Titel: | Versuche über die Desinfection von unterirdischen städtischen Canälen mit Luftzügen und Gossen-Einflüssen; von Dr. Grouven, Director der agricultur-chemischen Versuchsstation zu Salzmünde a. d. Saale. |
Autor: | Grouven |
Fundstelle: | Band 156, Jahrgang 1860, Nr. XXI., S. 54 |
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XXI.
Versuche über die Desinfection von unterirdischen
städtischen Canälen mit Luftzügen und Gossen-Einflüssen; von Dr. Grouven, Director der
agricultur-chemischen Versuchsstation zu Salzmünde a. d. Saale.
Mit Abbildungen auf Tab.
I.
Grouven, Versuche über die Desinfection von unterirdischen
städtischen Canälen mit Luftzügen und Gossen-Einflüssen.
Die unterirdischen großen Canäle, welche man in Städten erbaut zur Aufnahme und
Wegführung der Straßenwasser, Gossen-, Latrinen- und Fabrikwasser
aller Art, finden sich bis auf die neueste Zeit hin so construirt, daß der Canal
überall geschlossen ist und nur an seinen Aus- und Einflüssen mit der
Oberwelt communicirt.
Man constatirt bei allen solchen Canälen, daß sie:
1) die Quelle eines unerträglichen Gestankes sind, welcher
beständig aus den Einfluß- und Ausfluß-Oeffnungen hervorquillt;
2) wegen dieses giftigen Geruches, welcher in ihnen stagnirt,
nur mit Lebensgefahr betreten werden können, was besonders hinderlich ist, wenn sich
der Canal einmal verstopft oder verschlammt hat und gereinigt werden muß;
3) keine große Dauerhaftigkeit besitzen, indem sie,
wahrscheinlich in Folge der feuchten, faulen Luft, welche in ihnen stecken bleibt,
– allmählich in ihrem Gemäuer vermodern und zuletzt einfallen.
Diese schweren Uebelstände, welche nicht beseitigt werden zu können schienen, hat man
in neuester Zeit auf Grund eines ganz richtigen Gedankens zu beseitigen gesucht.
Anstatt nämlich den Canal von der Oberwelt ängstlich abzusperren, will man ihn
vielmehr überall frei nach Oben hin ausmünden lassen vermittelst senkrecht
angebrachter Luftschachte (Fig. 1, a).
Man sagte nämlich: Die Luft von Außen darf nicht vom Canale abgesperrt werden, sie
muß dagegen frei in denselben treten und darin circuliren, damit sie mit ihrem
Sauerstoffe, welcher der wirksamste Zerstörer aller stinkenden miasmatischen Gase
ist, die Canalluft reinigen und stets erneuern kann. Wird dieser Zutritt durch
Schachte bewirkt, welche überall vom Canale aus aufsteigen, so bewirkt die
Temperaturdifferenz der Luft im Canale und der äußeren atmosphärischen Luftgrade die
Beschleunigung der Circulation. Die schwere kalte Luft steigt nieder, wogegen die
wärmere und stets mit Wasser gesättigte und daher leichtere Luft des Canals
emporsteigt.
Demgemäß baute man zuerst in England die Canäle so, daß von je 100 à 100 Fuß ihrer Länge ein Luftschacht von
1–2 Fuß Durchmesser angebracht war. Letzterer wurde oben mit einem Roste
verschlossen, so daß er ohne Schwierigkeit und Gefahr in die Straßen einer Stadt
münden konnte.
Die wenigen Jahre der Erfahrung mit diesen Canälen bewiesen bald, daß bei der neuen
Einrichtung zwei der früheren Uebelstände beseitigt seyen. Die Luft in solchen
Canälen war nämlich respirabel geworden, so daß man ziemlich bequem zu jeder Zeit
den Canal revidiren und reinigen konnte; ferner war die Luft trockener wie früher
und schadete nicht mehr dem Mauerwerk.
Aber der dritte Uebelstand der geschlossenen Canale war nicht genügend gemildert. Die
aus den Schachten hervorströmende Luft blieb immer noch sehr stinkend, so daß die
Straßen, durch welche der Canal sich hinzog, durch die entquellenden Dünste immerhin
noch stark belästigt wurden. Die neue Einrichtung war mehr dem Canale selbst, als
der Annehmlichkeit und Gesundheit der Stadtbewohner zu Gute gekommen. Sie blieb
daher seitens der letzteren allenthalben starkem Tadel ausgesetzt.
Ein Beispiel für Alles das gibt die Stadt Köln, welche vor drei Jahren einen weit
durch die Stadt sich hinziehenden Canal mit einem Kostenaufwand von circa 100,000 Thlr. nach dem neuen System erbaute. Der
Canal zieht sich in einer Länge von 1/2 Meile und einer Tiefe von 10–25 Fuß
unter dem Pflaster der Stadt her. Er ist aus Backsteinen erbaut, im Lichten 5 Fuß
hoch und 3 1/2 Fuß breit. Von je 10 à 10 Ruthen
seiner Länge befindet sich ein auf die Straße mündender Luftschacht von 18 Zoll
Durchmesser im Lichten. Durch kleine seitliche Zuflußcanäle empfängt er alle
Straßen- und Gossenwasser, Latrinenwasser aus Casernen, Spitälern und
Privathäusern, endlich noch Fabrikwasser jeder Art, so daß stets, selbst bei
trockener Witterung, 1–2 Fuß hoch Wasser darin forttreibt dem Rheine zu bei mäßigem Gefälle (per Secunde 3 Fuß Geschwindigkeit).
Man kann diesen Canal ohne große Belästigung passiren, wie ich das im Verlaufe meiner
Untersuchung mehrmals selbst gethan habe; auch sind die Wände desselben trocken und
ihre Cementbekleidung noch ganz frisch und unversehrt. Aber das Schlimme ist der aus
den Luftschachten aufsteigende Geruch, welcher zu gewissen Zeiten wahrhaft
pestilentialisch ist – namentlich bei nebligem Wetter, sowie bei starker
Hitze und Gewitterschwüle, wo die Luft mit Wasser gesättigt und daher leichter ist,
ferner nach plötzlichem Temperaturwechsel – und die Bewohner der vom Canale
durchschnittenen Straßen zu den lebhaftesten Klagen und Beschwerden wiederholt
veranlaßt hat.
Beim besten Willen vermochte die Stadt jedoch bisher diesen Klagen nicht abzuhelfen;
der Geruch des neuen Canales, so tröstete man sich, sey ein nothwendiges Nebel.
Der einsichtslose Theil der Stadtbewohner verlangte Schließung der Canalschachte, so
daß gar keine Luftcirculation mehr stattfinden könne; dieser Forderung konnte
natürlich nicht nachgegeben werden.
Die städtische Bauverwaltung machte zur Abhülfe den Vorschlag, die Luftcirculation in
den Lucken bestehen zu lassen, aber die Luftschachte nicht auf der Oberfläche der
Straßen, sondern hoch über den Häusern ausmünden zu lassen vermittelst eiserner 6
Zoll weiten Röhren, die an der Fronte der Häuser hinaufgeleitet, eine Verlängerung
der Canalschachte bilden sollten. Dieser Vorschlag wurde aber wegen seiner
Kostspieligkeit und weil die Häuserbesitzer sich für die Anlage solcher Kamine nicht
geneigt zeigten, aufgegeben.
Wieder Andere empfahlen als Abhülfmittel die Herstellung einer großen Wasserleitung
durch die Straßengossen. Aber abgesehen davon, daß eine solche künstliche
Wasserleitung für Köln mindestens 1/2 Million Thaler kostet und wegen, mangelnden
Gefälles stellenweise gar nicht anzubringen ist, möchte ich bei der Ansicht
verharren, daß dadurch die üblen Ausdünstungen aus dem Canale dennoch nur
unvollkommen sich beseitigen.
So stand die Sache, als das königl. Bürgermeisteramt zu Köln mich einlud (durch
Zuschrift vom 14. December 1858) diesem Gegenstande einmal meine Aufmerksamkeit
zuzuwenden und namentlich zu versuchen, ob den Ausdünstungen des Canals nicht durch
chemische Mittel und Processe vorgebeugt werden könne.
Die allgemeine Wichtigkeit dieser Aufgabe wohl einsehend, entschloß ich mich ihre
Lösung zu versuchen. Im Nachfolgenden erlaube ich mir den Gang und den Erfolg meiner
Untersuchungen zu beschreiben und zu begründen.
I. Beschreibung meiner bezüglichen
Untersuchungen.
Ich begann meine Untersuchungen mit der Prüfung des sehr nahe liegenden Gedankens,
alle Flüssigkeit die im Canale wegfließt zu desinficiren.
Die üblen Ausdünstungen des Canales rühren nur her von den in ihm treibenden
Flüssigkeiten. Gelingt es durch Zusatz irgend einer Substanz letztere zu
desinficiren oder in ihrem Fäulnißprocesse zu hemmen, so wäre folgerichtig damit
auch die Quelle des üblen Geruches im Canale verstopft und damit der beabsichtigte
Zweck erreicht. Das Zusetzen jener Substanz könnte man einfach so bewerkstelligen,
daß am obersten Ende (am Anfange des Canales) ein Behälter aufgestellt würde, aus
welchem ununterbrochen das Desinficirmittel – in Wasser gelöst oder
aufgerührt – in den Canal flösse, um sich mit den darin befindlichen
Flüssigkeiten zu mischen. Die Menge der so per Secunde
oder per Tag nothwendigen Flüssigkeit müßte nach der
Quantität und Qualität der ganzen Wassermasse berechnet werden, welche per Secunde oder per Tag am
untersten Ende des Canales ausfließt.
Es kommt natürlich hier Alles auf die mittlere Natur des zu desinficirenden
Canalwassers an. Von letzterem nahm ich mir daher am Ausflusse des Canales, nachdem
er also an mehr als 1000 Stellen den Unrath der Stadt aufgenommen, größere Proben
und analysirte dieselben wiederholt in meinem Laboratorium auf die Qualität der
Dämpfe und Gase, die sich beim Kochen desselben daraus entwickeln. Leider kam ich
trotz aller analytischen Versuche zu keinem vollkommenen Resultate, indem unsere
analytischen Hülfsmittel zur Erkennung der vielfachen stinkenden und miasmatischen
Dämpfe nicht ausreichen. Mit Sicherheit ließ sich im Wasser nur
Schwefelwasserstoffgas, Schwefelammoniumgas, Ammoniakgas und Kohlensäure nachweisen.
Die Reaction des Wassers, so wie der beim Kochen sich entwickelnden scheußlich
riechenden Dämpfe, war entschieden alkalisch, rothes Lackmuspapier sogleich bläuend.
Es zeigte mit Mineralsäuren versetzt ein schwaches Aufbrausen durch entweichendes
Kohlensäuregas, wobei zugleich der eigenthümliche Geruch des Wassers sich
unausstehlich stark entwickelte. Die Menge der Trockensubstanz betrug im Wasser
– ausschließlich der beim Eindampfen sich verflüchtigenden Gase –
ziemlich constant 1/5 Procent. Mehr als die Hälfte dieser Trockensubstanz war
organischen Ursprunges und in fortschreitender Zersetzung begriffen.
Ich versetzte nun dieß Canalwasser mit allen chemischen Agentien, von denen ich nach
der Theorie nur entfernt etwas Erfolg erwarten konnte. Mehr als 50 Substanzen und
Lösungen in vielfachen Combinationen wurden auf ihre desinficirende Wirkung geprüft.
Das Resultat dieser mehrfach wiederholten Versuche war, daß unter allen Mitteln
frisch bereitete Kalkmilch sowohl hinsichtlich ihres Desinficirvermögens als auch
bezüglich der Billigkeit und Einfachheit den Vorzug verdiene.
Das mit Kalkmilch genügend versetzte Canalwasser verliert, selbst wenn es obendrein
noch mit dem stinkendsten Latrinenwasser versetzt ist, seinen abscheulichen Geruch
sogleich und man merkt nur noch eine schwach ammoniakalische, übrigens ganz reine
Ausdünstung. Die Erklärung hiefür ist, daß das Kalkhydrat außer
Schwefelwasserstoffgas und Kohlensäuregas auch noch die flüchtigen organischen
Säuren und Miasmen bindet, welche eigentlich so sehr stinken. Aus dem mit Kalkhydrat
versetzten Canalwasser setzt sich bald ein voluminöser schwerer Niederschlag von
verschiedenartigen Kalksalzen ab und das früher schmutzig gefärbte, durch allerlei
Stoffe getrübte Wasser ist fast wasserhell geworden.
Nachdem dieß festgestellt war, untersuchte ich, wie viel Kalkhydrat der Canal in Köln
täglich erfordern würde. Zu dem Ende wurden die zu verschiedenen Zeiten am Ausflusse
des Canales geschöpften Wasserproben mit einer klaren Lösung von essigsaurem
Bleioxyd in Ueberschuß versetzt. Man filtrirte den starken Niederschlag ab und wusch
ihn gut auf dem Filter aus, so daß keine Spur Bleiessig mehr darin war. Dieser
Niederschlag sammt Filter wurde dann in kochende verdünnte Salpetersäure gelegt,
welche die Bleisalze – außer einer geringen Menge schwefelsauren Bleioxyds
– sämmtlich auflöste, dagegen die sandigen und organischen Theile des
Canalwassers zurückließ. Nachdem letztere von der Bleilösung durch Filtration
vollkommen getrennt waren, bestimmte man in der salpetersauren Lösung das Blei durch
verdünnte Schwefelsäure, indem man es als schwefelsaures Bleioxyd abwog.
Für jedes so gefundene Aequivalent Bleioxyd ist ein Aequivalent Calciumoxyd
erforderlich, denn alle Gase und Säuren, welche im Wasser durch das Bleioxyd gefällt
worden sind, werden eben so gut durch Calciumoxyd fixirt. Bloß aus analytischen
Rücksichten habe ich mich der Bleioxydlösung bedient, weil mit ihrer Hülfe sich weit
leichter und sicherer bestimmen läßt, wie viel Kalk nothwendig ist, um eine gewisse
Menge Canalwasser damit ganz zu sättigen.
Im Mittel dreier sehr übereinstimmender Bestimmungen erfordern 100 Pfd. Canalwasser
0,061 Pfd. Calciumoxyd.
Weiß ich nun weiter, wie viel Centner Wasser täglich dem Ausflusse des Canals
entströmen, so läßt sich die täglich erforderliche Kalkmenge leicht berechnen. Jene
Wassermenge variirt aber sehr; bei trockenem Wetter fließen per Secunde circa 3 Kubikfuß Wasser aus dem
Canal, bei regnerischem Wetter die doppelte bis dreifache Menge. Wir berücksichtigen
hier den ersten als den normalen Fall, dann berechnet sich, daß zur Desinfection des
Kölner Canales täglich 105 Ctr. gebrannter Kalk
erforderlich sind, welche in Form von Kalkmilch am Anfange des Canales regelmäßig
einfließen müssen.
Diese 105 Ctr. Kalk erachte ich als das erforderliche Minimum. Der Centner Kalk
kostet, im Großen bezogen, in Köln 1/3 Thlr. Außer den Anlagekosten und den
Ueberwachungskosten des Ausflußapparates würde also die Desinfection des Kölner
Canales täglich mindestens 35 Thlr. kosten; per Jahr
also 12700 Thlr., welche Summe sich durch die Nebenkosten gewiß auf 15000 Thlr.
erhöht.
Keine Stadt dürfte aber in der Lage seyn, sich zu fraglichem Zweck jährlich mit 15000
Thlr. belasten zu dürfen, es sey denn daß keine Aussicht zur billigeren Beseitigung
des Uebelstandes vorhanden wäre.
Ich habe also von diesem eben so einfachen als vollkommen genügenden
Desinfectionsverfahren aus ökonomischen Gründen abgesehen und nicht gewagt es in
Vorschlag zu bringen.
Es mußte auf ein anderes Mittel gesonnen werden. Dieses war, da es nicht angieng das
Wasser im Canale zu desinficiren, folgerichtig auf die Desinfection der im Canale
und in den Luftschachten circulirenden Luft zu richten. Eine Luftdesinfection schien
von vornherein weniger Material zu erheischen, indem dabei doch nur ein Theil der
stinkenden Stoffe des Canalwassers – nämlich der, welcher mit den
Wasserdämpfen in der Canalluft sich verbreitete – fixirt zu werden brauchte;
der größere Theil aber mit den Flüssigkeiten im Canale gebunden bleibend, bis zum
Ausflusse in den Rhein forttreiben konnte.
Das zu findende Mittel mußte den Anforderungen entsprechen, daß:
1) die Luftcirculation im Canale ungestört in der bisherigen
Weise vor sich gehe;
2) die Luft im Canale noch eben so respirabel bleibt, wie sie
es früher war;
3) die aus den Luftschachten austretende Luft ihres Geruches
ganz beraubt ist;
4) aus den Gosseneinflüssen nicht, wie bisher, ein so etlicher
Geruch entquillt;
5) eine Stadt die Kosten dieses Desinfectionsverfahrens leicht
tragen kann.
Da es also vor Allem auf die Desinfection der Luft im Canale ankam, so entstand
zunächst die Frage: durch welche Gase und Dämpfe empfängt die Canalluft ihren üblen
Geruch?
Behufs dieser Untersuchung ließ ich mittelst eines im Canale aufgestellten Aspirators
während mehrerer Tage einige 60 Kubikfuß Luft durch verdünnte Schwefelsäure und eine
Auflösung von Bleioxyd in Kali streichen. Es ergab sich, daß die Schwefelsäure viel
Ammoniakgas aufgenommen hatte; die Bleilösung war stark geschwärzt durch gebildetes
schwarzes Schwefelblei und enthielt auch viel kohlensaures Bleioxyd. Dadurch war die
Gegenwart von Schwefelwasserstoffgas, Ammoniakgas und Kohlensäuregas außer Zweifel
gesetzt. Einfacher noch constatirte ich diese Gase dadurch, daß ich Filtrirpapier
mit Bleioxydkali-Lösung tränkte und dasselbe an einem Faden befestigt mitten
in den Luftschacht hineinhieng; dieses Papier wurde schon nach 5 Minuten ganz
schwarz durch das in dem Luftzuge befindliche Schwefelwasserstoffgas. Das
Ammoniakgas konnte ich in gleicher Weise durch das Blauwerden eines angefeuchteten
Streifens von rothem Lackmuspapier nachweisen.
Wegen der Auffindung einer das Schwefelwasserstoffgas, die Kohlensäure und das
Ammoniak bindenden Substanz brauchte man im Allgemeinen nicht verlegen zu seyn, da
es zu diesem Zwecke viele Stoffe gibt und es nur auf die in jeder Hinsicht beste
Wahl derselben ankommt. Auch boten die übrigen nicht näher bekannten miasmatischen
Gase in der Canalluft keine Schwierigkeit dar, weil zu erwarten war, daß bei der
Fixirung des Schwefelwasserstoffs einerseits und des Ammoniaks anderseits –
wozu die Luft sowohl durch eine alkalische, wie auch durch eine saure Substanz
streichen mußte – jene mephitischen Lufttheile ebenfalls gebunden würden.
Die Hauptschwierigkeit lag vielmehr darin, auf welche Weise die Canalluft mit jenen
fixirenden Stoffen in innigen Contact zu bringen sey, ohne daß ihre Circulation
dadurch gestört werde. Die Luft – das schien mir unumgänglich – mußte
vor ihrem Austritt aus dem Canale durch eine Vorrichtung streichen, wobei sie
einestheils ihres Schwefelwasserstoffs, ihrer Kohlensäure und anderen flüchtigen
stinkenden organischen Säuren, und anderntheils ihrer alkalischen Gase beraubt
wird.
Nach sorgfältiger Prüfung der Möglichkeit, ob im Canale selbst eine solche
Vorrichtung zweckmäßig angebracht werden könne, entschied ich mich für die aus dem
Canale aufsteigenden Schachte, als den geeignetsten Ort der Desinfection. Diese
Schachte sind 10–20 Fuß tief und nur 1 1/2 – 2 Fuß weit; der Luftzug
ist daher gerade in denselben am stärksten. Gelingt die Desinfection der Canalluft
bei ihrem Durchgang durch
diese Schachte, so war eine Hauptschwierigkeit gelöst. Geschah diese Desinfection
ohne Störung des bisherigen Luftzuges von Außen zum Canale und vom Canale nach Außen
hin, so mußte nothwendig die Luft im Canale wenigstens eben so respirabel bleiben
wie früher, das heißt bei der in Voraussicht genommenen
Desinfections-Vorrichtung inmitten der Luftschachte kann der Canal zu jeder
Zeit behufs seiner Reinigung etc. betreten werden.
Demgemäß war es das Einfachste die Schachte mit einer Masse anzufüllen, welche
1) so locker und porös ist, daß sie den Luftzug nicht stört und
die
2) mit chemischen Agentien derart durchtränkt oder behaftet
werden kann, daß die durchstreichende Luft ihre stinkenden Theile darin vollständig
zurückläßt;
3) nicht alle Tage, sondern höchstens jede Woche einmal
erneuert zu werden braucht;
4) leicht in die Schachte einzufüllen und wieder
herauszuschaffen ist;
5) überdieß weder große Kosten noch schwierige Controle
verursacht. Welches sollte nun diese Masse seyn?
Ich versuchte zu diesem Zweck zahlreiche Substanzen, selbst solche, welche entfernt
mir nur einigen Erfolg versprachen.
Ich prüfte z.B. Holzkohle, locker in dicken Stücken geschichtete Kohks, einen sehr
vegetabilischen und in kleine Tafeln geformten Torf, Lohkuchen, große Badeschwämme,
lockere Stroh- und Heubündel, lockere Reißigbündel, Samenstrohhäcksel, Bündel
von Eichenlohrinden.
Aber alle diese Materialien genügten nicht; die meisten verstopften zu sehr den
Luftzug, oder widersprachen zu sehr obigen fünf Anforderungen.
Schon hatte ich die Hoffnung auf Erfolg aufgegeben, als mir die Anwendung der Tannen-Hobelspäne in Sinn kam. Es bedurfte keiner
langen Prüfung, um deren große Vorzüge vor allen anderen lockeren Substanzen zu
erkennen. Ihr Vorzug besteht:
1) In ihrer großen Leichtigkeit und Lockerheit. Ein Kubikfuß,
locker auf einander geworfen, wiegt bloß 100 Gramme oder 1/3 Zollpfund. Durch eine 3
Fuß hohe Schicht solcher Späne ist der Lufzug nur wenig gestört.
2) In der enorm großen Berührungsfläche, welche die Hobelspäne
der durchstreichenden Luft darbieten.
3) In der völlig neutralen und dauerhaften Beschaffenheit der
Holzfaser selbst, woraus die Späne bestehen. Dadurch wird es möglich, selbige mit
den zur Desinfection geeigneten scharfen chemischen Agentien zu durchtränken oder zu
bekrusten.
4) In ihrer großen Billigkeit, denn sie werden in den
Schreinereien als ein kaum zu verwerthender Abfall betrachtet.
5) Darin, daß sie mit Leichtigkeit in den Schacht
hineingeworfen und nach ihrer Abnutzung in den Canal herabgestoßen werden
können.
Von da an war die Lösung unserer Aufgabe angebahnt; jetzt erst konnte die Frage nach
den wirksamsten und zugleich billigsten Desinficirmitteln erfolgreich in Betracht
kommen.
Um hierüber ins Klare zu kommen, hatte ich anfangs an einigen Schachten des Kölner
Canales experimentirt, indem ich Hobelspäne, in verschiedener Weise präparirt oder
bekrustet, in dem Schacht anbrachte und dann die chemische Reaction und den Geruch
der ausströmenden Luft prüfte. Aber die Zahl der zu prüfenden Fälle und die damit
verbundenen Kosten mehrten sich während dieser Versuche derart, daß ich davon
abgehen und die Untersuchungen in meinem Laboratorium zu beendigen suchen mußte, wo
bei der Muße der Beobachtung und den verfügbaren Hülfsmitteln die Versuche im
Kleinen angestellt werden und ein eben so maaßgebliches Resultat liefern
konnten.
Der Apparat, dessen ich mich dabei zum Ersatze des Canals bediente, hatte die aus
Fig. 2
ersichtliche Construction: A Aspirator, 20 Quart Wasser
fassend; B Glasrohr, 3 Fuß lang, 4 Zoll Durchmesser,
gefüllt mit den zu prüfenden Hobelspänen; C Flasche, von
20 Quart Rauminhalt, halb gefüllt mit Canalwasser und Latrineninhalt; D Glasrohr, bis beinahe auf den Spiegel der Flüssigkeit
in C reichend; E kleines
Glasrohr, welches beim Flusse des Apparates A geöffnet
wird, zum Ersatz der durch das Rohr D austretenden
Luft.
Wurde der Aspirator in Thätigkeit gesetzt, so mußte die unerträglich riechende Luft
in der Flasche C durch die Hobelspäne in B streichen und gelangte darauf in den Aspirator A, wo sie mittelst Reagentien und durch die Nase auf
ihre mehr oder minder gelungene Desinfection geprüft wurde.
Neben diesem Apparate bediente ich mich noch eines anderen von einfacherer
Construction, der aber eine bequemere und noch sicherere Beurtheilung der Erfolge
zuließ. Er bestand nämlich, wie aus Fig. 3 ersichtlich, aus
einer großen, 30 Quart Wasser fassenden Flasche, welche zu ein Drittel mit
Canalwasser, faulendem Fleische und Latrineninhalt gefüllt war. Auf dem Halse der
Flasche war ein 4 Zoll weites und 2 Fuß hohes Glasrohr aufgekittet, in welches die
zu prüfenden Hobelspäne von Oben hereingeworfen wurden; das Drahtsieb n, n verhinderte deren Herunterfallen.
Um hier die Luftcirculation nachzuahmen und die Luft in der Flasche zu nöthigen von
Unten nach Oben durch die Späne zu streichen, hatte ich ein Glasröhrchen m, m von l Linie Durchmesser
in den Apparat so hineingesteckt, daß beim Blasen in dieses Rohr ein entsprechender
Theil der unten in der Flasche befindlichen wahrhaft abscheulich riechenden Luft
nach Oben sich hindrängen mußte. Waren oben präparirte Späne im Halse, so ließ sich
alsdann gleich ermessen, wie weit deren Desinficirvermögen reichte. Als es sich
gegen Ende der Untersuchung darum handelte, geringe Unterschiede zwischen den besten
Präparationen der Späne sicher zu constatiren, da stellte ich drei Stück jener
Apparate neben einander auf und kann deren Brauchbarkeit rühmen.
Ich kann hier nicht alle Präparationen der Hobelspäne aufführen, welche einer Prüfung
in vorerwähnter Weise unterworfen wurden. Ich bemerke nur, daß dieser Theil der
Aufgabe, welcher offenbar der wichtigste war, mich mehrere Monate beschäftigt hat.
Wenigstens 100 verschiedene Präparationen der Späne wurden in dieser Zeit geprüft
und es dürfte schwerlich eine beachtenswerth erscheinende Behandlung der Späne
angedeutet werden können, die ich übersehen hätte.
Dabei kam nicht bloß das Desinficirvermögen der Substanz in Betracht, womit die Späne
infiltrirt oder bekrustet wurden, sondern eben so sehr ihre Billigkeit, die Dauer
ihrer Wirkung, ihre Fähigkeit mehr oder weniger gut auf den Spänen zu haften, und
die Einfachheit der ganzen Präparation.
Wenn ich daher sage, die unten näher beschriebenen Präparationen seyen als die besten zu betrachten, so kommt ihnen dieses Prädicat in
seinem vollsten Sinne zu.
Auserwählt wurden:
a) Gesäuerte Hobelspäne. Man
bereitet sich eine Flüssigkeit durch Vermischen von 1 Volum concentrirter
Schwefelsäure mit 6 Vol. Wasser und taucht in diese die tannenen Hobelspäne ungefähr
zwei Stunden lang. Darnach nimmt man sie heraus, läßt sie gut abtropfen und etwas
ausschwenken, so daß kaum noch Säuretropfen an ihnen hangen. Damit sind die Späne
zum Gebrauche fertig und kommen wo möglich sogleich zur Verwendung.
100 Gramme = 1 Kubikfuß Späne, wiegen nach dieser Präparation circa 300 Grm. und enthalten nach directen Analysen 40 Grm. wasserfreie
Schwefelsäure. Da in jeden Canalschacht circa 2 Kubikfuß
dieser Späne kommen, so vermögen dieselben mit ihrem Säuregehalte 34 Grm. oder 46
Liter Ammoniakgas (NH³) zu fixiren.
An freier Luft mehrere Tage lang liegend, verlieren diese Späne nur unbedeutend von
ihrer Säuerlichkeit, indem sie etwas Ammoniak aus der Luft aufsaugen.
Eine Schicht dieser Späne von l Fuß Höhe absorbirt selbst
bei sehr ammoniakreicher Luft und bei raschem Durchzuge derselben das Ammoniak vollständig.
Ein Centner Canalwasser, auf 2/3 seines Volums abdestillirt, gab im Destillate 7,8
Grm. Ammoniak (NH³).
Die im Canale auf eine Strecke von 10 Ruthen befindliche Wassermenge beträgt im
Mittel 40 Centner. Darin wären also 312 Gramme Ammoniak aufgelöst.
Bei der zulässigen Annahme, daß von diesem Ammoniak täglich höchstens 3 Proc. zur
Verdunstung gelangen und durch den (auf der Strecke von 10 Ruthen stehenden)
Luftschacht strömen, hätten die gesäuerten Späne täglich 9,4 Grm. Ammoniak zu
fixiren. Sie würden also gemäß ihres Säuregehalts circa
4 Tage lang genügen.
Eine stärkere Concentration der Säure, als 1 Volum Säure auf 6 Vol. Wasser ist nicht
rathsam, weil sonst die Späne zu sehr angegriffen und mürbe werden.
Die billigere Salzsäure kann die Schwefelsäure nicht ersetzen, weil die damit
behandelten Späne zu stechend riechen und ihre Säure schnell durch Verdampfung
verlieren.
Ob die gesäuerten Späne zu unterst oder zu oberst in den Luftzug kommen, zeigte sich
durchaus nicht gleichgültig; sie müssen zu unterst kommen, denn dadurch, daß sie
alsdann die durchströmende Luft aller alkalischen Gase berauben, werden die am
meisten stinkenden sauren Gase desto freier und damit besser durch die überliegenden
alkalischen Späne gebunden.
b) Kalkspäne. Wie das
Kalkhydrat sich als das zweckmäßigste Desinficirmittel des Canalwassers
herausgestellt hat, so ist es auch das billigste und ein höchst wirksames
Bindungsmittel der sauren stinkenden Gase, die sich aus dem faulenden Canalwasser
entwickeln. Sein leichtes und massiges Anhaften an den Hobelspänen, seine geringe
Wirkung auf die organische Substanz der Späne selbst, welche durch eine Rinde von
Kalkhydrat steifer und daher noch lockerer und voluminöser werden als bloße
Hobelspäne, gibt ihnen schließlich dm Vorzug vor allen übrigen alkalischen
Substanzen.
Die Präparation dieser Kalkspäne geschieht in folgender Weise.
Man nimmt möglichst frisch gebrannten Kalk und löscht ihn unter Wasserzusatz und
starkem Umrühren zu einem gleichartigen Brei von 1,2 spec. Gewicht oder von 30 Proc.
Trockensubstanz. Zu solcher Dichtigkeit sind auf 1 Gewichtstheil frisch gebrannten
und an der Luft noch nicht zerfallenen Kalks ungefähr 3 Gewichtstheile Wasser
erforderlich. Der Kalk soll von bester Qualität seyn und sich ohne steinigen
Rückstand gut löschen.
In diesen Kalkbrei werden die Hobelspäne hineingeworfen und so lange darin
hemmgedreht, bis keine kalkfreie Stelle mehr an ihnen zu bemerken ist. Man nimmt sie
dann heraus, läßt sie ruhig abtropfen und breitet sie auf Lattengerüsten in einer
Schicht von 3 Zoll zum Trocknen aus. Wenn das Trockengerüst einen gehörigen Durchzug
hat und die Luft etwas trocken ist, so sind die Späne schon nach einem halben Tage
trocken genug zum Gebrauche. Sie ganz lufttrocken werden zu lassen ist nicht gut, da
sie in diesem Zustande die stinkenden Gase nicht so rasch und vollkommen binden, als
in einem etwas feuchten. In allen Fällen ist darauf zu sehen, daß die Kalkspäne
sobald sie fertig sind, auch sofort zur Verwendung im Canale kommen, indem sie
länger an freier Luft liegend, nutzlos deren Kohlensäure anziehen würden. Nur das
Aetzkalkhydrat hat bei diesen Spänen einen desinficirenden Werth; der kohlensaure
Kalk fixirt gar nicht; je mehr das Kalkhydrat daher in kohlensauren Kalk sich
umsetzt, desto mehr sinkt das Desinficirvermögen solcher Späne.
100 Gramme Hobelspäne wiegen nach der Bekrustung mit Kalkhydrat und dem Trocknen
500–600 Gramme. Sie umhüllen sich also mit ihrem 6fachen Gewichte an Kalk.
Ihnen durch concentrirtere Kalkmilch noch mehr Kalk anzuheften, ist meinen
Erfahrungen gemäß nicht vortheilhaft.
Wie begierig diese Späne die Kohlensäure der Luft anziehen und fixiren, haben mir
mehrfache genaue Analysen gezeigt. Sie enthielten z.B. ein Verhältniß von
Aetzkalk
kohlensaurem Kalk
1/2 Tag alt
4
1
3 „ „
2
1
9 „ „
1
1
14 „ „
1
3
In einem Versuche, wo 3 Kubikfuß Kalkspäne 10 Tage lang in einem der stinkendsten
Schachte des Canals gesteckt hatten, enthielten sie nur noch 1 Theil Aetzkalk auf 5
Theile kohlensauren Kalk, der sich inzwischen gebildet hatte. Die aus diesem
Canalschachte ausströmende Luft war aber auch am 10ten Tage nicht so geruchlos wie
anfangs.
Frisch bereitete Kalkspäne desinficiren den stinkendsten Gasstrom; die durchtretende
Luft hat nur den reinen Geruch nach Ammoniak. Befindet sich unter solchen Kalkspänen
eine Schicht gesäuerter Späne, so verschwindet auch jener schwach ammoniakalische
Geruch und die Desinfection läßt nichts zu wünschen übrig. Es war wirklich
überraschend, wie vollkommen der wahrhaft unerträgliche Gestank, welchen der Inhalt
der oben beschriebenen Versuchsflaschen verbreitete, verschwand, sobald in den Hals
des Apparates die Kalkspäne kamen.
Außer der Kohlensäure fixirt das Kalkhydrat auch noch alles Schwefelwasserstoffgas
und die sonstigen flüchtigen Säuren, woran die Canalluft so reich ist. Späne, welche
mehrere Tage zur Desinfection gedient haben, entwickeln daher, mit Salzsäure
übergossen, einen abscheulichen Geruch, namentlich ist darunter viel
Schwefelwasserstoffgas zu bemerken.
Das große Fixirvermögen von 3 Kubikfuß Kalkspänen, die in jeden Canalschaft geworfen
werden, ist einleuchtend, da nach der Berechnung die daran haftende Aetzkalkmenge
nicht weniger als 600 Liter eines Gemisches von gleichen Raumtheilen Kohlensäuregas
und Schwefelwasserstoffgas zu binden vermag.
Ich habe allen Grund zur Annahme, daß 3 Kubikfuß Kalkspäne einen Canalschacht
wenigstens 7 Tage lang geruchlos halten. Bei minder starken Ausdünstungen können sie
für 10–14 Tage genügen.
c) Bleikalkspäne. Ein Ctr.
kohlensaures Bleioxyd (Bleiweiß) wird mit 4 Ctr. Wasser zu einem gleichartigen
feinen Breie zerrieben und innigst mit einer Kalkmilch vermischt, welche aus 6 Ctr.
frisch gebranntem Kalk und 16 Ctr. Wasser bereitet wurde.
Die mit diesem Breie (aus 1 Ctr. Bleiweiß, 6 Ctr. Aetzkalk und 20 Ctr. Wasser)
bekrusteten und darauf getrockneten Späne enthalten außer dem Aetzkalk ungefähr 12
Proc. Bleioxyd.
Ihr Desinficirvermögen ist entschieden größer als dasjenige der bloßen Kalkspäne. Sie
lassen selbst bei starkem Luftstrome keine Spur Schwefelwasserstoffgas durch.
Daher legt man sie in einer Schicht von 6 Zoll Höhe unmittelbar auf die Kalkspäne,
und darf dann versichert seyn, daß die durch letztere bereits gedrungene Canalluft
nunmehr ihres letzten Restes stinkender Gase beraubt wird, falls solche überhaupt
noch vorhanden seyn sollten.
Wäre das Bleioxyd nicht so kostspielig, so würde ich die ganze Masse der Kalkspäne
durch diese Bleikalkspäne ersetzen. So aber beschränken wir uns auf eine kleine
Schicht Bleispäne und schonen deren Desinficirvermögen durch die untenliegenden
Kalkspäne.
Durch diese Anordnung wird die Sicherheit der ganzen Desinfection wesentlich
erhöht.
d) Eisenkalkspäne. In
denjenigen Fällen, wo die Luftströmung im Canale nicht stark und nicht sehr reich an
stinkenden Gasen ist, bediene man sich, anstatt obiger Bleikalkspäne, der ungleich
billigeren Eisenkalkspäne, welche wie folgt bereitet werden.
Man verschafft sich eine in der Kälte gesättigte Lösung von schwefelsaurem
Eisenoxydul (Eisenvitriol) in Wasser, und taucht in diese Lösung, bloß eine Minute
lang, die sub b) beschriebenen, frisch bereiteten
Kalkspäne. Wenn letztere vorher gut ausgetrocknet worden, so zieht sich die
Eisenoxydullösung massenhaft in die Kalkbekrustung hinein und zersetzt sich damit in
Gyps und Eisenoxydulhydrat. Beim Herausnehmen aus der Eisenlösung sind die Späne
schmutzig blaugrün, während des Trocknens röthen sie sich allmählich und haben
schließlich das Ansehen eines rothen Ueberzuges, der metallisch glänzend ist, und
die Bekrustung fester auf den Spänen haften macht. Der rothe Ueberzug rührt von der
Umwandlung des Eisenoxydulhydrats in Eisenoxydhydrat her.
Diese Eisenkalkspäne binden, besonders in etwas angefeuchtetem Zustande, ganz
vortrefflich das Schwefelwasserstoffgas und die stinkenden Säuren, aber nicht gut
die Kohlensäure, indem der glatte Eisenüberzug die innere Aetzkalkmasse zu sehr vor
diesem Gase schützt. Solche Späue behalten daher im Canale steckend länger ihren
Aeßzkalkgehalt, als die bloßen Kalkspäne. Gleich den Bleikalkspänen werden sie
innerhalb eines stinkenden Luftstromes durch gebildetes Schwefeleisen bald
geschwärzt.
Der bei der Darstellung dieser Späne sich bildende Gyps zeigt bei ihrer trockenen
Beschaffenheit gar kein Desinficirvermögen; seine Bildung auf Kosten des so
wirksamen Aetzkalkes ist daher ein Uebelstand, weßhalb das ganze Verfahren zu
verwerfen wäre, wenn nicht der Eisenoxydhydrat-Ueberzug besondere Vortheile
gewähren würde.
Analysen der so bereiteten Späne geben mir folgendes Resultat, welches sich auf die
ganze Bekrustungsmasse bezieht:
Eisenoxydhydrat
18,5
Calciumoxydhydrat
30,3
schwefelsaurer Kalk
27,8
kohlensaurer Kalk
12,4
Feuchtigkeit
11,0
–––––
100,0
So viel über die bei der Desinfection zu benutzenden Späne.
Ich reihe daran eine Berechnung der Kosten, welche die nach meinem System bewirkte
Desinfection eines Canalschachtes wöchentlich erheischt.
Sgr.
Pfg.
1) 5 Kubikfuß Hobelspäne
1
–
2) 1/5 Pfd. conc. Schwefelsäure
–
4
3) 3 Pfd. Aetzkalk
–
5
4) 1/7 Pfd. Bleiweiß
–
5
5) gesammle Präparationskosten
1
1
––––––––––––––––––––––
Summa:
3 Sgr.
3 Pfg.
per Jahr also 5 2/3 Thaler.
Einbegriffen in diese Kosten sind sud. 5 solgende
Generalia pro 100 Stück Luftschachte, welche der Kölner
Canal besitzt:
Thaler
a) 1 Arbeiter
250
b) Fabricationslocal nebst
Geräthen 500 Thlr. à 10 Proc.
50
c) Aenderung des oberen Rostes
und Anbringung eines zweiten im Schachte
800 Thlr. à 5 Proc.
40
d) Zinsen des Materialcapitals,
1000 Thlr. à 5 Proc.
50
–––––––––––––––
Summa per
Jahr
390 Thlr.
macht per Woche und per Schacht 1 Sgr. 1 Pfg.
Die Jahreskosten jener Canaldesinfection berechnen sich hiernach auf circa 600 Thlr. – eine Summe, die für eine Stadt
wie Köln zur Erreichung eines solchen Zweckes nicht zu hoch seyn dürfte.
Zur Completirung dieser Desinfection gehört noch, daß sämmtliche Einflußöffnungen der
Straßengosse in den Canal mit einem hydraulischen Verschlusse versehen werden, damit
aus diesen Oeffnungen nicht wie bisher ein so übler Geruch hervorquillt.
Ein nach meinem unten beschriebenen Plane gefertigter Verschluß kostet nebst
Aufstellung circa 13 Thlr. Da in den Kölner Canal an
ungefähr 300 Stellen die Gosse einfließt, so wäre ein Anschaffungscapital von 4000
Thlr. erforderlich, welches durch seine 5 Proc. Zinsen und 5 Proc. Verschleiß, obige
Kosten um 400 Thlr. erhöht. Im Ganzen würden letztere also 1000 Thlr. betragen.
II. Kurze Darstellung des ganzen
Verfahrens.
Zuerst erhält jeder Canalschacht folgende zwei Vorrichtungen:
Erstens einen Rost, welcher die obere Mündung des
Schachtes verschließt, indem er in die Straßenfläche zu liegen kommt. Der Rost muß
so stark von Eisen seyn, daß jede Art Fuhrwerk darüber fahren kann. Seine runden
oder viereckigen Maschen dürfen im Lichten nicht mehr als 3 Quadratzoll haben. Er
muß mittelst eines soliden Scharniers in einem im Straßenpflaster eingemauerten
gußeisernen Rahmen befestigt seyn, so daß man ihn leicht auf- und zuklappen
kann. Sein Verschluß wird
durch ein einfaches Drehschloß bewirkt. Jede Gießerei kann ohne Zweifel nach dieser
Beschreibung den Rost nebst Rahmen richtig anfertigen.
Zweitens einen leichten Rost in der Mitte des
Canalschachtes, zur Unterlage der desinficirenden Holzspäne dienend. Derselbe ist
von oben gesehen einfach wie Fig. 4 zeigt,
construirt:
a, b ein starkes zolldickes Eisen, welches in das
Mauerwerk des Schachtes fest eingesetzt wird und bei a
ein Loch hat, in welchem sich der horizontale Eisenstab c,
d frei bewegt.
c, d sind die Befestigungspunkte der Roststäbe, welche
höchstens einen halben Zoll dick zu seyn brauchen. Die Oeffnungen des so gebildeten
Rostes können 25 Quadratzoll groß seyn, indem die aufgeworfenen Hobelspäne dabei
noch nicht hindurchfallen.
g ist der Befestigungspunkt einer aus 2 Fuß langen
Drahtstücken gebildeten Stange, welche, wie Fig. 5 zeigt, bei m eingesenkt wird und dazu dient, daß der Rost a, g in einer horizontalen Lage erhalten bleibt.
Sollen die auf dem Roste a, g liegenden Späne erneuert
werden, so klappt man den oberen Rost n auf, hebt mit
der Hand die Kette g, m beim aus dem Haken heraus und
drückt dann den Rost a, g ganz herunter, so daß die
Späne ihrer Unterlage beraubt in den Canal herabfallen müssen, wo sie durch das
Canalwasser weggeschwemmt werden und dabei zu dessen Desinfection noch etwas
beitragen. Haben die Schachte nach unten hin eine geringe conische Erweiterung, so
wird dieß das Herabfallen der Späne wesentlich erleichtern.
Ist so der Rost a, g frei, dann zieht man ihn wieder in
seine horizontale Lage, indem man die Kette bei m
einhakt.
Nachdem frische Späne eingefüllt sind, wird der obere Rost n verschlossen und die ganze Desinfections-Arbeit ist auf eine
Dauer von 7 bis 10 Tagen erledigt.
Ein Arbeiter, welcher mittelst eines Handkarrens die zur Desinfection präparirten
Späne nachführt, ist im Stande die ganze Operation für ein ausgedehntes Canalsystem
zu besorgen.
Zur Desinfection der stinkenden Luftströmungen im Canalschachte dienen drei Sorten
von präparirten Hobelspänen, nämlich:
1) Gesäuerte Späne. Diese kommen zu
unterst auf den Rost a, g in einer Höhe von 15 Zoll, so
locker als möglich geschichtet, zu liegen.
2) Kalkspäne. Auf die Späne 1 kommen
die Späne 2 in einer Schicht von 15 Zoll. Damit beide bei ihrer Berührung nicht auf
einander reagiren, kommt zwischen sie eine 3 Zoll hohe Schicht unpräparirter
Hobelspäne.
3) Blei-Kalkspäne. Dieselben
werden unmittelbar auf die Kalkspäne in einer Schicht von 6 Zoll Höhe geworfen.
Anstatt der Bleikalkspäne kann man sich eventuell der billigeren Eisenkalkspäne
bedienen.
Der übelriechendste Luftstrom wird beim Hindurchstreichen durch diese drei
Späneschichten absolut desinficirt. Die Wirkung derselben erstreckt sich selbst bei
einem stark ausdunstenden Canalschachte auf die Dauer von mindestens einer
Woche.
Sollte aber gegen Erwarten diese 3 Fuß hohe Spänemasse die Luftcirculation so weit
stören, daß im Canale die Luft unrespirabel wird, so nehme man als Höhe für die drei
Schichten die Hälfte der oben angegebenen Maaße. Eine Erneuerung der Späne wird dann
aber auch alle 3–4 Tage nothwendig werden.
Die Bereitung der Späne geschieht nach der oben gegebenen Vorschrift.
Die Gesammtkosten der Desinfection eines Canalschachtes
betragen bei dem beschriebenen Verfahren wöchentlich
circa
drei Silbergroschen.
Wo ein Canal außer den Luftzügen auch noch seitliche
Oeffnungen hat, durch welche ihm das Gossenwasser der städtischen Straßen
zufließt, da wird solchen Oeffnungen stets ein die benachbarten Wohnungen sehr
belästigender Gestank entquellen (siehe Fig. 6). Dieser kommt
weniger aus dem Hauptcanale hervor als gerade aus dem engen Seitencanale, welcher
wegen seiner geneigten Lage und seiner Enge den Gossenschmutz an seinen Wänden
haften und faulen läßt. Mit unserem Desinficirverfahren der Luftzüge ist daher dem
Uebelstande mit den Gosseneinflüssen noch gar nicht abgeholfen, weßhalb wir hierfür
ein anderes Mittel angeben müssen, bevor wir unsere Aufgabe einigermaßen als gelöst
betrachten dürfen.
Das Geruchlosmachen der Gosseneinflüsse wird nicht, ähnlich wie bei den Luftzügen,
durch Anwendung chemischer Agentien geschehen können, weil solche sich gar nicht
anbringen lassen; man sieht leicht ein, daß hier nur ein hydraulischer Verschluß der
oberen Einflußöffnung helfen kann. Derselbe muß so construirt seyn, daß er die von
Unten aufsteigenden Gase von der Straße absperrt und dabei doch alle
Gossenflüssigkeit ungehindert in den Canal fließen läßt.
Nach mancherlei Entwürfen und Versuchen habe ich mich für den in Fig. 7–9 beschriebenen
Apparat entschieden, weil er mir als der am sichersten wirkende, dabei am wenigsten
der Controle bedürftig und der billigste erscheint.
Zur Erläuterung von Fig. 7–9 diene Folgendes:
Der Rost A, welcher im Niveau der steinernen
Straßenrinnen angebracht ist, ruht in einer seiner Gestalt entsprechenden Vertiefung
oder Zarge des gußeisernen Kastens B; letzterer ist an
der dem Hauptcanale zugewendeten Seite mit einer Oeffnung versehen, welche durch
eine selbstthätige Klappe C geschlossen wird. Diese
Klappe dreht sich mit ihrem eingegossenen Zapfen in zwei am Kasten B befindlichen Lagern D, D,
welche durch einen Schutzdeckel von Blech E gegen das
Einfallen von Unreinigkeiten gesichert sind.
Wenn der Kasten B bis auf 4 Zoll von seinem obersten
Rande mit Gosse gefüllt ist, so drückt letztere mit einem Gewichte von 66 Pfd. auf
die Klappe C. Aber schon bei einem Drucke von 5 Pfd.
fängt diese Klappe an sich zu heben um die Gosse hindurch zu lassen, weßhalb eine
Verstopfung des Ausflusses nicht zu befürchten ist.
Die Klappe C wird bei ihrem Gewichte von ± 29 Pfd.
und mit Rücksicht auf die Reibung, der sie in ihren Lagern bei D, D ausgesetzt ist, die Gosse im Kasten B auf einem Niveau erhalten, bei welchem der Apparat
einen vollkommenen hydraulischen Verschluß gegen die aus dem Canale hervorquellenden
Dünste constant darbietet.
Die Klappe C hat in ihren einfach und luftig construirten
Lagern bei D, D so viel Spiel, daß sie nicht leicht
durch Rost oder Unreinigkeiten eine steife Bewegung bekommt. Sollte dennoch eine
Besichtigung derselben erforderlich werden, so genügt es den Stein F wegzuheben, und man kann dann sowohl an die Klappe bei
D fühlen als auch mit Leichtigkeit dm ganzen Apparat
herausheben.
Der ganze Apparat wiegt ± 250 Pfd. und wird daher für 12 Thlr. anzufertigen
seyn. Er würde sogar complet für 7 Thlr. herzustellen seyn, wenn, wie in Fig. 9
angedeutet ist, drei Seiten des Kastens B aus
Backsteinmauerwerk gebildet werden, welches inwendig eine Cementbekleidung erhält.
In diesen: Falle genügt ein mit der Klappe C versehener
gußeiserner Nahmen, welcher in die beiden Seitenwände des Kastens G, G eingemauert wird und dessen verticaler Durchschnitt
in Fig. 7
punktirt angedeutet ist.
Ich ziehe diesen Apparat den vom Baumeister Mahlberg
neuerlich construirten und in Anwendung gebrachten vor, weil letzterer, wie aus der
Skizze Fig.
10 zu ersehen, drei große Uebelstände besitzt; es muß nämlich
1) ein Arbeiter täglich den im Apparate bei A sich stark
ansammelnden Gossenschlamm herauskratzen, indem er den an einer Kette befestigten
Rost D aus seinem Lager hebt;
2) wird sich bald auf der Kante bei B ein solcher
strohiger Unrathwust angesetzt haben, daß dadurch zuletzt der Abfluß in C ganz verstopft wird;
3) läßt sich der Abfluß bei B und C nicht reinigen, wenn man nicht den ganzen Apparat aus seiner Einmauerung
heraus nimmt, was an sich eine recht störende und bald unthunliche Operation
wird.
Ich habe den Mahlberg'schen Apparat auf die in Fig. 11
abgebildete Weise verbessert, wobei der leicht abhebbare Trottoirstein M ein Reinigen des Apparates bequem gestattet und
außerdem durch das Wegfallen der oberen und hintersten eisernen Wand der Apparat
ansehnlich billiger herzustellen ist. Während die Mahlberg'sche Construction 167 Pfd. wiegt und 13 Thlr. kostet, läßt sie
sich bei meiner Verbesserung für 10 Thlr. herstellen.
Ein solcher hydraulischer Verschluß der Gosseneinflüsse completirt unser hiermit
beschriebenes Desinfectionsverfahren. Möge die vorgeschlagene Combination von
chemischen und mechanischen Desinficirmitteln dazu beitragen, daß die städtischen
Canäle aufhören ein Gegenstand pestilentialischer Ausdünstungen zu seyn!