Titel: | Der englische Handelsschiff bau und der Krieg. |
Autor: | Kraft |
Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 421 |
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Der englische Handelsschiff bau und der
Krieg.
Von Dipl.-Ing. Kraft in
Berlin.
KRAFT: Der englische Handelsschiff bau und der Krieg.
Das Stichwort, mit dem England in den Weltkrieg hineinging, „business as
usual“, findet eine eigenartige Illustration durch die Vierteljahrsausweise
des Britischen Lloyd über die englische Schiffbauindustrie. Danach hat die
Inanspruchnahme sämtlicher Werftbetriebe für den Kriegsschiffbau und die Erzeugung
von Kriegsbedarf aller Art den Umfang der Bautätigkeit im Handelsschiffbau ganz
beträchtlich beeinflußt. Der letzte vorliegende Quartalsausweis läßt nicht nur eine
starke Hemmung des Baufortschritts bei den in Arbeit befindlichen
Handelsschiffsbauten erkennen, sondern zeigt auch eine wesentliche Verringerung der
Bauaufträge. Die Zahl der im zweiten Vierteljahr zum Ablauf gebrachten
Handelsschiffe betrug nur 75 mit einem Raumgehalt von 148214 Reg.-Tonns. Diese Zahl
entspricht einer Jahresproduktion von 590000 T, während die normale Erzeugung etwa
dreimal so groß ist. Die Zahl der auf Stapel gelegten Neubauten belief sich auf 84
mit einem Raumgehalt von 172325 T. Natürlich entspricht diese geringe Zahl neu in
Auftrag gegebener Schiffe bei weitem nicht der Nachfrage. Aber der Druck des
Krieges, der die Produktionsverhältnisse der Schiffbauindustrie von Grund auf
geändert hat, gestattet den Werften nicht, Aufträge auf Handelsschiffe in
nennenswertem Umfange zu übernehmen. So beträgt die Gesamtzahl von Handelsschiffen,
die gegenwärtig im Bau sind, nur 442 mit 1506925 T. Diese Zahl entspricht einer
Mindererzeugung gegenüber dem Vorjahre von ∾ 215000 T. Wie ein Vergleich des
vorliegenden Quartalsausweises mit dem vorigen zeigt, erstreckt sich die
Verringerung der Produktion auf sämtliche Schiffbaudistrikte mit Ausnahme von
Hartlepool. Die dortige Bautätigkeit, die bei 15 Schiffen mit 71350 Teinen
Zuwachs von 10000 T aufzuweisen hat, scheint im wesentlichen durch eine gesteigerte
Nachfrage der nordischen Reedereien gefördert zu sein. Für die Werften von
Sunderland, die nach Hartlepool am günstigsten abschneiden und mit 43 Schiffen und
162836 T nahezu ihren letzten Stand erreichen, gilt das gleiche. Dagegen verzeichnet
Belfast mit 24 Schiffen und 260700 T eine Verminderung von ∾ 20000 T, Glasgow mit 82
Schiffen und 353923 T eine solche von 17600 T und Greenock mit 46 Schiffen und
209004 T eine Mindererzeugung von ∾ 8900 t. Bei den Werften am Tees beträgt die
Abnahme bei 31 Schiffen und 83165 T nur 3800 T, am Tyne dagegen bei 62 Neubauten mit
270854 T sogar 30000 T.
Eine interessante Ergänzung finden die vorstehenden Zahlenangaben in der letzten von
Lloyds Register herausgegebenen Uebersicht über Schiffsverluste der Handelsflotte.
Der mit Dezember 1914 abschließende Jahresausweis, der also die ersten fünf
Kriegsmonate mit umfaßt, läßt nach Ausweis der Tab. 1 erkennen, daß die
Handelsflotte Englands und seiner Verbündeten durch Kriegsschiffe und Minen auf je
10000 T Raumgehalt 97 T, die der Zentralmächte 1137½ eingebüßt hat. Im Vergleich
dazu betragen die Verluste der Neutralen nur 40 auf 10000 T. Die Verluste der
kriegführenden Mächte sind also, bezogen auf den Gesamtraumgehalt, mit 1 v. H.
beziehungsweise 1,1 v. H. annähernd gleich. Bezogen auf die Zahl der registrierten
Schiffe ergibt sich für England und seine Verbündeten ein etwas ungünstigeres
Verhältnis, da die Gesamtverluste hiernach 0,75 v. H. gegenüber 0,6 v. H. bei den
Zentralmächten ausmachen.
Tabelle 1.
Verluste der Welthandelsflotte durch Kriegsschiffe und Minen von
Kriegsbeginn bis Ende Dezember 1914 (nach Brit. Lloyd).
Umfang der Handelsflotte
Tatsächlicher Schiffsverlust
Relativer Schiffsverlust(v. H)
Zahlder Schiffe
Raumgehalt(B. R. T.)
Zahlder Schiffe
Raumgehalt(B. R. T.)
bezog. aufSchiffszahl
bezog. aufRaumgehalt
EnglandEnglische KolonienFrankreichJapan
(ausschließlich Segelschiffe)Rußland
9240 2088 1576 1103 1254
19256766 1788283 2319438 1708386 1053818
101 2 5– 7
229179 2271 13097– 8266
1,093 0,096 0,318– 0,558
1,19 0,127 0,565– 0,784
Summe
15261
26126691
115
252813
0,754
0,969
DeutschlandOesterreich Ungarn
2388 445
5459296 1055719
13 4
67641 6289
0,545 0,899
1,24 0,596
Summe
2833
6515015
17
73930
0,6
1,135
DänemarkHollandItalienNorwegenSchwedenAndere
europäische LänderVereinigte StaatenAndere außereuropäische
Länder
822 806 1160 2191 1466– 2490–
820181 1496455 1668296 2504722 1118086– 2970284–
7 5– 8 8 1– 1
11140 11574– 11902 9875 285– 758
0,852 0,62– 0,365 0,564–––
1,358 0,774– 0,475 0,883–––
Eigenartig berührt es, daß die englische Presse diese Zahlen, so wenig beweiskräftig
sie an sich sind, zum Anlaß nimmt, um selbstgefällig auf die geringe Einbuße
hinzuweisen, die Englands Handelsflotte durch den Krieg erfahren hat, und zu
betonen, daß die Kriegsverluste nicht größer sind als der normale jährliche Abgang
infolge von Unfällen. Zunächst bleibt natürlich rein zahlenmäßig zu berücksichtigen,
daß ein Verlust von 1 v. H. des Gesamtraumgehalts bei der Riesenflotte Englands und
seiner Verbündeten, die etwa viermal so groß ist als die vereinigte deutsche und
österreichisch-ungarische Handelsflotte, an sich betrachtet, eine recht respektable
Größe darstellt. Beträgt doch der Verlust der englischen Handelsflotte allein 101
Schiffe mit 229179 T gegenüber 13 Schiffen mit 67641 T bei der deutschen
Handelsflotte. Das vorstehende Zahlenverhältnis sollte den englischen Optimisten
insofern um so mehr zu denken geben, als die Kriegsmarine Englands und seiner
Verbündeten beim Kriegsausbruch eine nahezu unbeschränkte Kontrolle der
Seeverkehrswege auszuüben in der Lage war und so eine größere Zahl deutscher
Handelsschiffe, die auf hoher See von den Kriegsereignissen überrascht wurden,
aufbringen konnte. Wenn es trotzdem den wenigen deutschen Kreuzern gelang, die
englische Riesenflotte annähernd im gleichen Verhältnis zu schwächen wie umgekehrt,
so stellt ihnen dieses Ergebnis ein Zeugnis aus, auf das wir mit Recht stolz sein
können. Ein verschämtes Eingeständnis dieser Tatsache kann man vielleicht darin
erblicken, daß die relativ geringe Zahl der von der englischen Marine aufgebrachten
Schiffe nachträglich damit erklärt wurde, die deutschen Schiffe seien schon vor
Ausbruch des Krieges drahtlos in neutrale Häfen beordert worden.
Wie wenig stichhaltig die englische Beweisführung dafür ist, daß die englische
Handelsflotte scheinbar nur in geringem Maße durch die Kriegsereignisse in
Mitleidenschaft gezogen ist, erweisen überzeugend zwei Tatsachen, einmal die höhere
Gefährdung der Handelsflotte Englands und seiner Verbündeten gegenüber der der
Zentralmächte, die heute vom Seeverkehr praktisch nahezu ausgeschlossen ist, sodann
die erhebliche Verringerung der Schiffsneubauten. Beide dürften den Prozentsatz der
Verluste, selbst wenn der bisher errechnete Wert von 1 v. H. auch nur annähernd
richtig ist, was recht zweifelhaft scheint, inzwischen ganz nennenswert haben
anwachsen lassen. Daß der Einfluß der Tätigkeit unserer U-Boote trotz der kurzen
Zeit ihres Wirkens allmählich recht fühlbar wird, zeigen die Zahlenausweise der
englischen Admiralität. Betrug in den ersten fünf Kriegsmonaten nach der englischen
Marinestatistik der Schiffsverlust der Handelsflotte 234632 T oder rund 47000 T im
Monat, eine Zahl, die sich mit der vom Lloyd angegebenen von 229179 T deshalb nicht
genau deckt, weil die englische Admiralität nur Schiffe über 300 T, Lloyd dagegen
Schiffe bis hinunter zu 100 T registriert, so stieg die Verlustziffer schon im
Januar dieses Jahres auf über 50000 T im Monat und seit April auf mindestens 60000
T. Unterdessen dürften diese Zahlen noch ganz wesentlich gewachsen sein, hat sich
doch allein seit Beginn der U-Bootsblockade die Zahl der monatlich versenkten
Schiffe bis Monat Juli auf nahezu das Fünffache gesteigert und wächst dauernd
weiter. Bis Ende August wurde der Gesamtverlust der englischen Handelsmarine durch
U-Bootangriffe auf mindestens 500000 T oder 2½ v. H. des Brutto-Raumgehalts der
Handelsflotte geschätzt. Diese Zahlenwerte beruhen, wie zu betonen ist, auf
vorsichtigen Schätzungen. Es werden indessen auch noch ganz wesentlich höhere Zahlen genannt. Aber wenn
sie auch tatsächlich etwas zu niedrig gegriffen sind, so reden sie trotzdem eine
recht deutliche Sprache, um so mehr, wenn man sich vergegenwärtigt, daß nicht allein
die wachsende Zahl der in Dienst tretenden U-Boote, sondern auch die Erweiterung der
Bannwarenliste ein rasches Weitersteigen der Verlustkurve veranlassen müssen.
Tabelle 2.
Verluste der Welthandelsflotte durch Kriegsschiffe oder Minen vom
1. Januar bis 30. Juni 1915 (nach Germ. Lloyd).
Zahlder Schiffe
Brutto-Raumgeh.(B. R. T.)
Belgien
2
2106
Deutschland
17
48496
England
216
396535
Frankreich
18
37117
Italien
2
3822
Oesterreich-Ungarn
1
752
Russland
13
15817
Türkei
1
859
Ein Bild der gesamten Kriegsverluste der englischen Handelsflotte wird man sich an
Hand des vorliegenden Zahlenmaterials schwer machen können. Je mehr die Erfolge der
U-Bootstätigkeit zutage treten, um so mehr macht sich begreiflicherweise auch die
Gefahr einer Verdunkelung der zahlenmäßigen Ergebnisse geltend. Wenn die englische
Fachpresse daher für den Zeitraum vom 4. August 1914 bis zum 21. Juli 1915 den
Verlust Englands, unter Ausschluß von 177 Fischerfahrzeugen mit 22957 T, auf 179
Schiffe mit 593426 T Raumgehalt, von denen 56 durch Kreuzer, 14 durch Minen, 109
durch U-Boote versenkt wurden, beziffert, so bedürfen diese Zahlen fraglos einer
Korrektur. Schon die Tatsache, daß der durchschnittliche Monatsverlust hiernach nur
wenighöher ist als der nach der englischen Marinestatistik für die ersten fünf
Kriegsmonate angegebene Durchschnittsverlust von monatlich 47000 T, weist
überzeugend darauf hin. Einen besseren Anhalt gibt die folgende, nach Angaben des
Germanischen Lloyd aufgestellte Tabelle.
Hiernach ergibt sich für England in der ersten Hälfte dieses Jahres ein Verlust von
annähernd 400000 T. Hierzu kommt ein Verlust in den ersten fünf Kriegsmonaten von ∾
235000 T, so daß für das ganze erste Kriegsjahr, mit Einschluß eines
Durchschnittsverlustes im Monat Juli von mindestens 65000 T, der Gesamtverlust sich
sicher auf 700000 T oder etwa 3½ v. H. der Handelstonnage beziffert. Gegenwärtig
dürfte er schon auf annähernd 4½ bis 5 v. H. zu schätzen sein. Die Verlustziffern
zeigen also bereits eine sehr rasch steigende Tendenz.
Wie sehr die Bautätigkeit durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogen ist, haben die
einleitenden Feststellungen erkennen lassen. Ein Ausgleich der stark anwachsenden
Verluste durch Erhöhung der Neubautätigkeit ist ebensowenig zu erwarten wie eine
nennenswerte Vergrößerung der Handelsflotte durch Schiffsankäufe im Auslande, da die
erhebliche Steigerung der Schiffswerte infolge der hohen Frachtraten hierzu nur eine
recht beschränkte Möglichkeit bietet. So steht also einer dauernden Vergrößerung der
Schiffsverluste eine Verringerung des absoluten Bestandes der Handelsflotte
gegenüber. Beides muß auf die Dauer auch eine Riesenflotte wie die englische fühlbar
schwächen. Berücksichtigt man, welchen Aufschwung die Handelsschiffahrt einiger
neutraler Staaten, vor allem die der skandinavischen Länder unter dem Einfluß des
Krieges genommen hat, einen Aufschwung, der sich einerseits im Ankauf, andererseits
im Bau neuer Schiffe bemerkbar macht, so ist schwer zu glauben, daß es der
englischen Handelsflotte allzu leicht möglich sein wird, den großen Vorsprung, den
sie vor dem Kriege gehabt hat, wieder einzuholen.