Titel: | Ueber die Constitution des Ultramarins; von Prof. W. Stein. |
Fundstelle: | Band 200, Jahrgang 1871, Nr. LXXXI., S. 300 |
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LXXXI.
Ueber die Constitution des
Ultramarins; von Prof. W. Stein.
Aus dem polytechnischen
Centralblatt, 1871 S. 445.
Stein, über die Constitution des
Ultramarins.
Stellt der Ultramarin als Ganzes eine chemische Verbindung dar,
und in welchem Verbindungszustande befindet sich der Schwefel
desselben? Dieß sind Fragen, welche zwar schon vielfach
besprochen, aber noch nicht in allseitig befriedigender Weise
beantwortet worden sind. Indem ich deren Lösung versuche,
beginne ich mit der zweiten Frage, welche für die Beurtheilung
der Constitution des Ultramarins den Schwerpunkt bildet.
Die Mehrzahl der Autoren denkt sich den zur Constitution des
Ultramarins gehörigen Schwefel mit Natrium verbunden als
Mono-, Di- oder Pentasulfuret. Wenige, zu denen
ich selbst früher gehörte, glauben an das Vorhandenseyn von
unterschwefliger Säure neben Schwefelnatrium, und noch geringer
ist die Zahl Derjenigen, welche es für möglich oder
wahrscheinlich halten, daß der Schwefel an Aluminium gebunden
sey.Als ich aus Veranlassung der vorliegenden Arbeit ältere
literarische Quellen aufsuchte, überzeugte ich mich, daß
wichtige Einzelheiten der Geschichte des Ultramarins
allgemein in Vergessenheit gerathen sind. So heißt es
z.B. in der Abhandlung von C. G. Gmelin
„über Ultramarin und dessen künstliche
Darstellung“ vom Jahre 1828 (Journal für
technische und ökonomische Chemie, Bd. III S. 386):
„In welcher Verbindung der Schwefel die
Färbung des Ultramarins bewirkt, läßt sich noch
nicht bestimmen; am wahrscheinlichsten ist es, daß
er als unterschweflige Säure darin enthalten
ist.“ Auch läßt die Beschreibung der
Darstellung keinen Zweifel darüber, daß Gmelin den „weißen
Ultramarin“ bereits unter Händen gehabt
und dessen Eigenschaft, durch Luftzutritt in der Hitze
grün und blau zu werden, erkannt hat. Endlich sagt Berzelius im Jahrg. 1836
seines Jahresberichtes (S. 137): „Bekanntlich
enthält der Ultramarin nach C. G. Gmelin's Entdeckung als
wesentliche Bestandtheile Schwefelaluminium und
Schwefelnatrium, ohne daß wir jedoch die
Verbindungsweise kennen.“ Nirgends sonst,
selbst nicht in Gmelin's
Handbuch, habe ich diese Notiz gefunden.
Im Folgenden werde ich Beweise dafür beibringen, daß im blauen
Ultramarin 1) schweflige, nicht aber
unterschweflige Säure, die indessen beide für seine
Constitution ebenso unwesentlich sind, wie die Schwefelsäure, 2)
nur Schwefelaluminium, ohne ein
Sulfuret des Natriums, vorkommt.
Prüfung auf unterschweflige und schweflige
Säure. – Unterschwefligsaure Alkalien zersetzen
sich bekanntlich mit neutralem schwefelsauren Kupferoxyd beim
Kochen der Lösungen so, daß schließlich, während Schwefelkupfer
entsteht, schweflige Säure entweicht. Auch der Ultramarin wird,
wie ich früher nachgewiesen habe (polytechnisches Centralblatt,
1859 S. 897 ff.), beim Erwärmen mit neutraler
Kupfervitriollösung unter Bildung von Schwefelkupfer leicht
zersetzt. Enthielte derselbe nun unterschwefligsaures Salz, so
müßte auch hier schweflige Säure auftreten. Verschiedene Proben
von blauem (Meißen, Heidelberg), grünem (unbekannten Ursprunges)
und weißem, selbstbereitetem Ultramarin, je 1 Grm. in diesem
Sinne geprüft, entwickelten keine schweflige Säure.Die Versuche von R. Hofmann
(polytechnisches Centralblatt, 1861 S. 1437), durch
welche derselbe unterschweflige Säure aus blauem
Ultramarin direct ausgezogen zu haben glaubte, lassen
eine Verwechselung mit schwefliger Säure zu, indem ein
Gemisch von schwefligsaurem Bleioxyd und Schwefelblei
sich in allen von ihm zur Beweisführung benutzten
Reactionen dem unterschwefligsauren Salz ähnlich
verhält.
Schweflige Säure dagegen fand ich in jedem Ultramarin, den ich
darauf geprüft habe, und diese läßt sich leicht und sicher nicht
bloß nachweisen, sondern auch ihrer Menge nach bestimmen, wenn
man die Probe mit einer alkalischen Lösung von arseniger Säure
kurze Zeit kocht und dann in kleinen Portionen Salzsäure bis zur
sauren Reaction zufügt. Die alkalische Lösung ist der von mir
früher benutzten salzsauren vorzuziehen, weil die gleichzeitige
Entwickelung von Schwefelwasserstoff neben der schwefligen Säure
dadurch sicherer vermieden wird. Jedenfalls aber verdient die
arsenige Säure vor den übrigen zu gleichem Zweck in Vorschlag
gebrachten Mitteln deßhalb den Vorzug, weil, wie ich durch
vergleichende Versuche festgestellt habe, das Schwefelarsen der
Einwirkung freier Säure am kräftigsten widersteht.
Prüfung auf Sulfurete. – Eine
Lösung von Kupfervitriol wird durch lösliche Polysulfurete unter
Abscheidung von freiem Schwefel neben Schwefelkupfer zersetzt.
Demzufolge müßte sich bei der Zersetzung des Ultramarins durch
Kupfervitriol Schwefel aus dem Schwefelkupfer ausziehen lassen,
wenn ein Polysulfuret darin vorhanden wäre. Unter Anwendung von
je 1 Grm. Probe war dieß bei den oben erwähnten, sowie anderen
blauen Ultramarinen (Vorster, Marienberg) nicht der Fall.Soll bei diesem Versuche zugleich die Schwefelmenge
bestimmt werden, so muß man an Stelle des Kupfervitriols
Chlorkupfer anwenden. Letzteres zersetzt, wenn auch
etwas langsamer, als ersterer, doch vollständig den
Ultramarin und wandelt, in genügendem Ueberschusse
angewendet, alle schweflige Säure in Schwefelsäure um,
während anderenfalls eine unlösliche Kupferverbindung
der schwefligen Säure entsteht, die sich dem
Schwefelkupfer beimischt. Der blaue Ultramarin enthält demnach kein
Mehrfach-Schwefelnatrium. Daß er auch kein
Einfach-Schwefelnatrium enthalten kann, ist nicht schwer
aus der allgemeinen Erfahrung sowohl wie aus besonderen
Versuchen zu erschließen. Schmilzt man z.B. ein eisenfreies
Natronsilicat mit eisenfreiem Schwefelnatrium theils ohne
Weiteres, theils unter Zusatz von reinem Kalkphosphat und in
verschiedenen Verhältnissen zusammen, so erhält man Producte,
welche je nach der Concentration rothgelb bis goldgelb gefärbt
sind. Das Schwefelnatrium färbt diese Silicate, wie es das
Wasser färbt. Damit stimmt überein, was in neuester Zeit über
die Färbung des Glases durch Schwefelnatrium beobachtet worden
ist, und es besteht überhaupt keine widersprechende Erfahrung.
Es liegt demnach auch kein Grund zu der Annahme vor, daß das
Schwefelnatrium sich gegenüber dem Silicate des Ultramarins
anders verhalten sollte. Man darf vielmehr voraussagen, daß es
auch dieses rothgelb oder gelb färben würde, wenn es darin
vorhanden wäre, und folglich daß es in rein blauem oder
röthlich-blauem Ultramarin, wenigstens in irgend
erheblicher Menge, nicht vorkommen kann.
Das darin enthaltene Schwefelmetall kann hiernach kein anderes
als Schwefelaluminium seyn. Zu dieser Ueberzeugung gelangt man
u.a. schon durch ein näheres Eingehen auf die Einzelheiten der
Entstehung des Ultramarins. Wenn dieser nämlich sich bilden kann
durch das Aufeinanderwirken von wasserfreier kieselsaurer
Thonerde und wasserfreiem Schwefelnatrium bei Abschluß der Luft,
und man in dem farbigen Producte neben kieselsaurer Thonerde
kieselsaures Natron findet, so hat sich eine entsprechende Menge
Natrium vom Schwefel getrennt und mit Sauerstoff verbunden, den
es nur auf dem Wege der Wechselzersetzung von einem
Bestandtheile des Thones entnommen haben kann. Dieser
Bestandtheil ist nicht die Kieselerde; denn schon Leykauf führt an, daß man
Ultramarinblau ohne Kieselerde erhalten könne. Dasselbe
bestätigte mir der Director der Heidelberger Ultramarinfabrik
Dr. Lippert, aus eigener Erfahrung, und Versuche welche
ich mit reiner Thonerde und reinem Schwefelnatrium angestellt
habe, stimmen damit überein. Vom Eisen kann abgesehen werden, da
es bekannt ist, daß dasselbe nicht zu den Ultramarin bildenden
Bestandtheilen des Thones gehört. Folglich muß es die
Thonerde seyn, von der überdieß nachgewiesen ist, daß sie, mit
Schwefelnatrium zusammengeschmolzen, Schwefelaluminium
bildet.
Ritter (aus dessen Dissertation
„über das Ultramarin,“ Göttingen 1860,
im chemischen Centralblatt, 1860 S. 705 und 727) folgert zwar
aus seinen Versuchen gerade das Gegentheil, es ist jedoch leicht
nachzuweisen, daß dieselben auch eine andere Deutung, als die,
welche er ihnen gegeben hat, ungezwungen zulassen. Er ließ
nämlich bei etwa 300° C. Chlorgas auf weißen Ultramarin
wirken und fand, daß sich nur wenig Chlornatrium, aber kein
Chloraluminium bildete, „es sey denn, daß man lange
und unmäßig stark erhitzte.“
„Man kann hieraus,“ meint Ritter, „mit Sicherheit
schließen, daß der Schwefel des Ultramarins nur mit Natrium
verbunden, und ferner, daß im Ultramarin das Schwefelnatrium
in wirklich chemischer Verbindung mit dem Silicate vorhanden
ist, da es sonst, gleich freiem Schwefelnatrium, vollständig
vom Chlor zersetzt werden müßte.“ Da nun den
Chemikern täglich Fälle vorkommen, wo die Wirkung eines Reagens
durch rein mechanische Einhüllung einer Substanz paralysirt
wird, so dürfte man mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit
schließen, daß das Schwefelnatrium von dem Silicate nur
eingehüllt und dadurch vor der Zersetzung geschützt werde. In
jedem Falle ist man berechtigt, die gleiche Immunität auch für
das etwa vorhandene Schwefelaluminium vorauszusetzen, für dessen
Abwesenheit der Versuch demnach keineswegs beweisend ist. Wenn
dagegen bei stärkerem und länger fortgesetztem Erhitzen dennoch
Chloraluminium auftritt, was ich nach eigenen Versuchen
bestätigen kann, so liegt darin gerade ein Beweis für das
Vorhandenseyn von Schwefelaluminium, da nur dieses, nicht aber
die Thonerde durch Chlor unter den obwaltenden Umständen
zersetzbar ist.
Kann nach alledem die Anwesenheit des Schwefelaluminiums im
Ultramarin nicht mehr in Zweifel gezogen werden, so bleibt,
bevor über die Constitution desselben eine klare Ansicht erlangt
werden kann, die Frage zu erörtern, welche Farbe das
Schwefelaluminium besitzt. Berzelius
beschreibt es als eine schwarze Masse; auch Vincent (Will's Jahresbericht, 1857 S. 154) hat es als
schwarzes Pulver erhalten. Dagegen wird in Graham-Otto, Bd. II
S. 657, auf Grund einer Angabe Fremy's (Annales de chimie et
de physique, 3. série,
t. XXXVIII p. 312):
„le sulfure d'aluminium
présente l'aspect d'une masse vitreuse
fondue“ angenommen, es sey farblos.
Dadurch war ich in die Nothwendigkeit versetzt, es nach den
verschiedenen Methoden selbst darzustellen.
Durch Verbrennen von Aluminiumfolie in Schwefeldampf, der in einem Kolben entwickelt worden war, erhielt ich es nur einmal,
aber mit den von Berzelius
angegebenen Eigenschaften. Als ich dann, um sicherer arbeiten zu
können, Aluminiumblech, spiralig aufgerollt, auf
Porzellanschiffchen in einer Porzellanröhre erhitzte, während
durch dieselbe ununterbrochen und reichlich Schwefeldampf
strich, fand nach einiger Zeit plötzlich ein lebhaftes Erglühen
des Metalles statt, und damit war die Operation beendet. Der
größte Theil des Metalles war nämlich zu Kugeln
zusammengeschmolzen, die mit einer Rinde von Schwefelaluminium
umgeben waren und dadurch vor der weiteren Einwirkung des
Schwefeldampfes geschützt wurden. Letzteres war geschmolzen, von
gelblicher Farbe, und besaß stellenweise einen
blätterig-krystallinischen Bruch. An der Luft liegend,
roch es nach Schwefelwasserstoff und zerfiel endlich wie
gebrannter Kalk. Dieses Präparat zeigte überdieß eine
interessante Erscheinung beim Erhitzen in einer Atmosphäre von
Stickstoffgas. Es verlor nämlich Schwefel (von zwei zu
verschiedenen Zeiten dargestellten Proben verlor die eine 20
Procent, die andere 16 Procent), welcher bei der hohen
Entstehungstemperatur, wie es scheint, nur mechanisch
festgehalten und nun bei viel niedrigerer Temperatur in einem
fremden Gase wieder abgegeben wurde. Nach diesem Erhitzen war
seine Farbe grauweiß, und seine Zusammensetzung entsprach der
Formel Al² S³. So oft der Versuch in der eben
angegebenen Art ausgeführt wurde, erhielt ich das Präparat stets
in der Hauptsache von derselben Beschaffenheit; nur war
bisweilen an verschiedenen Stellen eine schwärzliche Farbe
bemerkbar.
Durch Zusammenschmelzen von Thonerde, kohlensaurem Natron und
Schwefel erhielt ich das Schwefelaluminium als schwarzes Pulver.
Ebenso, wenn ich den Versuch dahin abänderte, daß ich mit reiner
Oberfläche geschmolzenes Natrium zuerst mit Aluminium
zusammenzuschmelzen versuchte und diese Masse nach dem Erkalten
mit Schwefel erhitzte. In beiden Fällen entfernte ich das
Schwefelnatrium durch absoluten Alkohol.
Das Glühen von reiner Thonerde in Schwefelkohlenstoffdampf wurde
auf Porzellanschiffchen vorgenommen, welche, damit die
Zersetzung des Schwefelkohlenstoffes möglichst vermieden werde,
auf Kohleunterlagen gestellt waren. Bei der höchsten Temperatur,
die ich in einem größeren Röhrenofen zu geben vermochte, erhielt
ich auch hier das Schwefelaluminium geschmolzen, einmal ganz
farblos mit einem schwarzen, matten Ueberzuge, ein andermal
gelblich gefärbt, mit einem dünnen graphitfarbigen Ueberzuge
bedeckt. Bei weniger hoher Temperatur dagegen stellte es immer
ein amorphes schwarzes Pulver dar, untermischt mit Kohlenstoff
und unzersetzter Thonerde.
Das Schwefelaluminium kann demnach in zwei
Modificationen existiren, wovon die eine ein
amorphes schwarzes Pulver, die andere eine zusammenhängende
farblose oder gelbliche Masse von krystallinischer
Beschaffenheit darstellt. Dieses erstere entsteht bei
niedrigerer Temperatur und kann, wie ich mich durch den Versuch
überzeugt habe, durch Erhitzen bis zum Schmelzen in die zweite
Modification übergehen. Diese dagegen scheint überhaupt nur dann
zu entstehen, wenn die kleinsten Theilchen der Substanz nicht an
ihrer Vereinigung zu zusammenhängenden größeren Theilchen
gehindert werden.
Nach Erörterung dieses Zwischenpunktes wende ich mich zur
Besprechung der Hauptfrage, ob der Ultramarin eine wirkliche
chemische Verbindung sey, wie vielfach angenommen wird. Wie
naheliegend eine solche Annahme seyn mag, so findet man doch bei
eingehender Prüfung nicht, daß sie durch die Thatsachen
unterstützt wird. Schon C. G. Gmelin
fand, daß bei der Darstellung des Ultramarins die Menge der
Kieselerde bedeutend variiren könne; später wurde, wie schon
erwähnt, erkannt, daß sie ganz entbehrlich sey. Vergleicht man
alsdann die vorliegenden Analysen mit einander, so findet man
nicht bloß bedeutende Differenzen zwischen denen des natürlichen
und denen des künstlichen Ultramarins, sondern auch die Zahlen
für Producte einer und derselben Fabrik weichen in der Mehrzahl
der Fälle so sehr von einander ab, daß man an eine constante
chemische Verbindung nicht wohl denken kann. Die dafür
aufgestellten Formeln sehen denn auch verschieden genug aus.
Ebenso wenig wie die Thatsachen sprechen dafür theoretische
Betrachtungen; denn die Verbindung eines Schwefelmetalles mit
einem Doppelsilicate (also einem Doppelsalze) ist, wenn auch
nicht unmöglich, doch sehr unwahrscheinlich. Daß übrigens die
Abweichung in der Zusammensetzung verschiedener Ultramarine
nicht noch viel größer ist, ja bei genauester Arbeit und
Benutzung derselben Materialien in manchen Fabriken Producte von
sehr übereinstimmender Zusammensetzung erhalten werden können,
dafür findet sich die Erklärung, sobald man die richtige Ansicht
über den chemischen Vorgang bei der Aufeinanderwirkung von
Schwefelnatrium und Thon gewonnen hat.
Wenn es nämlich als gewiß angesehen werden darf, daß
Schwefelnatrium wasserfreien Thon nur aufzuschließen vermag in
dem Maaße, als es im Stande ist die Thonerde desselben
umzusetzen, so begreift man, daß dieser Vorgang seine Grenze
erreicht, sobald die Verwandtschaft der Kieselerde zur Thonerde
mit der zersetzenden Wirkung des Schwefelnatriums in's
Gleichgewicht gekommen ist. Wahrscheinlich schwankt diese Grenze
um geringe Beträge unter dem Einflusse verschiedener
Zersetzungstemperaturen, und sicher sind die quantitativen
Resultate verschieden je nach der Dauer des Processes, der
Zusammensetzung des Thones, und je nachdem das Hydratwasser an
der Zersetzung Theil nimmt.
Aus diesen Betrachtungen geht hervor, daß der Ultramarin zwar
kein Gemenge gewöhnlicher Art, sondern nach stöchiometrischen
Verhältnissen gemischt ist; wie aber seine chemische
Constitution aufzufassen sey, wird am besten an einem analogen
Falle klar. Ein solcher ist die Verseifung der Fette durch
Schwefelnatrium. Geht diese bei gewöhnlicher Temperatur vor
sich, so weiß man, daß die Hälfte des Schwefelnatriums
fettsaures Natron bildet, während die andere Hälfte in
Schwefelwasserstoff-Schwefelnatrium übergeht. Beide
Producte befinden sich nebst dem frei gewordenen Glycerin neben
einander, wie die Producte der Ultramarinbildung, in
stöchiometrischen Verhältnissen; aber in diesem Falle denken wir
nicht daran, daß sie als Ganzes eine chemische Verbindung bilden
könnten. Nach meiner Ueberzeugung ist dieß für den Ultramarin
ebenso wenig statthaft, jedenfalls nur von untergeordneter
Bedeutung. Die blaue Farbe des Ultramarins, welche ja allein
sein charakteristisches Merkmal bildet, ist in der That,
theoretisch betrachtet, unabhängig von der chemischen
Zusammensetzung, vielmehr nur bedingt
durch das optische Verhalten der
Mischungsbestandtheile. Vom praktischen Standpunkte dagegen
ist die chemische Zusammensetzung insofern von äußerster
Wichtigkeit, als sie die Entstehung einer eben so schönen, wie
in gewisser Beziehung dauerhaften Farbe möglich macht. Wo aber
im Uebrigen jene Grundbedingung erfüllt ist, da tritt das Blau
auf, bei Anwendung der verschiedensten Materialien. So entsteht
es, wenn man feinsten Lampenruß in angemessenem Verhältniß mit
Milch zusammenrührt, wenn eisenhaltige Thonerde, gallertig oder
trocken, mit Schwefelalkalien zusammengebracht wird, wenn man
hinter eine weißlich trübe Glasfläche ein schwarzes Papier hält,
wenn man ein Blatt schwedisches Papier, mit Schwefelkohlenstoff
getränkt und zwischen zwei Glasplatten gepreßt, auf schwarzes
Papier legt u.s.w. Endlich habe ich sie hervorgerufen, indem ich
die früher erwähnte Fritte aus kieselsaurem Natron,
Schwefelnatrium und wenig Kalkphosphat mit gelbem
Schwefelaluminium sehr innig zusammenrieb, dann über einem
Gasgebläse kurze Zeit erhitzte und endlich das Schwefelnatrium
kalt auslaugte.
Alle diese Beispiele haben nur das Gemeinsame, daß eine weißlich
trübe Grundmasse mit einem schwarzen Körper, ich will, um das,
worauf es ankommt, auszudrücken, sagen, optisch gemischt ist,
und gerade dieß findet auch beim Ultramarin statt. Er besteht aus einer weißen Grundmasse, mit welcher schwarzes Schwefelaluminium in
molecularer Vertheilung gemengt ist.
Die moleculare Vertheilung des Schwefelaluminiums folgt aus dem
Entstehungsvorgange. Denn jedes Molecül dieser Verbindung wird
gebildet, man kann sagen, inmitten eines Thonmolecüls und
zugleich umgeben von drei gleichzeitig entstehenden Molecülen
Natron, die, mit Kieselerde zu basischem Salze sich verbindend
zusammensintern, und die ganze Gruppe einhüllen. Daß hierbei
auch überschüssiges Schwefelnatrium mit eingehüllt werden kann,
ist begreiflich. Von der Existenz der weißlich-trüben
Grundmasse (ich will sie „Ultramarinfritte“
nennen) kann man sich leicht Ueberzeugung verschaffen, wenn man
Thon und kohlensaures Natron, mit Weglassung des Schwefels, in
den Verhältnissen des Ultramarinsatzes mischt und bei der
Temperatur, wie diesen, erhitzt. Auch ist es möglich, sich
darüber Gewißheit zu verschaffen, daß diese Fritte der im
Ultramarin enthaltenen entspricht. Sie liefert nämlich in der
That Ultramarin, wenn man sie in Schwefelkohlenstoffdampf zur
Rothgluth erhitzt.
Der Ultramarin stellt sonach das erste
Beispiel seiner Art zu der oben illustrirten und täglich zu
beobachtenden Erscheinung dar; denn bis jetzt hat man
sie noch nie als die Ursache einer Körperfarbe erkannt. Ebenso
wenig hat sie, so viel mir bekannt, bis jetzt eine
wissenschaftliche Erklärung gefunden; denn die Biot'schen Lehrsätze von Entstehung
der Körperfarben sind zu viel umfassend, um im einzelnen Falle
die Erklärung finden zu lassen. Wohl aber hat Goethe das Wesen derselben in einer
empirischen Formel ausgedrückt: „Wird durch ein
trübes, von einem Lichte erleuchtetes Mittel die Finsterniß
gesehen, so erscheint uns eine blaue Farbe, welche immer
Heller und blässer wird, je mehr sich die Trübe des Mittels
vermehrt, hingegen immer dunkler und satter sich zeigt, je
durchsichtiger das Trübe wird, ja beim geringsten Grade
desselben als schönstes Violett auftritt.“ Um nur
ein Beispiel anzuführen, wie dieser Satz in der
Ultramarin-Praxis seine Bestätigung findet, erinnere ich
daran, daß der aus Thonerde, ohne Kieselerde, dargestellte
Ultramarin blaß blau, der unter Zusatz eines
Kieselerde-Ueberschusses erhaltene aber
röthlich-blau ist. Die Thonerde besitzt nun offenbar
einen höheren Grad von Trübe, als das gewöhnlich im Ultramarin
vorhandene Thonerde-Natron-Silicat, und wenn dem
Thone, neben Flußmitteln, freie Kieselerde zugesetzt wird, so
erhöht sich bekanntlich seine Schmelzbarkeit. Daraus folgt aber,
daß die Trübung in einem solchen Falle geringer werden muß. Der
verschiedene Grad der Trübung steht also in der That in einer
unverkennbaren Beziehung zum Ton der Farbe, und zwar
übereinstimmend mit dem Goethe'schen
Satze.
Eine wissenschaftliche Abhandlung über den blauen Ultramarin
würde nicht vollständig seyn ohne Rücksichtnahme auf den weißen
und grünen, die theoretisch vom ersteren nicht getrennt werden
können. Ich lasse daher eine kurze Besprechung derselben hier
folgen.
Der weiße Ultramarin, dessen Existenz
zuerst von Ritter bestimmt erkannt
wurde, scheint der Erklärung die größte Schwierigkeit zu bieten;
doch ist diese leichter zu überwinden, als es den Anschein hat.
Man könnte versucht seyn, die Existenz des farblosen
Schwefelaluminiums darin anzunehmen, wenn nicht unter dieser
Annahme das Auftreten des grünen und blauen ohne annehmbare
Erklärung bliebe. Zu einer besseren und, wie ich glaube,
richtigen Erklärung bieten die vergleichenden Untersuchungen von
Ritter und Stöltzel die Mittel. Durch diese steht fest: 1) daß
der grüne Ultramarin weniger Natron als der blaue, und dieser
weniger als der weiße enthält, 2) daß der Schwefelgehalt des
blauen Ultramarins geringer ist, als der des grünen, mit anderen
Worten, daß den Uebergang des weißen Ultramarins in grünen eine
Abgabe von Natron, den des grünen in blauen eine Abgabe von
Natron und Schwefel begleitet. Daraus folgt, daß im weißen
Ultramarin eine gewisse Menge Einfach-Schwefelnatrium
enthalten seyn muß, welches beim Uebergang in den grünen sich in
Doppelt Schwefelnatrium verwandelt, das schließlich bei der
Entstehung des blauen gänzlich abgeschieden wird.
Das Schwefelnatrium besitzt, wie bekannt, eine dunkel
fleischrothe Farbe, welche dem Blau complementär, daher im
Stande ist, dieses auszulöschen. Ob es im weißen Ultramarin
chemisch mit dem Schwefelaluminium verbunden ist oder nicht,
läßt sich vor der Hand noch nicht mit Sicherheit entscheiden.
Für die optische Wirkung ist es nicht von wesentlichem
Einflusse.
Der grüne Ultramarin entsteht in jedem
Falle aus dem weißen dadurch, daß das Natriumsulfuret in
Bisulfuret übergeht, wodurch die Verbindung (beziehentlich die
auslöschende Wirkung) aufgehoben, und durch Mischung von Blau
und Gelb eine grüne Farbe erzeugt wird (zugleich Grund, weßhalb
in rein blauem Ultramarin diese Verbindung nicht vorkommen
kann).