Titel: | Ueber die neuen Verbesserungen in der Chlorfabrication; von Prof. W. Odling. |
Fundstelle: | Band 200, Jahrgang 1871, Nr. CXI., S. 407 |
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CXI.
Ueber die neuen
Verbesserungen in der Chlorfabrication; von Prof. W.
Odling.
Vorgetragen in der Versammlung
der Royal Institution
vom 27. Januar 1871. – Aus Chemical News, vol.
XXIII p. 210; Mai 1871.
Odling, über die neuen Verfahrungsarten zur
Chlorfabrication.
Bei der Chlorfabrication durch Behandlung von Mangansuperoxyd
(Braunstein) mit Salzsäure kannte man bis in die neueste Zeit
kein Mittel, die desoxydirten Manganrückstände wieder mit
Sauerstoff aus der Atmosphäre zu verbinden, um sie von Neuem zur
Chlorerzeugung verwenden zu können. Von Zeit zu Zeit wurden,
besonders von den Herren Tennant und
W. Gossage nach dieser Richtung hin
Versuche ausgeführt, von denen einige so weit Erfolg hatten, daß
sie eine beschränkte praktische Verwendung finden konnten;
endlich erwies sich ein Verfahren zur Wiederbelebung der
Manganrückstände durch Oxydation mittelst des atmosphärischen
Sauerstoffes als sehr geeignet zur Chlorfabrication. Dieser, von
Walter Weldon eingeführte Proceß
gewährt außerdem den Portheil, daß er die Fabrikanten der
Nothwendigkeit enthebt, die äußerst ätzend wirkende
Manganflüssigkeit in Wasserläufe ablassen zu müssen, wodurch
häufig großer Schaden verursacht wurde. Dieses Verfahren besteht
im Wesentlichen darin, die bei der Einwirkung von Salzsäure auf
Braunstein zurückbleibende saure Flüssigkeit mit Kreide zu
neutralisiren und dann durch die neutralisirte, mit
überschüssigem Kalkhydrat gemischte Flüssigkeit atmosphärische
Luft zu pumpen. Die ursprüngliche saure Flüssigkeit besteht im
Wesentlichen aus Manganchlorür, gemischt mit Eisenchlorid,
Chloraluminium, Chlorcalcium und dem Ueberschusse der
angewendeten Chlorwasserstoffsäure. Durch Neutralisation der
sauren Flüssigkeit mit Kreide wird das Eisen des Eisenchlorids
niedergeschlagen, und es bleibt eine blaßroth gefärbte
Manganlösung zurück. Durch Behandlung dieser Lösung mit
Kalkmilch entsteht ein weißlicher, aus Manganoxydulhydrat und
überschüssigem Kalkhydrat bestehender Niederschlag. Wird nun
durch den auf diese Weise erhaltenen und mittelst eingeleiteten
Dampfes auf 60 bis 70° C. erhitzten dünnen Schlamm Luft
geblasen, so absorbirt derselbe rasch Sauerstoff und verwandelt
sich in eine tief schwarze Masse, welche bei ruhigem Stehen
einen dichten Niederschlag bildet, von dem die überstehende
farblose Flüssigkeit abgezapft wird. Schließlich wird der noch
feuchte Absatz, von welchem jeder Kubikfuß ungefähr vier Pfund
Mangansuperoxyd enthält, in den Chlorblasen mit Salzsäure
behandelt; die dabei erhaltene saure Flüssigkeit wird wieder in
der angegebenen Weise behandelt, und so immer fortgefahren.Der Bericht, welchen Weldon
der letzten Versammlung der British Association über den gegenwärtigen
Standpunkt seines Verfahrens zur Chlorfabrication
mittelst fortwährend regenerirten Calciummanganits
erstattet hat, wurde im polytechn. Journal Bd. CXCVIII S.
227 (erstes Novemberheft 1870) mitgetheilt,
und in Bd. CXCIX S. 273 (zweites Februarheft 1871) die
Beschreibung seines Apparates nach beigegebener
Zeichnung.
Weldon's Methode zur Wiederbelebung
der Manganrückstände wird bereits in zahlreichen großen Fabriken
in solcher Ausdehnung angewendet, daß in naher Zukunft wohl die
Hälfte des in Großbritannien erzeugten Chlorkalkes aus Chlor
dargestellt werden wird, zu dessen Gewinnung man die
Manganrückstände benutzt. Es ist eine bemerkenswerthe
Erscheinung, daß der ursprüngliche hellfarbige Niederschlag von
Manganoxydulhydrat sich ohne die Gegenwart eines bedeutenden
Ueberschusses von Kalkhydrat nur sehr unvollkommen oxydirt, und
daß das schließlich erhaltene schwarze Product nicht einfach aus
Mangansuperoxyd (MnO²), sondern aus einer Verbindung
desselben mit Kalk besteht, deren Zusammensetzung in
verschiedenen Fällen zwischen den Formeln CaO, MnO² und
CaO, 2MnO² variirt, indem ein kleiner Antheil des Kalkes
(CaO) gewöhnlich durch die äquivalente Menge Manganoxydul (MnO)
ersetzt wird. Von der Schnelligkeit, womit die Oxydirung des
Niederschlages unter günstigen Umständen stattfindet, kann man
sich nach dem folgenden Resultate eine Vorstellung machen. Von
der gesammten Sauerstoffmenge in 175000 Kubikfuß Luft, welche
binnen fünf Stunden in den Schlamm geblasen worden waren, wurden
14,8 Procent, also über 4 Centner absorbirt, und dadurch 22
Centner Mangansuperoxyd gewonnen.
Der Vorgang beim Weldon'schen Processe
ist offenbar folgender: Zunächst wird durch das ursprünglich
angewendete Mangansuperoxyd eine Quantität Salzsäure oxydirt und
deren Chlor frei gemacht. Darauf wird dem Manganrückstande aus
der Atmosphäre eine neue Menge Sauerstoff zugeführt, so daß er
zur Oxydation eines ferneren Quantums von Salzsäure benutzt
werden kann, und dieses Verfahren wird ununterbrochen
wiederholt. In dieser Weise wird die Salzsäure, ausgenommen bei
der ersten Anwendung von Braunstein, in der That durch den
Sauerstoff der Atmosphäre oxydirt, indem das Mangansuperoxyd nur
als Sauerstoffträger dient.
In der letzten Zeit kam H. Deacon,
Theilhaber der Widnes Alkali Works,
auf den Gedanken, den Sauerstoffträger – nämlich das
Mangansuperoxyd – ganz wegzulassen. Es war bereits früher
beobachtet worden, daß, wenn mit Luft gemischte Salzsäuredämpfe
durch erhitzte Röhren geleitet werden, der Sauerstoff der Luft
die Salzsäure theilweise oxydirt, und dadurch ihr Chlor frei
macht; diese Reaction findet aber nicht vollständig genug statt,
um fabrikmäßig zur Chlorerzeugung benutzt werden zu können. Deacon fand nun, daß, wenn man ein
auf ungefähr 370° C. erhitztes Gemisch von Luft und
Salzsäuredampf über Ziegelstücke leitet, welche zuvor mit einer
Lösung von Kupfervitriol getränkt und dann getrocknet worden
sind, eine beinahe vollständige Zersetzung der Salzsäure
stattfindet. Das Kupfersalz wirkt hier jedenfalls als Vermittler
der Reaction, bleibt aber schließlich ganz unverändert; das
einzige wahrnehmbare Resultat ist das Freiwerden des Chlors der
Salzsäure durch die Einwirkung des Sauerstoffes der Luft, und
diese Chlorentwickelung erfolgt mit einer Schnelligkeit welche
allem Anscheine nach Nichts zu wünschen übrig läßt. Die Natur
der durch das Kupfersalz ausgeübten, von Deacon in so sinnreicher Weise verwertheten
vermittelnden Wirkung bedarf noch weiterer Aufklärung. Offenbar
aber wird in Folge zweier gleichzeitigen Reactionen, welche
während des ganzen Verlaufes des Processes continuirlich
stattfinden, abwechselnd Kupferchlorid gebildet und zersetzt;
denn bekanntlich gibt Kupferchlorid einen Theil seines Chlors
sehr leicht ab, schon durch bloßes Erhitzen. Das Endresultat ist
wahrscheinlich das durch die folgenden Gleichungen
ausgedrückte:
CuCl² + O
=
CuO + 2Cl
CuO + 2HCl
=
CuCl² + H²O.
Obgleich dieses neueste Verfahren noch nicht in großem Maaßstabe
ausgeführt worden ist, so hat man in Bezug auf dasselbe doch
bereits bedeutende Erfahrung gewonnen, und die Schwierigkeiten,
mit denen seine Ausführung anfänglich verknüpft zu seyn schien,
sind mit Erfolg beseitigt worden. Ein unvermeidlicher, durch den
verdünnten Zustand des erzeugten Chlors bedingter Uebelstand
erwies sich von weniger ernster Natur, als man von vorn herein
annahm. Diese Verdünnung ist immer eine beträchtliche; denn da
das Chlor durch die Einwirkung von atmosphärischem Sauerstoff
auf Salzsäure erzeugt wird, so muß jedes Volum desselben selbst
bei absolut vollkommener Ausführung des Processes nochwendig mit
seinem doppelten Volum atmosphärischen Stickstoffes verdünnt
seyn. Dennoch wird nach Deacon's
Erfahrung durch den verdünnten Zustand, in welchem das Chlor
stets gewonnen wird, seine Verwendung zur Darstellung von
chlorsaurem Kali sowohl wie von Chlorkalk durchaus nicht
beeinträchtigt. Die zur Anwendung der Erfindung in großem
Maaßstabe erforderlichen Betriebseinrichtungen werden jetzt auf
den Werken von Gaskell und Deacon getroffen.