Titel: Ueber Fell's Locomotivensystem für Gebirgseisenbahnen.
Fundstelle: Band 180, Jahrgang 1866, Nr. XLII., S. 180
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XLII. Ueber Fell's Locomotivensystem für Gebirgseisenbahnen. Mit Abbildungen auf Tab. IV. Ueber Fell's Locomotivensystem für Gebirgseisenbahnen. Unter den zahlreichen Systemen von Locomotiven, welche behufs Ersteigung starker Steigungen auf Vergrößerung der Adhäsion des Trains an die Bahnschienen hinzielen, findet sich nur ein einziges, bei welchem dieser Zweck durch ein anderes Mittel, als durch Vergrößerung des nutzbaren Gewichtes, resp. Vermehrung der Anzahl der Treibachsen, mit Erfolg erreicht ist, und zwar in dem Systeme des Ingenieurs John Barraclough Fell, dessen Erfindung im Januar 1863 in England patentirt wurde. Derselbe erzeugt eine erhöhte Reibung an der Bahn durch Anwendung einer dritten mittleren Schiene, an welche vermöge Federkraft eine Anzahl, der Locomotive zugehöriger Räderpaare in horizontaler Richtung auf beiden Seiten angepreßt wird. Im vorigen Jahrgang des polytechn. Journals, Bd. CXXVII S. 432, wurde der Bericht des Ingenieur-Hauptmanns Tyler über die günstigen Versuche mitgetheilt, welche mit Locomotiven nach Fell's Systeme auf einer Probestrecke der Mont Cenis-Eisenbahn angestellt worden sind. Im Anschluß an diesen Bericht lassen wir hiermit eine Beschreibung der Fell'schen Maschine mit beigegebener Abbildung folgen, welche der „Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure“ (Bd. IX S. 650) entnommen ist. Aus den Figuren 1 und 2 ist im Allgemeinen die Idee der Fell'schen Locomotive ersichtlich. Dieselbe ist eine Tendermaschine, zunächst mit außen liegenden Cylindern c, c. Außer diesen befinden sich innenliegend ebenfalls zwei Cylinder c₁, c₁, welche vermöge der Zugstangen b₁, b₂ oberhalb auf die verticalen Achsen a₁, a₂ einwirken. Unterhalb der Räder z, z.. befindet sich an denselben Achsen Kurbelzapfen, welche durch die Kuppelungsstangen d₁, d₂ mit den Zapfen e₃, e₄ der Achsen a₃, a₄ verbunden sind. Am oberen Ende der letzteren sind in abweichender Stellung die Zapfen f₃, f₄ angebracht, welche durch die Zugstangen b₃, b₄ in stets symmetrischer Stellung erhalten werde. Die Achsen a₁, a₃ einerseits und a₂, a₄ andererseits sind in den Lagerstühlen h, h₁ doppelt gelagert und werden mit diesen auf den Leisten ii, ii des Rahmens k, k horizontal geführt. In einer Vertiefung des unteren Theiles eines jeden Lagerstuhles befindet sich ein Satz kräftiger Federn, mittelst welcher die vier horizontalen Räder z, z.. an die Schiene m, m, m angepreßt werden. Der Druck der Federn und somit die Adhäsion an die Schiene m, m, m können durch einen Mechanismus regulirt werden, welcher aus einer Schraubenspindel s mit Rechts- und Linksgewinde, den Muttern o, o₁, dem Wurmrade r, dem Wurme u und dem Stellrade x besteht. Die Anordnung der horizontalen Treibachsen ist die gewöhnliche. Es ist leicht zu sehen, daß Vorrichtungen zum Bremsen und solche, welche das Entgleisen verhindern, sehr zweckmäßig an der mittleren Schiene sich anbringen lassen. Der Erfinder fügt außerdem seiner Maschine einen Mechanismus bei, durch welchen auf die mittlere Schiene Sand mittelst eines Wasser- oder Dampfstrahles gestreut werden kann. Ueber die bisher vorgeschlagenen Systeme, um billige Gebirgseisenbahnen mit starken Steigungen und scharfen Curven zu ermöglichen. Ueber die verschiedenen Systeme, welche zu diesem Zwecke vorgeschlagen und auch in Anwendung gebracht worden sind, entnehmen wir folgende Notizen der „Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure“ (Bd. IX S. 653). Die Hauptschwierigkeit, um eine möglichst billige Gebirgseisenbahn mit starken Steigungen und scharfen Curven zu ermöglichen, liegt bekanntlich in der Erzielung der nöthigen Adhäsion der Treibräder der Locomotiven an den Schienen, und dann in der nothwendigen Beweglichkeit und leichten Lenkbarkeit der Wagen beim Durchlaufen scharfer Krümmungen. In ersterer Beziehung ist zunächst daran zu erinnern, daß bei der ersten Einführung der Eisenbahnen man nur glaubte, die nöthige Adhäsion durch Anwendung gezahnter Schienen und gezahnter Kränze der Treibräder bewirken zu können, und in solcher Weise die erste Kohleneisenbahn zwischen Stockton und Darlington in England errichtete. Der geniale Stephenson wies zuerst experimentell nach, daß das eigene Gewicht der Locomotivmaschine hinreiche, den gewöhnlichen Radkränzen auf ebenen Schienen eine solche Adhärenz zu verleihen, daß der Wagenzug fortbewegt werden konnte. Lange wagte man es nicht, Schienenbahnen mit größeren Steigungen anzulegen, und hielt in den Kinderjahren der Eisenbahnindustrie Steigungen von 0,002 bis 0,003 bei Curven von 1200 Meter Radius als Grenze fest. Um größere Steigungen befahren zu können, war nun das Bestreben der Constructeure darauf gerichtet, einmal die Reibung zwischen Schienen und Rad möglichst durch Erhöhung des Reibungscoefficienten zu vermehren (Aufstreuen von Sand bei glatten Schienen, sogar Hervorrufung magnetischer Adhäsion etc.), dann aber die auf Reibung wirkende todte Last der Locomotiven zu erhöhen. Auf den ostindischen Gebirgsbahnen über die Ghauts und auf der Gebirgsstrecke der Genua-Turiner Bahn bei Giovi werden zu diesem Zwecke, nach R. Stephenson's System, zwei vierräderige zusammengekuppelte Tendermaschinen, welche nur von einem Führer bedient werden, angewendet. Dasselbe System wurde von R. Stephenson auch für die Semmeringbahn empfohlen, und anstatt dessen nach verschiedenen Versuchen das Engerth'sche System, bei welchem die Locomotivräder mit den Tenderrädern gekuppelt sind, zur Anwendung gebracht, was durch Zahnräder und eine Kettenkuppelung an der von Maffei gebauten Locomotive versucht war, welche bei der Concurrenz auf der Semmeringbahn den Preis gewann. Alle diese Systeme haben sich in der Praxis nicht so bewährt, daß sie ausgedehnte Anwendung auf Gebirgsbahnen finden werden; die nach dem Engerth'schen Systeme construirten Maschinen sind in den letzten Jahren sowohl auf der französischen Nordbahn, wie auf der Semmeringbahn gänzlich umgebaut worden. Eine solche Verbesserung, welche namentlich in der zweckentsprechenden Kuppelung zwischen Locomotive und Tender besteht und von dem Ingenieur Pius Fink herrührt, ist an der österreichischen Gebirgslocomotive „Steierdorf“ bei Gelegenheit der letzten Londoner Ausstellung zur Anschauung gebracht und im polytechn. Journal Bd. CLXXI S. 245 besprochen worden. Andere Versuche in derselben Richtung sind nach dem Vorgange von Harrison neuerdings in Frankreich durch Flachat und in England durch Archib. Sturrock angestellt. Der Tender wird hier mit besonderen Dampfcylindern versehen, welche mit dem Locomotivkessel in Verbindung stehen. Näheres über das Sturrock'sche System wurde bereits im polytechn. Journal Bd. CLXXII S. 251 mitgetheilt. Auf solche Weise läßt sich indessen im günstigsten Falle nur eine Adhäsion erzielen, welche dem Gesammtgewichte der Maschine und des Tenders entspricht und zur Ueberwindung von sehr starten Steigungen noch in keiner Weise genügt. Das Project Flachat's, auch das Gewicht der Wagen zur Erzeugung der nöthigen Adhäsion zu benutzen und zu diesem Zwecke jeden Wagen mit besonderen Dampfcylindern, in welche der Dampf aus dem Locomotivkessel zu leiten seyn würde, zu versehen, hat wenig Anklang, noch weniger eine Anwendung gefunden, und würde sich in der Praxis auch wohl schon wegen der Schwierigkeit und Weitläufigkeit, beim Zusammenkuppeln der Wagen eine gute Dampfleitung am ganzen Zuge entlang herstellen zu müssen, nicht bewähren. Bei Weitem besser, als alle diese früheren Versuche und Projecte, erscheint es, zum Betriebe der Gebirgsbahnen mit starken Steigungen für die Adhärenz der Treibräder an den Schienen, statt der entsprechend zu vermehrenden todten Last der Locomotive, eine besondere zugleich leicht zu regulirende Kraft zu benutzen, etwa die Dampfkraft oder, wie bei dem Fell'schen Systeme, die Federkraft. Die Priorität der Erfindung dieses Systemes wird Fell von dem französischen Akademiker Signier streitig gemacht, welcher bereits vor 21 Jahren der Pariser Akademie ein Project vorgelegt hat, das entschiedene Aehnlichkeit mit dem Fell'schen Systeme zeigt. Nach dem Vorschlage von Séguier werden nämlich zwei horizontale Räder an der Locomotive angebracht und wirken nach Art der Walzen eines Walzwerkes; durch den Widerstand des Wagenzuges werden diese horizontalen Räder gegen eine in der Mitte der Bahn solid befestigte Schiene gedrückt.Hr. v. Séguier hat sein Fortschaffungssystem (locomotion par laminage) in folgenden, der französischen Akademie der Wissenschaften eingereichten Abhandlungen besprochen:Ueber die Möglichkeit, die Vortheile der atmosphärischen Eisenbahnen großentheils auf den gewöhnlichen Eisenbahnen zu erzielen; im polytechn. Journal (1844) Bd. XCI S. 107.Verbesserungen im Bau der Eisenbahnen in Gebirgen wo bedeutende Schneefälle vorkommen; im polytechn. Journal (1853) Bd. CXXVIII S. 249.Ueber die Nachtheile des Schnee's auf den Eisenbahnen; im polytechn. Journal (1854) Bd. CXXXI S. 326.Ueber die Wirkungen des Schnee's auf die Eisenbahnen; im polytechn. Journal (1864) Bd. CLXXII S. 176.A. d. Red. Man hatte früher schon zwei solche horizontale Treibräder, verbunden mit einer in der Mitte des Geleises angebrachten dritten Schiene, auf amerikanischen Bahnen im Betriebe, wenn auch bei weniger starken Steigungen. Auch bei dem Arnoux'schen Systeme (beschrieben im polytechn. Journal, 1842, Bd. LXXXIII S. 432) sind solche horizontale, oder hier vielmehr etwas schräg geneigte Räder in Anwendung. Jedoch sind dieselben hier nicht Treibräder, sondern dienen nur dazu, die Wagenachsen stets radial zur durchlaufenen Curve einzustellen, sind also nur Leiträder. Solcher Leiträder sind je 4 bei jeder Wagenachse vorhanden und legen sich von innen zu je 2 an die inneren Schienenflanken. Eine Mittelschiene ist bei Arnoux nicht vorhanden. Die Adhärenz der Locomotivräder muß also auch hier durch das eigene Gewicht der Locomotive hervorgebracht werden. Dagegen besitzen die mit Arnoux'schen Leiträdern versehenen Wagen eine außerordentliche Lenksamkeit und können für Curven von 50 Meter Radius bei 30 Kilometer Geschwindigkeit per Stunde erfahrungsmäßig gut verwendet werden. Das Radialeinstellen jeder Wagenachse wird durch die 4 etwas geneigt gegen die Horizontale angebrachten Leiträder bewirkt, und die eigentlichen Laufräder sind mit ihren Naben auf den Achsen verschiebbar. Diese Construction ist selbst für die Treibräder der Locomotiven von Arnoux versucht worden und führte zu complicirten Anordnungen des Bewegungsmechanismus. Doch genügt es schon, diese Treibräder, wie gewöhnlich, mit ihren Naben auf den Achsen fest zu verkeilen und, um die nöthige Lenksamkeit herzustellen, die Vorder- und Hinterachse der Locomotive mit verschiebbaren Laufrädern und dem zu jeder Achse gehörigen Lenkapparat von 4 Leiträdern herzustellen. Bezüglich der von Fell am Mont-Cenis ausgeführten Versuchsstrecke und der auf derselben erzielten Betriebsresultate verweisen wir auf den oben erwähnten ausführlichen Bericht des Ingenieur-Hauptmanns Tyler vom 12. Juni 1865 im polytechn. Journal Bd. CLXXVII S. 432.

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