Titel: | „Wissenschaftliche Betriebsführung“ im Heerwesen. |
Autor: | W. Speiser |
Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 21 |
Download: | XML |
„Wissenschaftliche Betriebsführung“ im
Heerwesen.
Von Dipl.-Ing. W. Speiser, Leutnant d.
L.
SPEISER: „Wissenschaftliche Betriebsführung“ im
Heerwesen.
Unter wissenschaftlicher Betriebsführung verstehen wir heute gewöhnlich im
industriellen Sinne der Hauptsache nach die Zerlegung der Arbeitsvorgänge in kleine
und kleinste Einzelverrichtungen und deren Aneinanderreihung und Gruppierung in der
Art, daß mit geringstmöglichem Aufwand eine größtmögliche Leistung erzielt wird.
Wissenschaftlich zu betreiben ist dabei sowohl die Zerlegung (Analyse) der
Arbeitsvorgänge wie das Zusammensetzen (Synthese).
Als Mittel zur Untersuchung, zum Auffinden der zweckmäßigsten Arbeitsweise stehen uns
vornehmlich zur Verfügung das Zeitstudium, d.h. das unmittelbare Messen des
Zeitbedarfs für Einzelvorgänge und für Gruppen von Einzel Vorgängen. Ferner
Ermüdungsstudien, denn es ist von vornherein nicht gesagt, ob eine Arbeitsweise, die
eine augenblickliche Leistungssteigerung ergibt, sich mit Rücksicht auf die Ermüdung
des Arbeiters dauernd durchführen läßt. Für die Arbeitsleistung eines ganzen Tages
kann eine Arbeitsweise mit geringerer Leistung in der Zeiteinheit nutzbringender
sein. Endlich Intelligenzstudien, hier insbesondere in dem Sinne, daß untersucht
werden muß, wie weit der Arbeiter mittlerer Geistesgaben imstande ist, gewisse
Arbeitsvorgänge zu erlernen, um sie zu einwandfreier Ausführung zu bringen.
Das Mittel zur Ausführung bietet dann eine eingehende Unterweisung für die Ausführung
jeder einzelnen Arbeit, wo Art und Reihenfolge der einzelnen Teilverrichtungen auf
das genaueste angegeben wird.
Das große Verdienst Taylors, auf die Möglichkeit einer
solchen wissenschaftlichen Betriebsführung zuerst mit Nachdruck hingewiesen und die
ersten praktischen Anwendungen dieser Ueberlegungen in der Industrie gemacht zu
haben, wird dadurch nicht geschmälert, daß uns sein Vorgehen jetzt bereits fast als
etwas Selbstverständliches anmutet, ebensowenig auch dadurch, daßbereits früher
hier und da nach ganz den gleichen Grundsätzen und sogar mit den gleichen Mitteln
gearbeitet worden ist. Aus der Erkenntnis des energetischen Imperativs – der
natürlich dem Sinne nach auch längst bekannt war und befolgt wurde, ehe ihm Ostwald den Namen und die Form gab –, folgte die Richtung
und damit häufig auch zugleich die Art des einzuschlagenden Weges.
Ein Gebiet, auf dem die Aufgaben in gewissem Sinne ähnlich lagen wie heute in der
Industrie, war seit langem das Heerwesen. In der Industrie handelt es sich häufig
(und namentlich auf den Arbeitsgebieten, die für den „Taylorismus“
hauptsächlich in Frage kommen) darum, mit wenig vorgebildeten Arbeitern eine
möglichst große Arbeitsleistung in der Zeiteinheit zu vollführen, wobei aber die
Ungeeigneten und wenig Geeigneten ausgeschieden werden, so daß man mit einer
Arbeitsleistung rechnen kann, die über der des Durchschnitts liegt. Diese Aufgabe
läßt sich wie oben angedeutet lösen. Dagegen ist für einen großen Teil der
Soldatenausbildung die Aufgabe, ebenfalls unvorgebildete Leute zu einer möglichst
einheitlichen Massenleistung zu erziehen, wobei auch der Mindergeeignete derart
mitgenommen werden muß, daß seine Minderleistung die der Gesamtheit nicht merklich
beeinflußt. Die Bedeutung der absoluten Größe der Leistung tritt hinter der
Forderung der Einheitlichkeit zurück. Man ist versucht, hier an den im Maschinenbau
gebräuchlichen Begriff der Austauschbarkeit zu denken, nur während dort das
Arbeitsstück austauschbar, d.h. durch ein anderes, ebenso erzeugtes jederzeit
ersetzbar sein soll, ist hier die Austauschbarkeit der Arbeiter selbst das Ideal:
jeder Soldat soll tunlichst, wenigstens innerhalb der einzelnen Truppengattungen,
ohne weiteres an die Stelle eines ausfallenden Kameraden treten können. Zur
Erreichung dieser Ziele sehen wir denn auch in den militärischen „Reglements“ und
Vorschriften gerade für die kleinsten Einzelverrichtungen ganz genaue
Ausführungsanweisungen festgelegt.
Ist es doch z.B. eine bekannte Tatsache, daß eine der ersten Künste, die dem Soldaten
beigebracht werden müssen, das – Gehen ist. Im allgemeinen glaubt man sich wohl über
diese Art der Fortbewegung im ersten oder zweiten Lebensjahr klar geworden zu sein,
die damals erworbenen Kenntnisse genügen ja auch für die Anforderungen des
bürgerlichen Lebens. Hier aber, wo an den Marsch als Fortbewegungsmittel und Mittel
zur Beförderung einer beträchtlichen Menge Gepäcks ganz besondere Anforderungen
gestellt werden müssen, muß auch die Technik des Gehens mit ganz besonderer Sorgfalt
ausgebildet werden. Und da zeigt sich, daß die Soldatenpraxis genau den
„wissenschaftlichen“ Weg einschlägt: Zerlegung der Gesamt-Schrittbewegung
in ihre einzelnen Phasen und sorgfältigste Einübung der verschiedenen
Einzelabschnitte. Denn nichts anderes bedeutet doch unser mit Recht berühmter
preußischer „langsamer Schritt“. Für die Ausführung der in den einzelnen
Arbeitsabschnitten eingeübten Schrittarbeit ergibt sich dann, durch sorgfältige
Zeitstudien mit Rücksicht auf das Optimum der Gesamtleistung ermittelt, das
Schrittmaß von 114 Schritt in der Minute.
Das „Einzweidrei–vier“ des Gewehrübernehmens, das ja von dem jungen Soldaten
zunächst auch „tempo“-weise geübt wird, ist ebenfalls eine solche Zerlegung
eines Arbeitsvorganges in seine Elemente. Hier ist – wie bei den Arbeitsvorgängen
der Industrie fast immer – Wert gelegt auf eine möglichst schnelle Ausführung oder
wenigstens Ausführbarkeit. Aus anderen Gründen (Disziplin, „Drill“) aber muß
auch hier wieder die Forderung möglichster Schnelligkeit der anderen möglichster
Gleichmäßigkeit weichen. Hier hat sich also die Zeitstudie mit der Intelligenzstudie
zu verbinden: festzustellen ist, in welchem Minimum an Zeit auch der ungeschickteste
Mann den „Griff“ ausführen kann. Selbstverständlich dürfen diese Begriffe
nicht zu wörtlich aufgefaßt werden; bei der militärischen Ausbildung ergibt sich das
erforderliche Zeitmaß aus der Erfahrung, die Kontrolle aus der tausendfach
wiederholten Ausführung der Griffe in der Gesamtheit, wobei der Einzelne sein
„Nachklappen“ hört.
Was hier an zwei einfachen Grundbegriffen soldatischer Ausbildung klarzulegen
versucht wurde, zeigt sich naturgemäß weiter auch bei den verwickelteren,
insbesondere den eigentlich technischen Verrichtungen. Die Schießleistungen unserer
Artillerie und Maschinengewehre, die verblüffende Geschwindigkeit beim Bau einer
Pontonbrücke usw. sind nur erreichbar, wenn grundsätzlich gerade die kleinsten
Kleinigkeiten, die scheinbar nichtigsten Einzelverrichtungen aufs sorgfältigste
eingeübt werden und gleichzeitig ihre Aufeinanderfolge unverrückbar festgelegt wird.
Dem oberflächlichen Beobachter erscheint das leicht kleinlich, ihn kann die
Wichtigkeit lächerlich dünken, die scheinbar gänzlich untergeordneten Handlungen
beigemessen wird. Demgegenüber weiß jeder, der Gelegenheit gehabt hat, technischen
Militärdienst zu leiten,wie außerordentlich störend für jede solche
Arbeitsausführung es ist, wenn die Ausführung irgend eines Handgriffes nicht völlig
eindeutig durch die maßgebende Vorschrift festgelegt ist. Die oben geschilderte
Erziehung zur „Austauschbarkeit des Arbeiters“ bringt es mit sich, daß heute
diese, morgen jene ganz zufällig zusammengewürfelten und von verschiedenen Lehrern
ausgebildeten Leute eine gemeinsame Arbeit zustande bringen müssen. Ein
gedeihliches, schnell förderndes Zusammenarbeiten aber ist dann nur möglich, wenn
jeder Einzelne ohne erst nachzudenken, ganz von selbst die richtigen Handgriffe im
richtigen Augenblick macht und weiß, daß auch der andere die seinigen, die die
eigenen ergänzen sollen, mit sicherer Notwendigkeit zu rechter Zeit und Stelle
machen wird.
Vielleicht ist es interessant, auch hier einen der Hauptvorwürfe zu erörtern, der
immer wieder dem Taylor-System gemacht wird. In der Tat
zielt ja auch hier die ganze Einrichtung des Arbeitsverfahrens darauf hin, dem
Ausführenden die Gedankenarbeit abzunehmen, den Menschen zur Maschine zu machen.
Dieser Vorwurf hat hier vielleicht noch weit mehr Berechtigung als in der
Industriearbeit. Aber auch die Sache selbst hat hier noch weit mehr Berechtigung als
dort. Denn zunächst liegt es nun einmal in der Natur unserer Kriegführung, daß doch
immer noch der Mensch mit seiner körperlichen Arbeitskraft der eigentliche Motor
ist, daß er also gewissermaßen zur Maschine, zum Maschinenteil der Kriegsmaschine
werden muß. Seine körperliche Arbeitsleistung darf nicht beeinträchtigt werden durch
gleichzeitige Abgabe geistiger Arbeit. Ferner bringt hier ein Denkfehler des
Einzelnen – selbst wenn er nur geeignet wäre, eine Verrichtung aufzuhalten, noch
nicht einmal, sie unmöglich zu machen oder zu gefährden – eine viel größere Gefahr
für den Einzelnen und für die Allgemeinheit als in der Industrie, wo in den meisten
Fällen eine unzweckmäßige Vornahme innerhalb einer Folge von Arbeitsvorgängen doch
nur einen wirtschaftlichen Verlust bedeuten würde.
Auf der andern Seite aber kann man hier das Gleiche wie dort gegen diesen Vorwurf
geltend machen: Das Freimachen vom Nachdenken über die mechanische Ausführung der
Handarbeit macht gleichzeitig den Geist frei für bessere Aufgaben. Zunächst
ermöglicht es eine weit umfassendere Ausbildung des Soldaten. Denn für den heutigen
Soldaten ist es mit bloßer Marschier- und Schießfähigkeit nicht mehr getan. Man
denke an die Vielseitigkeit der Aufgaben bei unseren technischen Truppen, bei
Pionieren, Verkehrstruppen, Luftschiffern, Scheinwerfern usw. Die Ausbildung stellt
hohe Anforderungen an die verschiedensten Fähigkeiten. Gerade bei den technischen
Truppen wollen eine Unzahl von Verrichtungen eingeübt sein, an deren Bewältigung
ohne eine solche Schematisierung nicht zu denken wäre. Und mehr als das: Im modernen
Kriege werden an den einzelnen Mann innerhalb und neben seiner eingeübten Tätigkeit
so viele Sonderaufgaben herantreten, daß es durchaus zu begrüßen ist, wenn er von
geistiger Ermüdung durch „geisttötende“ Kleinüberlegungen freigehalten
wird.
Das deutsche Heer ist von je stolz gewesen und bewundert worden wegen der
Wissenschaftlichkeit, mit der es nach deutscher Art an seine Aufgaben herantrat. Die
großen Erfolge deutscher Taktik und Strategie beruhen zum allergrößten Teil auf der
gründlichen und bewußten Verfolgung und Ausbildung der militärischen Wissenschaften.
Daß auch bei den scheinbar geringsten Verrichtungen ein wissenschaftlicher Geist
herrscht, derganz moderne Ausbildungsmethoden entstehen ließ, wahrscheinlich
ehe irgend jemand der Ausführenden sich der Grundsätzlichkeit seines Vorgehens
bewußt wurde, daß also bis ins kleinste hinein dem Deutschen dieser Sinn für das
methodische wissenschaftliche Vorgehen bewußt oder unbewußt innewohnt, – das zu
zeigen war der Zweck dieser Zeilen.