Titel: | Ueber das Anilinblau; von A. W. Hofmann. |
Fundstelle: | Band 170, Jahrgang 1863, Nr. XVII., S. 58 |
Download: | XML |
XVII.
Ueber das Anilinblau; von A. W. Hofmann.
Aus den Comptes rendus, t. LVII p. 25; durch die
Zeitschrift für Chemie und Pharmacie, 1863 S. 437.
Hofmann, über das Anilinblau.
Das Anilinblau, das zuerst von Girard und de Laire,Polytechn. Journal Bd. CLXII S.
297. später auch von Persoz, de Luynes und Salvétat
Polytechn. Journal Bd. CLX S. 71 und
390. dargestellt wurde, entsteht, wenn Rosanilin bei erhöhter Temperatur mit
Anilin im Ueberschuß behandelt wird. Der Uebergang findet leicht statt, wenn man ein
Salz des Rosanilins mit Anilin, oder umgekehrt Rosanilin mit einem Anilinsalz
erhitzt, und zwar gibt man hierbei besonders den Salzen von organischen Säuren, wie
Essigsäure und Benzoesäure, den Vorzug. Die Wirkung des Anilins auf das Rosanilin
ist sehr langsam, aber mit der Zeit selbst findet doch Bildung von Anilinblau
statt.
Girard und de Laire
beobachteten bereits, daß Ströme von Ammoniak bei der Bereitung des blauen
Farbstoffs auftreten und Nicholson erkannte, daß dieser
das Salz einer an sich farblosen Base, wie das Rosanilin, ist. Aber die Beziehungen
beider farblosen Basen waren nicht erforscht, ebensowenig die Reaction, durch welche das
Rosanilin in jenes blaue Derivat übergeht. Der Verf. beschäftigte sich mit dieser
Frage, indem er ein ihm von Nicholson gesandtes Salz, das
Chlorhydrat, der Untersuchung unterwarf.
Chlorhydrat.Das nicht vollkommen gereinigte Product enthielt noch eine andere Substanz,
mit deren Studium sich der Verf. gegenwärtig beschäftigt. – Diese Substanz stellt ein kaum krystallinisches Pulver von
bläulich-brauner Farbe dar, das bei 100° C. rein braun wird. Es ist
vollkommen unlöslich in kaltem, wie in siedendem Wasser, so daß die Waschwasser ganz
farblos ablaufen, ferner unlöslich in Aether, aber löslich, wenngleich schwierig, in
Alkohol, dem es die charakteristische, prachtvoll tiefe blaue Farbe mittheilt. Eine
heiß gesättigte alkoholische Lösung läßt beim Erkalten das Chlorhydrat in
unbestimmten krystallinischen Körnern fallen. Beim Abdampfen dieser Lösung
hinterbleibt der Farbstoff als dünne Haut, die einen halb kupferartigen, halb
goldartigen Glanz zeigt.
Die Zusammensetzung dieses Salzes ist dieselbe, ob es im luftleeren Raume oder bei
100° getrocknet wird. Mehrere Analysen von Proben verschiedener
Bereitungsweise führten unzweifelhaft zu der Formel:
C⁷⁶H³²N³Cl,
und man kann mit Hülfe derselben den chemischen Charakter der
Verbindung, wie deren Beziehungen zum Rosanilin und ihr Entstehen aus dem Roth auf's
befriedigendste erklären.
Sie stellt das Chlorhydrat von Triphenylrosanilin dar:
C⁷⁶H³²N³Cl =
C⁴⁰H¹⁶(C¹²H⁵) 3N³HCl,
und wird nach folgender Gleichung aus dem rothen Farbstoff
gebildet:
C⁴⁰H¹⁹N³, HCl
+
3C¹²H⁷N
=
C⁴⁰H¹⁶ (C¹²H⁵)
3N³, HCl
+
3NH³)
Rosanilinsalz
Anilin
Triphenylrosanilinsalz
Ammoniak.
Die freie Base kann unschwer aus dem Chlorhydrat
dargestellt werden, indem man dieses mit ammoniakhaltigem Alkohol behandelt, wodurch
man eine gelbliche Flüssigkeit gewinnt, in der die freie Base neben Chlorammonium
enthalten ist. Durch Kochen der Lösung wird die blaue Farbe wieder hervorgerufen,
indem sich unter Entwickelung des Ammoniaks das ursprüngliche Salz wiedererzeugt;
durch Wasserzusatz aber scheidet sich das Triphenylrosanilin als weißer oder graulicher Niederschlag aus.
Um die freie Base in der zur Analyse erforderlichen Reinheit darzustellen, verfährt
man am besten so, daß man eine concentrirte Lösung des Chlorürs in ammoniakhaltigem
Alkohol in Wasser hineingießt, die Base scheidet sich dann als geronnene Masse auf der
Oberfläche der Flüssigkeit aus. Während des Auswaschens und besonders während des
Trocknens, selbst im luftleeren Raume, nimmt der Niederschlag nach und nach eine
bläuliche Färbung an. Die im Vacuum getrocknete Substanz wird durch Erhitzen auf
100° tief braun und behält diese Farbe auch beim Erkalten. Bei 100°
schmilzt sie leicht, aber ohne ihr Gewicht zu verändern. Das Triphenylrosanilin
zeigt das Bestreben zu krystallisiren, doch hat der Verf. bis jetzt noch keine
bestimmten Krystalle erhalten können. Die Base löst sich in Alkohol und Aether mit
der größten Leichtigkeit, hinterbleibt aber selbst bei freiwilliger Verdunstung der
Lösungsmittel als fast amorpher Rückstand.
Durch die Analyse wurde eine dem Chlorhydrat entsprechende Zusammensetzung gefunden,
nämlich:
C⁷⁶H³³N³O² =
C⁴⁰H¹⁶(C¹²H⁵) 3N³,
H²O².
Das Triphenylrosanilin scheidet sich also aus seinen Salzen, ebenso wie das
Rosanilin, in dem Zustande des Hydrats ab.
Es wurden noch mehrere Salze des Triphenylrosanilins dargestellt, indem die freie
Base mit der betreffenden Säure behandelt wurde. Die Analyse derselben bestätigte
die frühere Formel. Diese Salze nähern sich in ihren Eigenschaften so sehr dem
Chlorhydrat, daß man sie, ohne sie analysirt zu haben, nicht wohl von jenem
unterscheiden kann. Das Nitrat ist etwas mehr, das Sulphat etwas weniger löslich in
Alkohol als das Chlorhydrat. Folgende Salze wurden untersucht:
Bromhydrat.
C⁷⁶H³²N³Br
= C⁴⁰H¹⁶(C¹²H⁵)
3N³, HBr.
Jodhydrat.
C⁷⁶H³²N³J
= C⁴⁰H¹⁶(C¹²H⁵)
3N³, HJ,
Nitrat.
C⁷⁶H³²N⁴O⁶
= C⁴⁰H¹⁶(C¹²H⁵)
3N³, HNO⁶.
Sulfat.
C¹⁵²H⁶⁴N³S²O⁸
= C⁴⁰H¹⁶(C¹²H⁵)
3N³
C⁴⁰H¹⁶(C¹²H⁵)
3N³
H²S²O⁸.
Man weiß, daß das Rosanilin außer seinen einatomigen Verbindungen auch eine Reihe
dreiatomiger Salze liefert, die weit löslicher und verhältnißmäßig farblos sind. Der
Verf. versuchte vergeblich entsprechende Verbindungen von dem Triphenylderivat
darzustellen.
Einwirkung von Reductionsmitteln auf Triphenylrosanilin.
– Da die Entstehung des Leucanilins durch die Einwirkung von reducirenden
Mitteln auf Rosanilin sehr werthvoll bei der Festsetzung der Formel für das
Rosanilin war, so unterwarf der Verf. das Triphenylrosanilin der gleichen Behandlung. Auch
dieses wurde leicht durch Schwefelammonium und nascirenden Wasserstoff
angegriffen.
Die alkoholische Lösung des Chlorhydrats wird durch Zink und Salzsäure rasch
entfärbt. Die klare Flüssigkeit läßt auf Zusatz von Wasser einen kaum
krystallinischen weißen Niederschlag fallen, den man vom Chlorzink durch Waschen mit
Wasser reinigt und von den zufälligen Verunreinigungen durch Behandlung mit Aether,
in welchem er sich leicht auflöst, befreit.
Hat man zur Reduction Schwefelammonium verwendet, so ist die Substanz häufig durch
Schwefel und secundäre Producte verunreinigt. Behandelt man die unreine Masse mit
Schwefelkohlenstoff, so wird der Schwefel und das Reductionsproduct gelöst, während
eine braune harzartige Masse hinterbleibt, deren Natur noch nicht erforscht ist.
Entfernt man den Schwefelkohlenstoff durch Abdampfen der Lösung und behandelt den
Rückstand mehreremal mit kochendem Aetznatron, so wird der Schwefel weggenommen,
während der unlösliche Rückstand dadurch gereinigt werden kann, daß man ihn in
Aether auflöst. Beim freiwilligen Verdunsten bleibt ein sprödes Harz zurück, welches
sich leider nicht mehr als Base verhält und bei der Analyse Zahlen gab, die mit
folgender Formel übereinstimmen:
C⁷⁶H³³N³ =
C⁴⁰H¹⁸(C¹²H⁵) 3H³.
Es ist also Triphenylleucanilin, und man sieht, daß es
ebenso wie das Leucanilin selbst wasserfrei ist. Durch Oxydationsmittel wird dieser
Körper wieder in den ursprünglichen zurückgeführt. Der Versuch gelingt am besten mit
Platinchlorid. Die farblose Lösung des Triphenylleucanilins zeigt beim Erhitzen mit
einigen Tropfen Platinchlorid wieder die prachtvoll blaue Farbe, die die Salze des
Triphenylrosanilins charakterisirt.
Der Uebergang des Anilinroths in Blau gibt aber weiterhin noch zu folgenden
Betrachtungen Anlaß.
Bisher besaßen die Chemiker noch keine Methode, Phenyl in chemische Verbindungen
einzuführen. Die Chlorüre, Bromüre und Iodüre der Phenylreihe sind nur unvollkommen
studiert, aber man weiß, daß dieselben bei weitem nicht den Werth als Mittel für
chemischen Austausch besitzen, als die correspondirenden Verbindungen der
Methyl- und Aethylreihe. Man kann noch nicht Wasserstoff durch Phenyl
substituiren mit Hülfe der bei der Reihe der gewöhnlichen Alkohole angewandten
Methoden. Das Diphenylamin und Triphenylamin existirt nur in der Vorstellung der
Chemiker, und es war einem speciellen Studium vorbehalten, diese Lücke
auszufüllen.
Weiter kann man bei der Ueberführung des Anilinroths in Blau noch die Frage
aufwerfen, ob bei dieser Reaction ein einfacher Austausch von Wasserstoff gegen Phenyl
stattfindet, oder ob das Molecül des Rosanilins Ammoniak abgibt, um dafür Anilin
aufzunehmen.
Im Folgenden gibt der Verf. Beiträge zur Lösung dieser Frage.
Methyl-, Aethyl- und
Amylderivate des Rosanilins. – Das Studium der vorgenannten
Verbindungen mußte dazu führen, auch das Rosanilin der Einwirkung der gewöhnlichen
substituirenden Agentien, wie der Jodüre von Methyl, Aethyl und Amyl, auszusetzen.
In der That erhielt der Verf. ein intensiv blaues Product bei diesen Einwirkungen.
Jodmethyl und Jodäthyl wirken leicht bei 100°, Jodamyl erfordert eine
Temperatur von 160° bis 180°. Der Zusatz von Alkohol erleichtert die
Reaction.
Das Aethylderivat ist ein Jodür, das sich leicht in Alkohol mit prachtvoll
blauvioletter Farbe löst. Die färbende Kraft der Lösung ist kaum geringer, als die
des Rosanilins selbst. Es bietet, wie man erwarten durfte, mit dem Rosanilin größere
Analogie als die Triphenylverbindung, und es ließen sich daher Schwierigkeiten bei
der Trennung voraussehen, die man am besten in folgender Weise vermeidet.
Das durch die Einwirkung erhaltene Jodür wurde durch Natron zersetzt und das
Aethylderivat, das noch mit unverändertem Rosanilin gemengt war, von neuem der
Einwirkung von Jodäthyl ausgesetzt. Nach zweimaliger Behandlung wurde das Endproduct
durch Wasser aus der alkoholischen Lösung gefällt und als weiche harzartige Substanz
erhalten, die beim Erkalten sich in eine feste, krystallinische Masse verwandelte,
von einem Metallglanz, der zugleich an den der Rosanilinsalze und den der
Phenylderivate erinnerte. Durch einmaliges Umkrystallisiren aus verdünntem Weingeist
wurde sie rein erhalten und lieferte bei der Verbrennung und Jodbestimmung Zahlen,
die für die Formel
C⁵⁶H³⁶N³J =
C⁴⁰H¹⁶(C⁴H⁵)
3N³C⁴H⁵J
stimmen. Man sieht, daß durch die wiederholte Aethylirung
nicht das Jodhydrat des Triäthylrosanilins, sondern das
Jodäthylat dieser Base gebildet wurde, was insofern
interessant ist, als dadurch der Grad der Substitution angedeutet wird, deren das
Rosanilin selbst fähig ist.
Man kann sich nun weiter die Frage stellen: werden vielleicht durch Ersetzung des
Wasserstoffs im Rosanilin durch andere Radicale, wie Methyl, Aethyl, Amyl, auch
andere Farben erzeugt, als Blau? und „wird es der Chemie gelingen,
systematisch färbende Molecüle darzustellen, deren besondere Nüance mit ebenso
großer Bestimmtheit vorausgesagt werden kann, als man jetzt den Siedepunkt und
andere physikalische Eigenschaften von Körpern vorausbestimmt, deren Existenz man a priori voraussetzt?“
Der Verf. verspricht weitere Mittheilungen über das Anilingrün und Anilinviolett, wie über den
unter dem Namen Azulin bekannten blauen Farbstoff, dessen
allgemeine Eigenschaften eine große Analogie mit denen des Triphenylrosanilins
zeigen.