt sich der Verein zur Uebernahme von Garantien für
eine mindestens dreifache Leistung bereit, und ist auch erbötig, das Material
abgenutzter Räder zum Preise von 4 Rthlr. pro Centner
demnächst zurückzunehmen.
Ister Versuch.
Dimensionen der Gußstahl-Achse. Länge von Mitte zu Mitte
der Schenkel 6', Durchmesser an der Nabe 4'', in der Mitte 3'' 10'''.
Textabbildung Bd. 156, S. 15
Nummer der Schläge.;
Ablenkungswinkel in Graden.; Fallhöhe der Kugel von 780 Pfund.; Durchbiegung des
Rades.; innerhalb der Elasticitäts-Gränze.; Bleibende Durchbiegung.;
Durchbiegung der Achse.; innerhalb der Elasticitätsgränze.; Bleibende
Durchbiegung.; Bemerkungen.; Fuß.; Zoll.; Linien.; Bei 10' 3'' Fallhöhe der
Kugel die Elasticitätsgränze der 4zöllig. Gußstahlachse überschritten.
IIter Versuch.
Dimensionen der Feinkorn-Achse. Länge von Mitte zu Mitte
der Schenkel 6 1/2', Durchmesser an der Nabe 5'', in der Mitte 4'' 10'''.
Textabbildung Bd. 156, S. 16
Nummer der Schläge.;
Ablenkungswinkel in Graden.; Fallhöhe der Kugel von 780 Pfund.; Durchbiegung des
Rades.; innerhalb der Elasticitäts-Gränze.; Bleibende Durchbiegung.;
Durchbiegung der Achse.; innerhalb der Elasticitätsgränze.; Bleibende
Durchbiegung.; Bemerkungen.; Fuß.; Zoll.; Linien.; Bei 6' 8'' Fallhöhe der Kugel
die Elasticitätsgränze der 5zöllig. Feinkorn-Achse überschritten.; Der
Versuchsapparat brach entzwei.
Das Verhalten der Bochumer Gußstahlachsen gegen eiserne zeigte sich auch bei diesen
Versuchen ähnlich den auf Anordnung Sr. Excellenz des königl. preuß.
Handelsministers von dem königl. Commissär Hrn. Regierungs- und Baurath Fromme, in Gegenwart von Commissären der
Köln-Mindener, königl. westphälischen, anhaltischen und
Aachen-Düsseldorfer Eisenbahnen am 21. April v. J. in den Bochumer
Gußstahlwerken vorgenommenen Elasticitätsversuchen.
Damals bestand der Versuchsapparat aus einem gußeisernen Gestell, in welches die
Achsen mit einem Nabentheil (gleichwie in der wirklichen Nabe) horizontal
eingespannt waren. Die Belastung wurde auf die Mitte des freiliegenden Schenkels
aufgehängt und die Durchbiegungen (Ordinaten) gegen ein genau gerade gehobeltes,
horizontal unter der Achse befestigtes Lineal an verschiedenen Abscissenpunkten
gemessen.
Die Resultate dieser Versuche sind in nachstehender Tabelle enthalten.
Textabbildung Bd. 156, S. 17
Bezeichnung der Achsen;
Durchmesser; Elasticitätsgränze überschritten bei einer Belastung von Ctr.;
Bleibende Durchbieg. am äußersten Ende des freien Nabentheiles 55'' 5''' v. der
Befestigungsstelle gemessen; im Naben theil; in der Mitte; Belastung Ctr.;
Durchbiegung Linien; I. Eiserne Bündelachse von Phönix; II. Eiserne Bündelachse
von Kirkstall (England); III. Eiserne Bündelachse von Kirkstall (England); IV.
Gußstablachse des Bochumer Vereins
Es ist demnach die Tragfähigkeit 4zölliger Gußstahlachsen wesentlich größer als
5zölliger eiserner Achsen, und gewährt die Anwendung ersterer, als Ersatz für
letztere, bei gleicher Belastung größere Sicherheit.
Nachschrift.
Hr. Kleinheinz, königl. Maschinenmeister beim
Ober-Post- und Bahnamte Augsburg, hat ein ihm vom Bochumer Verein
zugeschicktes Stück Rohguß eines Gußstahlscheibenrades auf verschiedene Weise durch
Schmieden geprüft, wobei immer ein ungemein zähes und compactes Material erhalten
wurde und ein außerordentlich feinkörniger Bruch zum Vorschein kam; dieses Material
erträgt auch unbeschadet eine leichte Schweißhitze. Er ließ aus dem Rohgußstück drei
Meißel anfertigen, um zu ermitteln ob dieses Material nicht Anwendung für Werkzeuge
finden könnte, was jedoch nicht der Fall ist, denn die Meißel wurden entweder
sogleich stumpf oder sprengten ab. Dagegen wird der Bochumer Stahlguß sehr
vortheilhaft benutzt werden können, um Maschinentheile welche eine große
Widerstandsfähigkeit besitzen müssen, aus demselben statt aus Eisen zu
schmieden.
Die Redaction d. p. J.