Titel: | Die Whitworth-Kanone. |
Fundstelle: | Band 156, Jahrgang 1860, Nr. XCIX., S. 401 |
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XCIX.
Die Whitworth-Kanone.
Aus dem Mechanics' Magazine, März 1860, S.
137.
Mit Abbildungen auf Tab.
VI.
Ueber die Whitworth-Kanone.
Fig. 17 und
18
stellen eines der Geschütze dar, mit welchen neuerdings am Strande bei Southport
Versuche angestellt worden sind. Aus diesen Abbildungen ist ersichtlich, daß das
Schwanzstück von Außen auf das Ende der Kanone geschraubt wird, und zwar ist
dasselbe in einem Hals gelagert, welcher durch ein Scharnier mit dem Geschützrohr
verbunden ist. In diesem Hals läßt sich das Schwanzstück frei drehen, eine
Einrichtung, welche das Verdienst großer Einfachheit hat, während zugleich die
Schraube und andere wichtige Theile vollkommen zugänglich sind. Daß mit dieser
Anordnung große Festigkeit verbunden ist, haben die angestellten Versuche bewiesen.
Der Querschnitt der Bohrung der Kanone bildet ein regelmäßiges
Sechseck und der Drall des gezogenen Geschützes ist sehr bedeutend. Das
Geschoß ist dem Kaliber genau angepaßt, mit verhältnißmäßig sehr geringem Spielraum,
und die Pulverladung befindet sich in einer Zinnbüchse,
welche gleichfalls mit großer Genauigkeit der Seelenwand sich anschließt. Durch die
Anbringung eines mit Fett getränkten Pfropfs wird das Geschützrohr bei jedem Schuß
vollkommen gereinigt, und dadurch das Auswischen unnöthig gemacht.
Auf dem Strande bei Southport, an welchem die Versuche mit der Whitworth-Kanone angestellt wurden, befindet sich eine freie
Strecke von 10000 Yards10000 Yards = 9713 Militär-Schritte. oder ungefähr 6 engl. Meilen, wovon ungefähr 7000 Yards gemessen, und von
100 zu 100 Yards durch kleine Pfähle markirt wurden. Die nachstehenden Versuche
beziehen sich auf dreierlei Geschützkaliber des Whitworth'schen Systems, nämlich einen 3 Pfünder, 6 Fuß 3 Zoll lang, 1 3/4
Centner wiegend; einen 12 Pfünder, 7 Fuß 9 Zoll lang, 8 Centner schwer, und einen 80
Pfünder, 9 Fuß 10 Zoll lang und 4 Tonnen wiegend. Die Züge machen bei dem 3 Pfünder
auf 60 Zoll Länge 1 Windung und bei dem 80 Pfünder auf 100 Zoll Länge 1 Windung,
wonach also bei jedem Geschütz auf die ganze Seelenlänge mehr als eine vollständige
Windung der Züge kommt.
Die am 16. Februar d. J. angestellten Versuche lieferten folgende Resultate:
Dreipfünder Kanone.
Pulverladung 8 Unzen.
Nummerdes Schusses.
Elevation.
Tragweite.
Abweichung von der Schußlinie.
1
10°
4269 Yards
16 Yards rechts
2
10°
4281 „
10
„ „
3
10°
4193 „
29
„ „
4
10°
4015 „
19
„ „
5
20°
7073 „
4
„ „
6
20°
6985 „
4½ „ „
7
20°
6960 „
4½ „ „
8
20°
6822 „
27
„ „
9
33°
9547 „
57
„ „
10
35°
9645 „
31
„ „
11
35°
9611 „
89
„ „
12
35°
9503 „
72
„ „
13
35°
9453 „
55
„ „
14
35°
9688 „
38
„ „
Der letzte Schuß erreichte demnach eine Tragweite von 5 engt. Meilen und 888
Yards.
Dreipfünder Kanone.
Pulverladung 8 Unzen.
Nummerdes Schusses.
Elevation.
Tragweite.
Abweichung von der Schußlinie.
1
5°
2342 Yards
4 Yards links
2
5°
2321
keine
3
5°
2326
1 Yard rechts
4
5°
2333
2
„ links
5
5°
2298 „
1
„ links
6
10°
3942 „
15 Yards rechts
7
10°
4120 „
13
„ „
8
10°
4011 „
7
„ „
9
10°
4002 „
16
„ „
10
10°
4059 „
9
„ „
Der letzte Schuß von den fünf unter der geringen Elevation von 10°
abgefeuerten erreichte somit eine Tragweite von 2 engl. Meilen und 650 Yards oder
nahezu 2 1/2 engl. Meilen.
Achtzigpfünder Kanone.
Pulverladung 12 Pfund.
Nummerdes Schusses.
Elevation.
Tragweite.
Abweichung von der Schußlinie.
1
5°
2544 Yards
5 Yards rechts
2
5°
2604 „
2
„ „
3
10°
4670 „
5
„ „
4
10°
4730 „
6
„ „
Die größte Tragweite des schweren Geschützes betrug demgemäß 4730 Yards oder nahezu 2
3/4 engl. Meilen bei einer Elevation von nur 10°. Sämmtliche Messungen
bezogen sich natürlich immer nur auf die Stelle, wo das Geschoß zuerst den Boden
berührte.
Die Dreipfünder sind mit einer Schraube versehen, mit deren Hülfe man dem Geschütz
eine Seitenbewegung ertheilen kann, ohne das Schwanzende berühren zu müssen. Der
Kanonier kann, während er visirt, die seitliche Schraube mit der größten
Leichtigkeit handhaben, und eben so leicht kann er dem Geschütz die nöthige
Elevation oder Depression ertheilen.
Die an einem der folgenden Tage bei starkem und unstetem Gegenwinde angestellten
Versuche lieferten hinsichtlich der Tragweite und Abweichung von der Schußlinie
folgende Resultate:
Drepfünder Kannone.
Elevation 10°. Pulverladung 8
Unzen.
Nr. des Schusses.
Tragweite.
Abweichung von der Schußlinie.
1
3865 Yards
10 Yards rechts
2
3888 „
10
„ „
3
3871 „
13
„ „
4
3913 „
12
„ „
5
3831 „
13
„ „
6
3816 „
12
„ „
7
3717 „
11
„ „
8
3850 „
8
„ „
9
3763 „
4
„ „
10
3905 „
7
„ „
Zwölfpfünder Kanone.
Elevation 10°. Pulverladung 1 3/4
Pfd.
Nr. des Schusses.
Tragweite.
Abweichung von der Schußlinie.
1
3707 Yards
21 Yards
rechts
2
3718 „
15 „ „
3
3721 „
14 „ „
4
3766 „
5 „ „
5
3773 „
9 „ „
6
3786 „
12 „ „
7
3800 „
12 „ „
8
3820 „
9 „ „
9
3831 „
11 „ „
10
3820 „
9 „ „
Zwölfpfünder
Kanone. Elevation 5°. Pulverladung 1 3/4 Pfd.
Nr. des Schusses.
Tragweite.
Abweichung von der Schußlinie.
1
2158 Yards
1 Yards rechts
2
2203 „
3 „ „
3
2204 „
1 „ „
4
2206 „
2 „ „
5
2214 „
1/2
„ „
6
2228 „
2 Yards links
7
2230 „
2 „ „
8
2240 „
6 Yards rechts
9
2248 „
5 „ „
10
2259 „
1 „ „
Achtzigpfünder
Kanone. Elevation 7°. Pulverladung 12 Pfd.
Nr. des Schusses.
Tragweite.
Abweichung von der Schußlinie.
1
3503 Yards
4 1/2 Yards
rechts
2
3498 „
6
„ „
3
3487 „
6 1/2
„ „
4
3482 „
6 1/2
„ „
Dieses Resultat verdient besondere Beachtung, indem die Elevation die nämliche war,
wie bei einigen Proben mit Armstrong's Kanone, deren
Resultate als ein Beweis von der großen Tragweite und Genauigkeit des letzteren
Geschützes betrachtet wurden. Mit jenen vier letzten Schüssen insbesondere hat der
Whitworth'sche 80 Pfünder den Armstrong'schen 70 Pfünder geschlagen, indem er ihn um 1000 Yards an
Tragweite, und außerdem an Genauigkeit des Schusses übertroffen hat; denn das
Maximum in der Differenz der Tragweite betrug bei obigen vier Schüssen nur 21 Yards,
und der Unterschied in der seitlichen Abweichung nur 5 Yards. Die Geschosse
ricochettirten bewunderungswürdig; die mittlere Entfernung, bei welcher sie liegen
blieben, betrug 6500 Yards.
Folgende Tabelle gibt eine summarische Zusammenstellung der mittleren Resultate
sämmtlicher mit dem 3 Pfünder, 12 Pfünder und 80 Pfünder angestellten Versuche,
wobei die Columne A die Anzahl der bei jeder
Versuchsgruppe abgefeuerten Schüsse, B die mittlere
Tragweite in Yards, C die mittlere Längenabweichung und
D die mittlere Seitenabweichung von einem
Centralpunkt darstellt.
Datum.
Kaliber
Elevationin Graden.
A.
B.
C.
D.
22. Febr.
3 Pfünder
3
10
1579 Yards
12 Yards
0,52 Yards
15. „
„
10
5
4174 „
27 „
1,17 „
16. „
„
–
5
4190 „
87 „
5,5 „
23. „
„
–
10
3842 „
48 „
3,23 „
15. „
„
20
4
6793 „
58 „
4,83 „
16. „
„
–
4
6960 „
69 „
8,58 „
22. „
„
–
5
6647 „
109 „
7,4 „
22. „
„
–
4
6421 „
94 „
4,25 „
23. „
„
–
11
6663 „
33 „
3,83 „
15. „
„
35
4
9015 „
96 „
10,92 „
16. „
„
–
5
9580 „
81 „
19,33 „
22. „
12 Pfünder
2
5
1247 „
24 „
0,85 „
16. „
„
5
5
2324 „
11 „
1,57 „
22. „
„
–
10
2336 „
16 „
1,08 „
23. „
„
–
10
2219 „
22 „
2,09 „
21. „
„
7
4
3049 „
17 „
0,5 „
21. „
„
–
4
3098 „
9 „
0,54 „
16. „
„
10
5
4027 „
50 „
3,31 „
23. „
„
–
10
3774 „
37 „
3,1 „
15. „
80 Pfünder
5
2
2575 „
36 „
2,33 „
„
–
2
2574 „
30 „
1,66 „
23. „
„
7
4
3493 „
8 „
0,58 „
16. „
„
10
2
4700 „
30 „
0,5 „
22. „
„
–
4
4409 „
50 „
5,17 „
Wir gehen nun zur allgemeinen Beschreibung der Whitworth-Kanone und ihrer Constructionsmethode über.
Das Material der Kanone ist das sogenannte homogene Eisen, welches die Härte des
Stahls mit der Zähigkeit und Hämmerbarkeit des besten Stabeisens vereinigt und daher
für manche Zwecke anwendbar ist, für welche der eigentliche Stahl sich nicht
eignet.Das unter dem Namen „homogenes Eisen“ dem Hrn. Howell in Sheffield patentirte Material wird ganz
in derselben Weise hergestellt, wie die zäheste
Gußstahlsorte; man s. polytechn. Journal Bd. CLI S. 199. Man gießt zunächst einen eisernen Block von geeigneter Form, welcher
geschmiedet und von Außen genau abgedreht wird. Dann erfolgt die Procedur des
Bohrens in zwei Abstufungen, wovon die zweite nur die Erweiterung der durch die
erste Procedur gebohrten Seele zum Zweck hat. In fertigem Zustande hat der 3 Pfünder
eine sechseckige Bohrung, in welcher der große und kleine Durchmesser
beziehungsweise 1,5 und 1,65 Zoll beträgt. Auf 60 Zoll Länge machen die Züge eine
Windung, was auf die Länge des ganzen Rohres mehr als eine ganze Windung
ausmacht.
Die Methode, die Geschütze von Rückwärts zu laden, ist durch die Whitworth-Kanone in höchst einfacher Weise
realisirt. Wir wollen annehmen, die Kanone sey eben abgefeuert worden, und solle nun
wieder geladen werden. An dem Boden der kleineren Geschütze, welche harmlosen
Teleskopen ähnlich sehen, bemerkt man eine kleine Handhabe und zur rechten Seite ein
sauber gearbeitetes starkes Scharnier. Mit zwei und einer halben Drehung wird die
den hinteren Verschluß bildende Schwanzschraube herausgeschraubt und dann wie an
einem Krahn nach der rechten Seite gedreht. (Fig. 18.)
Schraube und Schraubenmutter haben doppelte Gewinde, weßhalb auch 2 1/2 Drehungen zur
Herausnahme des Verschlußstückes hinreichen. Vom hinteren Ende des Rohres ragt eine
zinnerne Büchse ungefähr 1/2 Zoll weit hervor, welche der Kanonier mit einem
besonderen sinnreichen Instrumente erfaßt und herauszieht. Hierauf wird ein 3
Pfündergeschoß, und hinter diesem eine Pulverbüchse in das Rohr geschoben und die
Schwanzschraube wieder an ihren Ort geschraubt. Sodann wird ein Frictionszünder
durch eine kleine in der Mitte der Schwanzschraube angebrachte Röhre gesteckt und
die Operation des Visirens vorgenommen. Ein Zug mit einer Schnur entzündet den
Zünder und bewirkt die Entladung des Geschützes. Alle diese Operationen gehen mit
Leichtigkeit und Sicherheit in sehr kurzer Zeit vor sich; so wurde z.B. der
Dreipfünder innerhalb 3 Minuten 25 Secunden viermal geladen, auf die Schußlinie
visirt und abgefeuert.
Wir erwähnten oben, daß beim Zurückdrehen der Schwanzschraube eine aus dem hinteren
Ende des Rohres hervorragende Zinnbüchse sichtbar wurde. Diese Büchse enthielt das
Pulver. An dem hervorragenden Ende ist die Büchse auf die Länge von einem Zoll
kreisrund, von da an gegen die Mündung hin ist sie sechseckig, so daß sie den Zügen
sich anschließt. Beim Schließen des Geschützes liegt das hervorragende Ende der
Zinnbüchse in einer Vertiefung des Verschlußstückes. Der Boden derselben ist mit
einem kleinen Loche durchbohrt, nicht groß genug, um Pulver entweichen zu lassen.
Dieses Loch befindet sich dem durch die Schwanzschraube zu steckenden
Frictionszünder gerade gegenüber.
Das Geschoß selbst ist conisch; seine Länge ist ungefähr das 3 oder 3 1/2 fache
seines Durchmessers. Auf dem größeren Theil seiner Länge besitzt es sechs
spiralförmig gewundene Flächen, welche der sechseckig gezogenen Seele genau sich
anschmiegen. Sein Kopf ist abgerundet, die Basis flach, kreisrund und auf ein
Drittel der Länge sich allmählich verjüngend. Diese sich verjüngende Basis ist eine
wichtige Verbesserung; denn es hat sich herausgestellt, daß ein solches Geschoß bei
gleichen Elevationswinkeln und gleicher Pulverladung auf eine 20 bis 25 Proc.
größere Entfernung geworfen wurde, als ein Geschoß von gleichem Gewichte mit
durchweg sechsseitiger Form.
Die Pulverladung befindet sich, wie gesagt, in einer an ihrer Basis durchbohrten
Zinnbüchse. Wir haben nur noch zu bemerken, daß die Mündung der letzteren durch eine
Komposition von Wachs und Talg geschlossen ist, gegen welche beim Laden das Geschoß
zu liegen kommt. Bei der Entladung schmilzt die Komposition, verbreitet sich durch
das ganze Rohr und hinterläßt dasselbe in einem für den folgenden Schuß geeigneten
Zustand. Die Zinnbüchse bleibt im Rohr zurück, und da sie wegen ihres dichten
Anschlusses an die Seelenwand und die Schwanzschraube unmöglich bersten kann, so
kann sie wieder gefüllt und mindestens ein Dutzendmal benutzt werden. Da nach jedem
Schuß die Luft frei durch das Rohr streicht, so kann die Whitworth-Kanone nicht überhitzt werden. Die Dauerhaftigkeit
derselben steht mit der bekannten Festigkeit des homogenen Eisens in naturgemäßem
Zusammenhang. Nach mehr als 2000 Schüssen zeigte sich die Dreipfünder-Kanone
vollkommen unbeschädigt.