Titel: | Ueber die Darstellung der Naphtoesäure im Großen; von V. Merz und H. Mühlhäuser. |
Fundstelle: | Band 198, Jahrgang 1870, Nr. LX., S. 239 |
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LX.
Ueber die Darstellung der Naphtoesäure im Großen;
von V. Merz und H. Mühlhäuser.
Aus den Berichten der deutschen chemischen
Gesellschaft zu Berlin, 1870, Nr. 13.
Ueber die Darstellung der Naphtoesäure im Großen.
Unter den aromatischen Kohlenwasserstoffen ist das Naphtalin derjenige, welcher bei
der trockenen Destillation organischer Körper am allgemeinsten entsteht, aber nur
wenig ausgenutzt werden kann. Jede neue Verwerthung muß daher erwünscht seyn. In
dieser Beziehung verdient die Carbonsäure des Naphtalins, die Naphtoesäure
(collectiv für α + β Säure), ein specielles Interesse. Ihre große Aehnlichkeit mit der
Benzoesäure macht es von vorn herein wahrscheinlich, daß sie, wo Benzoesäure
industriell verwendet wird, gleichfalls – bei ausgiebiger Darstellung wohl
vortheilhafter – zu brauchen ist. Zunächst handelt es sich natürlich um die
ausgiebige Darstellung im Großen.
Versuche im Kleinen hatten früher schon ergeben (Zeitschrift für Chemie, neue Folge,
Bd. IV S. 34), daß Naphtoesäure sehr reichlich entsteht, wenn man Sulfonaphtalate
mit Cyankalium destillirt und das Destillat verseift. Die Verfasser haben nun einige
Versuche in größerem Maaßstab ausgeführt.
Die Darstellung des zunächst erforderten Alkali-Sulfonaphtalats hat keine
Schwierigkeiten. Es wurde Naphtalin mit gleichviel concentrirter Schwefelsäure im
Dampfbade auf 100° C. erhitzt, häufig umgerührt, und nach einigen Stunden
noch intactes Naphtalin durch heißes Wasser (8- bis 10fache Menge)
abgeschieden; aus der Lösung entfernte man durch Kalkmilch die freie Schwefelsäure,
worauf durch Abstumpfen mit Soda, Eindampfen u.s.w. das gewünschte
Natrium-Sulfonaphtalat erhalten wurde. Das Abstumpfen mit Soda macht sich
begreiflicher Weise zeitraubend, weßhalb es vielleicht zweckmäßiger ist, zunächst
alle Sulfosäure an Calcium zu binden, um erst dann Soda anzuwenden.
Bei der Darstellung der Sulfosäure war an sechs Stunden erhitzt worden; spätere
Versuche zeigten indessen, daß 2 bis 3 Stunden genügen, fernerhin wohl nur etwas
mehr β Sulfosäure entsteht. Da übrigens
fortwährend Naphtalin entweicht, so ist für Condensation zu sorgen. In Allem wurden
an 30 Proc. Naphtalin zurück erhalten. Man kann daher Schwefelsäure und Naphtalin
wie 4:3 nehmen; auch so wird nicht alles Naphtalin gelöst. Die Ausbeute an
Sulfonaphtalat läßt im Uebrigen nichts zu wünschen übrig.
Um den Ertrag an Cyanür aus Sulfonaphtalat genügend zu bestimmen, wurden fein
gepulvertes Cyankalium und Sulfonaphtalat wie 1 : 2 und 2 : 3 innig vermischt und in
verschiedenen Quantitäten aus eisernen oder thünernen Retorten destillirt.
Mischung 1 : 2 gab auf 1000, 2000 und 3000 Grm. Sulfonaphtalat 410, 770, 1000 Grm.
rohes Cyanür; Mischung 2 : 3 lieferte für gleiche Quantitäten Naphtalat an rohem
Cyanür 440, 830, 1070 Grm. Die Steigerung des Cyankaliumsalzes bis zum Verhältniß 1
: 1 brachte keine wesentlich besseren Resultate.
Rohes Cyanür nennen die Verf. das abgewaschene und durch einen Scheidetrichter
sorgfältig gesonderte ölige Destillat. Außer diesem liefert die Destillation sehr
merklich Ammoniumcarbonat, Wasser, etwas Cyanammonium und namentlich am Schluß auch
Kohlensäure, Kohlenoxyd und Schwefelwasserstoff. Von den Gasen wird selbst bei guter
Kühlung Cyanür mitgerissen, beim Waschen mit Wasser aber wieder abgesetzt. Die Menge
steigt bei rascher Destillation, ist aber sonst wenig beträchtlich.
Die Verfasser haben beiläufig auch Calcium- und Kalium-Sulfonaphtalat
auf Cyannaphtalin verarbeitet. Ersteres Salz scheint wenig empfehlenswerth; das
Cyanür war stark naphtalinhaltig. Das letztere Salz gab dagegen noch bessere
Ausbeute, als die Natriumverbindung; auch ist der Rückstand hier jedenfalls
werthvoller, da er unvermischte Kaliumverbindungen enthält. Ausgedehnte Versuche mit
Kalium-Sulfonaphtalat wurden jedoch nicht ausgeführt.
Die Resultate mit Natrium-Sulfonaphtalat zeigen, daß das Verhältniß des
ausgebrachten Cyanürs für starke Destillationssätze sinkt. Ursache ist hauptsächlich
das geringe Leitungsvermögen der Ingredienzien, resp. ihre unregelmäßige Erhitzung.
In der That können die Wandungen eines Destillationsgefäßes lange und stark geglüht
haben, innere Theile der Mischung aber trotzdem unverändert seyn. Wird eine solche
Masse fractionenweise neuerdings destillirt, so erhält man auch neue Mengen von
Cyanür. Ein derartiger Versuch gab 1000, dann noch 300 Grm. Cyanür. Große
Destillationssätze haben den ferneren Nachtheil, daß das zuletzt bei starker
Feuerung entbundene Cyannaphtalin an den glühenden Wandungen nicht sämmtlich
unverändert passirt; es wird naphtalinhaltig. Im Einklang hiermit ist rasches
Anheizen zu verwerfen; eine mäßig beschleunigte Destillation liefert das beste
Resultat.
Die Uebelstände bei größeren Versuchen lassen sich wohl durch eine passende
Rührvorrichtung heben, in Gefäßen, wo die Dämpfe wenig hoch zu steigen haben,
überhaupt abziehen, ohne an viel glühender Fläche vorüber zu streichen. Cylindrische
Retorten dürften bei tief gelegtem und durchgehendem Abzug die passende Form haben. Man wird
der Art alles Cyannaphtalin schon durch mäßiges Feuer und daher relativ rein
ausbringen können.
Die Verf. erwähnen noch, daß das zu ihren Versuchen benutzte Cyankalium wenig über
7/10 reine Verbindung enthielt; der Rest, hauptsächlich Kaliumcyanat, konnte,
abgesehen von seiner Werthlosigkeit, nur schädlich wirken und Nebenproducte
veranlassen. Jedenfalls muß die Ausbeute an Cyanür erklecklich steigen, wenn man
cyanatfreies Cyankalium nimmt, wie solches nach Wöhler
durch Zusammenschmelzen von gelbem Blutlaugensalz mit Potasche und Kohle erhalten
wird.
Das rohe, röthlichgelbe Cyannaphtalin aus Natrium-Sulfonaphtalat enthielt 80,
90 und noch mehr Procent reines Cyanür. Es bleibt meistens sehr lange flüssig,
secernirt aber nicht selten etwas Naphtalin. Verseift liefert es 4/5 bis sein
gleiches Gewicht Naphtoesäure.
Man kann das Cyanür geradezu verseifen oder zunächst rectificiren. Wird destillirt,
so versiedet die große Hauptmenge um 300° C.
Die ersten, stark naphtalinhaltigen Partien erstarren rasch; als Hauptproduct folgt
liquid bleibendes, etwa strohgelbes und lebhaft grün fluorescirendes Cyanür; endlich
restiren ungemein hoch siedende Rückstände, welche dabei Schwefelwasserstoff
ausstoßen und beim Erkalten zu einer obsidianartigen Masse erstarren. Die Masse
enthält, wie das Verhalten zu Aetzlauge zeigt, u.a. auch ein Cyanür. Sie löst sich
wenig in Weingeist, vollständig und leicht in Benzol. Ihre Lösungen fluoresciren
lebhaft grün.
Das rectificirte Cyannaphtalin verliert bei wiederholter Destillation die Fluorescenz
nicht, aber vollständig die Färbung. Besser destillirt man mit Wasserdämpfen;
hierbei wird auch rohes Cyannaphtalin unmittelbar nahezu farblos erhalten. Mit
siedendem Nasser verflüchtigt sich das Cyanür zwar spärlich, reichlich aber, wenn
man es auf 150 bis 170° erhitzt und dann Wasserdämpfe einleitet; noch
förderlicher wirkt jedenfalls gespannter Wasserdampf.
Die Verf. haben Naphtoesäure aus rohem, wie aus rectificirtem Cyannaphtalin durch
Kochen mit weingeistiger Aetzlauge dargestellt. Am Rückflußkühler erfolgt die
Verseisung namentlich bei großen Mengen langsam und ist häufig nach 2 bis 3 Tagen
noch nicht vollständig. Operirt man dagegen im Digestor, so genügen 5 bis 6 Stunden.
Als passende Mischung darf gelten: Cyannaphtalin und Aetznatron je 1 Theil auf 4 bis
5 Theile Weingeist.
Die Zersetzung unter Verschluß hat auch den Vortheil, daß der Weingeist sich kaum färbt, während die
sonst leicht gebildeten dunklen Producte der Naphtoesäure ungemein hartnäckig
anhängen.
Ist sämmtliches Cyanür zersetzt, so wird aller Weingeist verjagt, was zurückbleibt,
in Wasser gelöst, eventuell Ungelöstes (Naphtalin) abfiltrirt; war reines Cyanür
genommen worden, so übersättigt man ohne Weiteres mit Salzsäure, colirt die
ausgefallene Naphtoesäure, wäscht sie aus, preßt sie ab und trocknet sie. Sie bildet
eine schön weiße Masse.
Säure aus rohem Cyanür, wie erwähnt dargestellt, ist mißfarben graulich. Man darf
hier die alkalische Lösung nicht sofort fällen; sie wird zunächst bloß neutralisirt,
mit Thierkohle gekocht, dann filtrirt und kalt mit einer Permanganatlösung zersetzt.
Das Permanganat reagirt sehr langsam in der Kälte, mäßig rasch beim Erwärmen, und
verbrennt die färbenden Stoffe. Wird das Filtrat vom Manganniederschlag mit
Salzsäure übersättigt, so fällt Naphtoesäure als schön weißes Präcipitat.
Um die Naphtoesäure zu krystallisiren, dient am besten verdünnter Weingeist oder
Benzol; Wasser löst zu wenig auf. Bemerkenswerther Weise stechen die Krystalle oft
in's Röthliche oder Bräunliche, wenn auch die ausgefällte oder getrocknete Säure
ganz weiß war. Umkrystallisiren hilft wenig; löst man jedoch in Soda, wendet
Permanganat etc. an, so gelingt es leicht, fast oder ganz farblose Krystalle zu
erhalten. Sie zeigen starken Perlmutterglanz, bilden gewöhnlich lange breite Nadeln
und gleichen täuschend den Krystallen der Benzoesäure. Naphtoesäure aus rohem
Cyannaphtalin krystallisirt nicht oder schwer, was jedenfalls an Beimengungen liegt.
Die Säure gleicht auch hierin der Benzoesäure.
Wie erwartet, vermag Naphtoesäure die kostspieligere
Benzoesäure in ihren Anwendungen zu ersetzen, so namentlich bei der Umwandlung
des Nosanilins in Blau. Hier leistet nach Versuchen von A. Girard die Naphtoesäure durchaus dasselbe, was die
Benzoesäure leistet. Im gleichen Sinne theilte auch Hr. Fabrikant A. Mylius in Basel den Verf. mit, daß die Naphtoesäure
mindestens ebenso schönes und feuriges Blau gebe, wie Benzoesäure. Das Ergebniß
dürfte noch günstiger seyn, wenn statt der benutzten, ziemlich rohen Säure mit
Permanganat gebleichte Säure genommen wird. Berücksichtigt man die
Kostenverhältnisse, so erscheint es als unzweifelhaft, daß der Ersatz der
Benzoesäure durch Naphtoesäure erhebliche Vortheile bietet.