Titel: | Die H. F. Fullagar-Gasmaschine. |
Autor: | A. Lampl |
Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 43 |
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Die H. F. Fullagar-Gasmaschine.
Von Dipl.-Ing. A. Lampl,
Wien.
LAMPL: Die Fullagar-Gasmaschine
Eine neuartige Gasmaschinenbauart, deren erste Versuchsausführung kürzlich
erfolgreich dem Betrieb übergeben worden ist, wurde von ihrem Erfinder, H. F. Fullagar, bei der jüngsten Versammlung der
Vereinigung englischer Schiffbauer und Marineingenieure in
Newcastle-on-Tyne beschrieben. Mit der
neuen Bauart wurde bezweckt, die wichtigsten und störendsten konstruktiven und
betriebstechnischen Nachteile der heutigen Verbrennungskraftmaschinen mit einem
Schlage zu beseitigen. Diese Nachteile lassen sich wie folgt zusammenfassen;
1. Die von der Verbrennungsflamme ausgestrahlte Wärmemenge für die Einheit der
Zylinderfläche wächst mit der Größe des Zylinders, während auf der anderen Seite die
Wärmeabfuhrverhältnisse infolge der größeren Wandstärken verschlechtert werden.
2. Das Gewicht für 1 PS wächst mit der Zylindergröße.
3. Neben den nutzbaren Kräften wird eine Anzahl unnützer und zugleich schädlicher
Kräfte entwickelt. Diese rühren einerseits von der Einwirkung des Kraftmittels auf
die Zylinderdeckel und durch diese mittelbar auf das ganze Maschinengestell,
andererseits von der negativen Kompressionsarbeit, die bei einfach wirkenden
Maschinen einen Zeichenwechsel im Drehmoment der Kurbelwelle bedingt, und endlich
von der mangelhaften Ausbalancierung und unvollkommenen Abdämpfung der
Trägheitskräfte her. Alle diese ungünstigen Faktoren werden durch die neuartige
Zylinder- und Kolbenanordnung bei der Fullagar-Maschine
beseitigt, und zugleich wird der Vorteil größter mechanischer Einfachheit und
allseitiger Zugänglichkeit geschaffen.
Das Schema der Fullagar-Maschine geht aus den Skizzen
(Abb. 1 und 2)
ohne weiteres hervor. Eine Maschineneinheit besteht aus einem Paar glatter
länglicher und dicht nebeneinander gerückter Zylinder, die beiderseits offen sind
und je zwei gegenläufige Kolben von gleicher Länge und Bauart aufnehmen. Die beiden
unteren Kolben B und D
sind durch Kreuzkopfzapfen und Pleuelstangen direkt mit der unter 180°
doppeltgekröpften Kurbelwelle verbunden, während jeder der beiden oberen Kolben A und C mit dem unteren Kolben des benachbarten
Zylinders durch diagonale Zugstangen verbunden ist, welche zu beiden Seiten der
Zylinder außerhalb angeordnet sind, Die Wirkungsweise dieser Anordnung ist
folgende:
Textabbildung Bd. 330, S. 44
Abb. 1.
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Abb. 2.
Eine zwischen den Kolben A und B stattfindende Explosion treibt B sowie die
mit diesem Kolben durch die Pleuelstange verbundene Kurbel abwärts. Gleichzeitig
wird der Kolben A und mit ihm durch Vermittlung der
schrägen Zugstange die andere Pleuelstange samt Kurbel aufwärts getrieben. Während
dieses Arbeitsdoppelhubes im linken Zylinder haben sich die Kolben C und D im rechten
Zylinder unter dem Einfluß der Zugstangen nach innen bewegt und das an den
Zylinderenden eingeströmte Gas- und Luftgemisch komprimiert. Nun findet im rechten
Zylinder die Explosion und die direkte sowie indirekte Kraftübertragung auf die
beiden Kreuzkopfzapfen statt usw. Durch diese Anordnung von zwei Paar gegenläufigen
Kolben mit diagonalen Verbindungsstangen werden auf die Kurbelwelle bei jedem
Arbeitsgang zwei gleiche entgegengesetzt gerichtete Kräfte geäußert, während die
Zylinder, welche keinerlei Deckel aufweisen, naturgemäß auch keiner einseitigen
Kraftwirkung ausgesetzt sein können. Die seitlichen Zugkomponenten der Zugstangen
sind wegen deren geringen Schräglage sehr klein und werden einerseits durch die
Kreuzkopfführungen der unteren Kolben, andererseits durch entsprechende innere
Gleitführungen G an der oberen Zylinderseite
aufgenommen. Aeußere Gleitführungen kommen hier nicht in Betracht, da die
Verbindungsstangen, wie erwähnt, ausschließlich auf Zug beansprucht werden. Diese
Beanspruchung in den Gleitführungen ist nur klein, da die Schräglage der
Verbindungsstangen geringer ist als die maximale Schräglage der Pleuelstangen, aus
welchem Grunde die gesamte Reibung in den Geradführungen geringerist als bei
vier Zylindern mit gewöhnlichem Pleuelstangenantrieb. Dies ist mit ein Grund für den
guten mechanischen Wirkungsgrad der Maschine.
Die Maschine arbeitet im Zweitakt, so daß die Kurbeln bei jeder Umdrehung zwei
Impulse erhalten. Die Luftzufuhr erfolgt durch Niederdruckluftpumpen, welche
entweder in üblicher Weise von der Maschinenwelle aus, oder in Fällen, wo es
besonders auf Gewichtsersparnis ankommt (Unterseeboote), von den oberen Gleitschuhen
direkt angetrieben werden. Die Zahl der Zylinder bzw. der Zylinderpaare kann in
bekannter Weise vermehrt werden, wobei man für normale Landanlagen im allgemeinen
mit vier Zylindern auskommen wird, während für große Leistungen bei beschränkten
Raumverhältnissen – insbesondere bei Schiffsanlagen – sechs und selbst acht Zylinder
zur Verwendung kommen können.
Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß die oben erwähnten unnützen und schädlichen
Kräfte bei dieser Anordnung praktisch gänzlich vermieden sind. Infolge des
Kraftausgleichs in den Kurbeln und der Abwesenheit einseitiger Drücke in den
Zylindern, die überhaupt jeder Hochdruckverbindung entbehren, sind senkrechte
Beanspruchungen des Maschinengestells gänzlich ausgeschaltet. Die Explosionsdrücke
werden ausschließlich von den in Abb. 2 dargestellten
Stahlteilen – Kreuzköpfe, Zugstangen, Pleuelstangen und Doppelkurbel – aufgenommen.
Die einzigen von den Explosionen herrührenden freien Kräfte sind die stets nach
derselben Seite (Innenseite) gerichteten Reaktionsdrücke, welche nur ⅕ bis 1/20 der
Explosionsdrücke betragen und einander obendrein teilweise gegenseitig aufheben.
Da die Arbeitsdrücke auf die Kurbeln einander in jedem Augenblick vollständig
aufheben, so sind die Kurbelwellenlager nur von dem Gewicht der laufenden Teile
belastet, welches nach abwärts wirkt und den dauernden Kraftschluß in den Lagern
gewährleistet. Die Kompressionsarbeit erfolgt stets durch die Vermittlung der beiden
diagonalen Zugstangen zugleich mit der Explosion im benachbarten Zylinder, so daß
die negative Kompressionsarbeit von der positiven Expansionsarbeit direkt, d.h. ohne
den Umweg über Pleuelstangen und Kurbelwelle, in Abzug kommt. Während also bei den
einfach wirkenden Maschinen in Einzylinder-, Tandem- oder Oechelhäuserscher
Anordnung die Explosions- und Kompressionshübe die Kurbelwelle abwechselnd in
entgegengesetzter Richtung zu verdrehen suchen, kommt bei der Fullagar-Maschine nur
die positive Nutzarbeit als Differenz zwischen Expansions- und Kompressionsarbeit
auf die Kurbeln zur Wirkung und hat ein stets gleich gerichtetes positives
Drehmoment an der Kurbelwelle zur Folge.
Ein großer Vorzug der Fullagar-Maschine besteht in der
ausgezeichneten Abdämpfung aller Stöße ohne jede Beanspruchung fester Teile der
Maschine. Da mit jedem Arbeitshub in einem Zylinder ein Kompressionshub im
benachbarten Zylinder verbunden ist, so wird zu Ende jedes Hubes, d.h. im Augenblick
der größten Beschleunigungsdrücke durch die Kompressionsarbeit eine sehr gute
Dämpfungswirkung erzielt, durch welche das Auftreten unzulässiger Stöße in den Gestängen mit
Sicherheit vermieden wird. Die Gleichförmigkeit und Ruhe des Ganges wird durch die
Trägheitswirkung der bewegten Teile wesentlich unterstützt. Wenn beispielsweise
zwischen A und B eine
Explosion stattfindet, so wird die auf den Kreuzkopfzapfen B ausgeübte augenblickliche Kraftwirkung geringer sein als der Druck des
Kraftmittels auf die Kolbenfläche von B, da die
Massenträgheit der beiden miteinander verbundenen Kolken D und C nebst den Verbindungsstangen und Kreuzköpfen, die sich in diesem
Augenblick im Beschleunigungsmaximum befinden, dieser Stoßkraft entgegenwirken. Die
Vergrößerung der den Stoß übertragenden Masse durch den oberen Kolben C und die zugehörige Verbindungsstange nebst Gleitstück
tragen zur Erhöhung dieser Trägheitswirkung und zur Abschwächung der Stöße
wesentlich bei. Dieser Umstand ist nicht zu unterschätzen, da die Herstellungskosten
einer Maschine zum großen Teil von der Größe der auftretenden Maximalbeanspruchungen
des Materials abhängen, während die Leistung nur dem Mittelwert der effektiven
Spannung proportional ist. Je näher daher Höchstwert und Mittelwert der
Beanspruchungen in einer Maschine gebracht werden, desto leichter und billiger wird
dieselbe.
Der Massenausgleich bei der Fullagar-Maschineist ein
nahezu vollkommener. Der Schwerpunkt P des Kolbenpaares
AD (Abb. 2) bewegt
sich auf und ab auf der Verbindungslinie PQ mit dem
Schwerpunkt des anderen Kolbenpaares BC, welcher sich
gleichzeitig in entgegengesetzter Richtung und längs desselben geometrischen Ortes
ab- und aufbewegt.
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Abb. 3.
Nur durch die Winkelstellungen der beiden Pleuelstangen werden
sekundäre Trägheitskräfte frei, die zur Folge haben, daß der gemeinsame
Massenschwerpunkt aller vier Kolben sich um einen praktisch belanglosen Betrag (Abb. 3) während jeder Umdrehung zweimal auf- und
abbewegt. Jedoch auch diese resultierende Massenwirkung verschwindet bei einer
Vierzylinder-Maschine mit Kurbeln unter rechtem Winkel, da der gemeinsame
Massenschwerpunkt der zweiten Maschineneinheit gleichzeitig die entgegengesetzte
Schwingung vollführt, so daß ein vollkommener statischer Massenausgleich erzielt
wird.
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Abb. 4.
Sehr günstig stellen sich nach Mitteilung des Erfinders auch die Gewichtsverhältnisse
der neuen Maschine dar. So würde eine Achtzylinder-Maschine der neuen Bauart mit
vier Kurbeln nur ½ bis ⅓ des Gewichts einer gewöhnlichen Maschine gleicher Leistung
erfordern. Man kann bei der Fullagar-Maschine bis auf ¾
der bei Viertaktmaschinen zulässigen mittleren Kolbendrücke gehen. Hieraus ergibt
sich aber, daß eine Maschine der neuen Bauart hinsichtlich der Leistung einer
Viertaktmaschine mit nicht weniger als zwölf Kolben von demselben Durchmesser und
Hub gleichwertig ist. Legt man eine geringere Anzahl von größeren Zylindern der
Viertaktmaschine gleicher Leistung zu Grunde, so werden die Gewichtsverhältnisse für
dieselbe noch ungünstiger, woraus die Ueberlegenheit der Fullagar-Maschine in dieser Hinsicht deutlich hervorgeht. Hinsichtlich der
Wärmebeanspruchung und -Abfuhr bietet der beiderseits offene Doppelzylinder
gegenüber allen anderen Bauarten unbestritten die größten Vorteile. Die Zylinder der
Fullagar-Maschine stellen einfache glatte Röhren dar,
die an einem
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Abb. 5.
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Abb. 6.
Ende gestützt sind und sich achsial frei ausdehnen
können. Sämtliche Zylinder werden von einem gemeinsamen Wassermantel umgeben. Da
jede Zone des Zylinders eine gleichförmige Temperatur aufweist, so ist das Auftreten
von Wärmespannungen im Hinblick auf die freie Längsbeweglichkeit ausgeschlossen. Da
außerdem alle Winkel und Taschen vermieden sind, so kann die mittlere Temperatur im
Innern des Zylinders verhältnismäßig niedrig gehalten werden.
Die erste Versuchsausführung der Fullagar-Maschine, welche
nach den Angaben des Erfinders von der Firma W. H. Allen Son
& Co., Ltd. in Bedford ausgeführt und im Maschinenhaus der Newcastle Electric Supply Company in Gateshead
aufgestellt wurde, ist in den Abb. 4 bis 6 in Ansicht, Quer- und Längsschnitt dargestellt. Die
kräftig gebaute Maschine, welche ohne Schwungrad weniger als 20 t wiegt, besitzt
eine Dauerbremsleistung von 550 PS, ist also kaum halb so schwer als eine
gewöhnliche Gasmaschine gleicher Leistung. Die Maschine dient zum Antrieb eines
Gleichstrom-Generators, welcher auf das Netz der genannten Elektrizitätsgesellschaft
arbeitet, und macht normal 250 Umdrehungen in der Minute, entsprechend 2000
Arbeitshüben in der Minute. Jedoch selbst bei einer Steigerung der Tourenzahl auf
300 Umdrehungen in der Minute ist der Lauf der Maschine sehr ruhig und
vibrationsfrei.
Jeder der vier Zylinder besitzt nur einen Durchmesser von 305 mm. Die
Kolbengeschwindigkeit beträgt 228 m in der Minute und der mittlere effektive
Kolbendruck beträgt 4,9 kg f. d. cm2. Die
Maximalbeanspruchung der Stahlteile ist nicht größer als 620 kg f. d. cm2 und die Beanspruchung der Gußteile übersteigt
nirgends den Wert von 116 kg f. d. cm2. Es ist
beachtenswert, daß bereits die Versuchsmaschine nur die Hälfte des üblichen
Gewichts- und Materialbedarfs aufweist, während die mechanischen Beanspruchungen im
wesentlichen erheblich geringer sind als selbst bei Kolbendampfmaschinen normaler
Bauart.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist die außerordentlich gute Zugänglichkeit
und rasche Demontierbarkeit aller Teile. Jeder der vier oberen Kolben kannnach
Abstellung der Maschine in etwa zehn Minuten herausgenommen werden, während jeder
der unteren Kolben in weiteren fünf Minuten ausgebaut ist. Man ist daher in der
Lage, sämtliche acht Kolben der Maschine unter Zuhilfenahme eines Handkranes in
einer Stunde zu demontieren.
Die Luft- und Gaszufuhr erfolgt bei der beschriebenen Maschine durch ein Gebläse und
eine Pumpe von gewöhnlicher Lagertype, welche dem besonderen Zweck in keiner Weise
angepaßt sind. Trotz dieses Mangels in der Ausrüstung mit bestgeeigneten
Hilfsmaschinen wurde der Gesamtwirkungsgrad der Maschine nach einem Dauerversuch von
30 Stunden von Prof. Hopkinson mit nahezu 30 v. H.
festgestellt, während der indizierte Wirkungsgrad sich zu 37,6 v. H. ergab. Die
verhältnismäßig große Differenz zwischen diesen beiden Wirkungsgraden ist vorwiegend
auf die Verwendung der mindergeeigneten Hilfsmaschinen zurückzuführen. Der
mechanische Wirkungsgrad der Maschine selbst beläuft sich auf etwa 90 v. H.
Die Hauptvorzüge des neuen Verbrennungsmotors von Fullagar
lassen sich in der beträchtlichen Erhöhung der Leistung für die Gewichtseinheit, in
der Verkleinerung der Anzahl der bewegten Teile und in der Verringerung der
Materialbeanspruchungen und Vibrationen zusammenfassen. Eine vierzylindrige Fullagar-Gasmaschine von weniger als 4,9 kg f. d. cm2 mittleren effektiven Kolbendrucks würde bei
einer Bremsleistung von 2400 PS einen Zylinderdurchmesser von nicht mehr als 610 mm
und bei 5000 Brems-PS nur 914 mm Zylinderdurchmesser erfordern. Noch günstiger
stellen sich die Verhältnisse bei Verwendung von flüssigen Brennstoffen und
Zulassung eines mittleren effektiven Kolbendruckes von 8 kg f. d. cm2, wobei eine Maschine von 4000 Brems-PS einen
Zylinderdurchmesser von nur 610 mm aufweisen würde. Aus den angeführten Gründen
bietet die Anwendung der Fullagarschen Bauart nicht
allein für ortsfeste Landanlagen, sondern auch für Land-, Wasser- und Luftfahrzeuge
erhebliche Vorteile, und man wird der Entwicklung dieses Maschinentyps auf den
genannten Anwendungsgebieten mit größtem Interesse folgen dürfen.