Titel: | Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit bei mit Biegung verbundenen Schwingungen? |
Autor: | Gümbel |
Fundstelle: | Band 333, Jahrgang 1918, S. 71 |
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Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit bei mit
Biegung verbundenen Schwingungen?
Von Professor Dr.-Ing. Gümbel, Charlottenburg.
GUEMBEL: Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit usw.
In Heft 15 und 16 Jahrgang 1917 dieser Zeitschrift habe ich gezeigt, daß, wenn
eine in zwei Lagern gestützte in der Mitte – zentrisch oder exzentrisch – durch eine
Scheibe belastete Welle mit gleichförmiger Winkelgeschwindigkeit gedreht wird, die
Schwere bei der Berechnung der Schwingungsbewegung unberücksichtigt bleiben kann, da
sie nur als Kräftepaar, nicht als Einzelkraft an der Scheibe vorkommt, und die
Gleichgewichtsbedingung: Summe aller Kräftepaare = 0 bereits in der Voraussetzung
gleichförmiger Winkelgeschwindigkeit als erfüllt anzusehen ist. Infolge der Schwere
senkt sich einzig der Schwingungsmittelpunkt O um ein
konstantes Maß gegen die Lagerachse. Die Gleichgewichtsbedingungen für die
gleichförmige, stationäre Bewegung, bei welcher S gegen
OW festliegt, lauten, wenn man die Kräfte in
Richtung des Biegungspfeiles und senkrecht dazu zerlegt (Abb. 1) und φ = 90° annimmt:
I) M . ω2 . h – C
. h – M . ω2 . e – cos σ = 0
II) k . ω
. h – M . ω2 . e . sin σ = 0.
ω ist die konstante
Winkelgeschwindigkeit des Biegungspfeiles um O, σ ein
zu ω gehöriger konstanter Winkel.
Die allgemeinen Gleichgewichtsbedingungen für die ungleichförmige Bewegung lauten (S.
253 Heft 16, 1917)
I) M\,.\,\omega^2\,.\,h-M\,.\,\frac{d^2\,h}{d\,t^2}-M\,.\,e\,.\,(\omega-\varepsilon)^2\,.\,\cos\,\sigma+M\,.\,e\,.\,\frac{d\,(\omega-\varepsilon)}{d\,t}\,.\,\sin\,\sigma-C\,.\,h=0 . (1 i)
II) k\,.\,\omega\,.\,h+2\,.\,M\,.\,\omega\,.\,\frac{d\,h}{d\,t}+M\,.\,h\,.\,\frac{d\,\omega}{d\,t}-M\,.\,e\,.\,(\omega-\varepsilon)^2\,.\,\sin\,\sigma-M\,.\,e\,.\,\frac{d\,(\omega-\varepsilon)}{d\,t}\,.\,\cos\,\sigma=0 . . (2 i)
oder wenn man die Kräfte nach zwei aufeinander senkrechten
Achsen X und Y zerlegt,
und den Winkel α von der Y-Achse im Sinne des Uhrzeigers, den Winkel σ von
OW entgegengesetzt dem Sinne des Uhrzeigers
zählt:
M\,\left(\omega^2\,.\,h-\frac{d^2\,h}{d\,t^2}\right)\,.\,\sin\,\alpha-M\,.\,\left(2\,.\,\omega\,.\,\frac{d\,h}{d\,t}+h\,.\,\frac{d\,\omega}{d\,t}\right)\,\cos\,\alpha-M\,.\,e\,.\,(\omega-\varepsilon)^2\,.\,\sin\,(\alpha-\sigma)+M\,.\,e\,.\,\frac{d\,(\omega-\varepsilon)}{d\,t}\,.\,\cos\,(\alpha-\sigma)-C\,.\,h\,.\,\sin\,\alpha-k\,.\,\omega\,.\,h\,\cos\,\alpha=0 . . . . (9)
M\,.\,\left(\omega^2\,.\,h-\frac{d^2\,h}{d\,t^2}\right)\,.\,\cos\,\alpha+M\,.\,\left(2\,\omega\,.\,\frac{d\,h}{d\,t}+h\,.\,\frac{d\,\omega}{d\,t}\right)\,\sin\,\alpha-M\,.\,e\,.\,(\omega-\varepsilon)^2\,.\,\cos\,(\alpha-\sigma)-M\,.\,e\,.\,\frac{d\,(\omega-\varepsilon)}{d\,t}\,.\,\sin\,(\alpha-\sigma)-C\,.\,h\,.\,\cos\,\alpha+k\,.\,\omega\,.\,h\,.\,\sin\,\alpha=0 . . . (10)
\omega=\frac{d\,\alpha}{d\,t} ist dabei die augenblickliche Winkelgeschwindigkeit
des Biegungspfeiles um O, \varepsilon=\frac{d\,\sigma}{d\,t} die
augenblickliche Winkelgeschwindigkeit von WS relativ zu
OW.
Textabbildung Bd. 333, S. 71
Abb. 1.
Der Winkel, um welchen sich die Welle dreht, während der Biegungspfeil einen Winkel
α zurücklegt, beträgt α –
σ, die Winkelgeschwindigkeit der Welle sonach \frac{d\,(\alpha-\sigma)}{d\,t}=\omega-\varepsilon.
Bei gleichmäßiger Drehung der Welle stellt sich der Gleichgewichtszustand so ein, daß
der Schwerpunkt S und der Durchstoßpunkt W sich in fester gegenseitiger Lage mit gleicher
Winkelgeschwindigkeit um den festliegenden gesenkten Schwingungsmittelpunkt O drehen: bei beschleunigter Bewegung können W und S sich in den
mannigfachsten Bahnen bewegen, deren Bestimmung allgemein nicht möglich ist und die
Kenntnis der am System angreifenden äußeren Kräfte und Berücksichtigung der
Gleichgewichtsbedingung: Summe aller Kräftepaare = 0 erfordert.
Wiederholen sich im besonderen die am System angreifenden Kräfte periodisch nach
einer bestimmten Anzahl von Wellenumdrehungen, so werden auch die Bahnen von W und S in gleichen
Zeitabschnitten in gleicher Weise durchlaufen, ohne daß aber im allgemeinen ein
kritischer Zustand einzutreten braucht. Ein solcher ergibt
sich bei denjenigen Drehzahlen der Welle, bei welchen die Periode einer
derjenigen harmonischen Kräfte, in welche man die periodische Kraft nach Fourier
zerlegen kann, mit der Periode der Eigenschwingung des Systems
zusammenfällt. Ist zum Beispiel eine harmonische Kraft am System vorhanden,
deren Periode der nte Teil der Periode einer Wellenumdrehung ist, so wird sich bei 1/n tel der kritischen Drehzahl bereits der normale
kritische Schwingungszustand einstellen.
In dieser Weise hatte ich das Auftreten der von Prof. Stodola in der Schweizer Bauzeitung (Heft 19 Jahrg. 1916, S. 201)
geschilderten Erscheinungen erklärt (Heft 16, S. 257 d. Zeitschr.), während Stodola einen besonderen kritischen Zustand annimmt,
der sich charakteristisch von dem eben geschilderten dadurch unterscheidet, daß
seine Periodenzahl kein ganzzahliger Bruchteil der Periodenzahl der normalen
kritischen Schwingung ist, sondern daß die Winkelgeschwindigkeit je nach
Größe der Exzentrizität und des Trägheitsradius der Scheibe in den Grenzen von 0,5
bis 0,75 ωkr schwankt,
entsprechend der Gl. (9) (diese Zeitschr. Heft 1, S. 1)
{\omega_{\mbox{g}}}^2=\frac{{\omega_{\mbox{kr}}}^2}{4}\,.\,\left[\left(\frac{5}{2}-\frac{e^2}{q^2}\right)+\sqrt{\left(\frac{5}{2}-\frac{e^2}{q^2}\right)^2-4\,\left(1+\frac{e^2}{q^2}\right)}\right].
Die Frage, ob es beider dämpfungsfreien Schwingung, die
Stodola behandelt, kritische Zustände gibt, deren Periodenzahl
ein nicht ganzzahliger Bruchteil der Periodenzahl der Eigenschwingung ist,
scheint mir von grundlegender Bedeutung für die ganze Schwingungslehre zu
sein, und die Frage über die Zulässigkeit der obigen Gleichung (9) besitzt
deshalb ein über das besondere Problem hinausgehendes allgemeines Interesse. In der
oben genannten Arbeit glaubte ich das meines Wissens für die Schwingungslehre völlig
neuartige Ergebnis ablehnen zu dürfen.
Stodola unternimmt es nun auf Grund weiterer Ueberlegungen
(Schweizer Bauzeitung Heft 8 Jahrgang 1917) und experimenteller Untersuchungen
(Schweizer Bauztg. Heft 20 und 21 Jahrg. 1917) in einer zusammenfassenden
Darstellung in dieser Zeitschrift (Heft 1 und 3 Jahrgang 1918) seine früheren
Ableitungen zu stützen, und zwar einmal durch die Anschauung, dann durch eine
mathematische Untersuchung und endlich durch Versuche. Demgegenüber glaube ich zeigen zu
können, daß ich meine in Heft 15 und 16 d. Zeitschr.
1917 gegebene Darstellung des Problems in allen Punkten
aufrecht erhalten kann: zugleich werde ich die Gelegenheit benutzen, einige
weitere Einwände, die Stodola gegen meine Ausführungen
erhoben hat, zu entkräften.
Gehen wir zunächst auf die beschreibende Darstellung des
Vorganges ein, wie sie Stodola auf S. 1, Heft 1 dieser
Zeitschr. gibt.
Danach betrachtet Stodola das dämpfungsfrei schwingende
System in der Weise, daß er sich mit der Winkelgeschwindigkeit der Scheibe – also
mit ω – ε im Raume dreht. Die Schwerkraft scheint von
diesem Beobachtungspunkt aus bald im Sinne von ω – ε,
bald entgegengesetzt drehend auf die Scheibe im Takt von ω –
ε einzuwirken. Da die relative Winkelgeschwindigkeit ε der Scheibe gegenüber dem Biegungspfeil durch die
Schwere erzeugt wird, folgert Stodola, daß wenn der Takt
des Anstoßes ω – ε mit dem Takt der relativen
Scheibendrehung ε zusammenfällt, also
ω – ε = ε
oder \frac{\omega}{2}=\varepsilon=\omega-\varepsilon
bei einer Winkelgeschwindigkeit gleich der halben kritischen
Winkelgeschwindigkeit, also bei \omega-\varepsilon=\frac{\omega_{\mbox{kr}}}{2} ein kritischer Zustand zu erwarten
ist.
Diese Beschreibung führt einzig auf
\omega_{\mbox{g}}=\frac{\omega_{\mbox{kr}}}{2},
und paßt nicht mehr, wenn statt 0,5 ωkr ein anderer zwischen 0,5 und 0,75 .
ωkr liegender Wert
– den doch die Stodolasche Theorie ergibt – eingesetzt wird. Als Stützung für das
Stodolasche Kriterium einer neuen kritischen
Winkelgeschwindigkeit kann dieselbe deshalb meines Erachtens nicht angesehen
werden.
Wenn es außerhalb der kritischen Schwingung noch weitere kritische Zustände geben
soll, so muß ihr Auftreten sich aus unseren allgemeinen Gleichgewichtsbedingungen (9
und 10 Heft 16) ersehen lassen, indem ja in jedem Augenblick die Summe aller Kräfte
am Schwerpunkt gleich Null sein muß. Schwingungen, welche nur aus der Bedingung:
Summe aller Kräftepaare = 0 sich ergeben konnten, sind an dem vorgelegten System
nicht möglich, da ein Kräftepaar Schwingungen nur erzeugen kann, wenn ihm ein
elastisches Kräftepaar entgegenwirkt. Da unser System als gegen Verdrehungen starr
zu gelten hat, und einzig die elastische Einzelkraft der Wellenbiegung in der
Biegungsebene wirkend vorkommt, müssen die Gleichgewichtsbedingungen: Summe aller
Kräfte = 0 Aufschluß darüber geben können, unter welchen Umständen kritische
Zustände zu erwarten sind.
Um also eine Erklärung für Schwingungen zu finden, welche außerhalb der normalen
kritischen Winkelgeschwindigkeit auftreten, müssen wir auf unsere allgemeinen
Gleichgewichtsbedingungen, die wir oben wiederholt haben (Gl. (9) und (10) Heft 16
Jahrg. 1917) zurückgreifen. Der Hinzutritt der scheinbaren Kräfte der
Relativbewegung macht das Problem allerdings verwickelt, man kann aber einen
genügenden Einblick gewinnen, wenn man, – ohne zunächst nach der Ursache zu fragen
–, ω – ε als periodische Funktion des relativen
Drehwinkels der Scheibe α – σ ausdrückt. Es schreibt
sich dann:
ω – ε = ω0– ε0 + (ω1
– ε1) . cos (α – σ + ψ1)
+ (ω2
– ε2) . cos (2 (α – σ) + ψ2) + . . .
Für den Zweck unserer Betrachtung genügt es, nur die beiden ersten Glieder der Reihe
zu berücksichtigen. Dann finden wir:
\frac{d\,(\omega-\varepsilon)}{d\,t}=-(\omega_1-\varepsilon_1)\,.\,(\omega-\varepsilon)\,.\,\sin\,(\alpha-\sigma+\psi_1).
Setzen wir diesen Ausdruck in Gl. (9) bzw. (10) ein, so
erhalten wir die Kräfte
– M . e . (ω1
+ ε1) . (ω – ε) . sin (α – σ + ψ1) . cos (α – σ)
bzw.
M . e .
(ω1
+ ε1) . (ω – ε) . sin (α – σ + ψ1) . sin (α – σ),
die wir leicht als harmonische Funktion des doppelten Winkels
2 (α – σ) umformen können. Wir
erhalten also erregende Kräfte von der doppelten Frequenz der Wellenumdrehung
und damit die von uns vorausgesagte Ursache der Schwingung bei der halben
Winkelgeschwindigkeit der kritischen Schwingung.
In wie weit die Schwere Ursache der veränderlichen Winkelgeschwindigkeit ist, erkennt
man aus der dritten Gleichgewichtsbedingung: Summe aller Kräftepaare = 0:
J\,.\,\frac{d^2\,(\alpha-\sigma)}{d\,t^2}+G\,.\,e\,.\,\sin\,(\alpha-\sigma)+C\,.\,h\,.\,e\,.\,\sin\,\sigma=0.
Wenn \alpha-\sigma=\sigma=\frac{\alpha}{2} folgt
\frac{d\,(\omega-\varepsilon)}{d\,t}=-\frac{e\,.\,(G+C\,.\,h)}{J}\,.\,\sin\,(\alpha-\sigma)
und wenn wir dieses wieder in Gl. (9) und (10) substituieren,
erhalten wir die Kräfte
\frac{M\,.\,e^2}{J}\,.\,(G+C\,.\,h)\,.\,\sin\,(\alpha-\sigma)\,.\,\cos\,(\alpha-\sigma)
und
-\frac{M\,.\,e^2}{J}\,.\,(G+C\,.\,h)\,.\,\sin^2\,(\alpha-\sigma),
die wir zu Kräften der doppelten Periode zusammenfassen
können.
In diesem Zusammenhang tritt die Wirkung der Schwere in die richtige Beleuchtung: das
veränderliche Kräftepaar der Schwere bedingt nach der Gleichgewichtsbedingung –
Summe aller Kräftepaare gleich Null – Geschwindigkeitsänderungen der einfachen
Periode: erst die mit der doppelten Periode schwankenden Trägheitskräfte der
veränderlichen Winkelgeschwindigkeit sind die Schwingungen erregenden Kräfte.
Das Ergebnis führt unabhängig von e und J zu dem einzigen kritischen
Zustand\omega_{\mbox{g}}=\frac{\omega_{\mbox{kr}}}{2}.e und J haben nur insofern einen
Einfluß, als die Größe der Kräfte und damit der Schwingungsausschlag durch sie
bedingt werden.
Die Stodolasche mathematische Betrachtung schreibt die
Gleichungen: Summe aller Kräfte = Null nicht vollständig an, indem sie die
scheinbaren Kräfte der Relativbewegung gegenüber dem mit gleichförmiger
Winkelgeschwindigkeit rotierenden Koordinatensystem teilweise unterdrückt. Dies
Verfahren mag so lange zulässig sein, als die Verschiebung und Drehung von W bzw. WG vernachlässigbar
gering sind. Für den Fall eines kritischen Zustandes trifft dies aber sicher nicht
zu und es erscheint darum nicht angängig, daß Stodola
zwar in Gl. (3) (S. 2 Heft 1 Jahrg. 1918) die Gleichgewichtsbedingung der
beschleunigten Bewegung der Scheibe um ihren Schwerpunkt anschreibt, aber in Gl. (1)
und (2) die aus der ungleichförmigen Winkelgeschwindigkeit sich ergebenden Kräfte
außer Ansatz läßt, ein Punkt, auf den ich bereits auf S. 253 Heft 16 Jahrg. 1917
hingewiesen hatte.
Bleibt zur Stützung noch der Versuch. Die von Stodola in Abb. 3 S. 229 Schw. Bauztg. 20 wiedergegebenen
Bahnen stellen zum Teil eine schöne Uebereinanderlagerung zweier umlaufenden
Schwingungen dar, einer erzwungenen von der einfachen und einer freien von der
doppelten Wellenwinkelgeschwindigkeit. Die Schwingungen der doppelten Periodenzahl
dürften, wie Stodola auch zugibt, durch den schrägen
Kreuzgelenkantrieb verursacht worden sein, kommen also für die Beweisführung nicht
in Frage. Die „Bewahrheitung des mathematischen Beweises durch den Versuch“
glaubt Stodola in den Schwingungsbildern auf S. 231 Schw.
Bauztg. 20 sehen zu dürfen. Ich muß gestehen, daß ich mich vergeblich bemüht habe,
dieses Ergebnis z.B. aus Abb. 10 herauszulesen. Sicherlich, wird in Wellen, deren
Drehgeschwindigkeit durch Steigerung der Ueberwuchten und Exzentrizitäten bis zur
stoßweisen Bewegung ungleichförmig war, eine harmonische Kraft von der doppelten
Frequenz der Wellenumdrehung und damit ein kritischer Zustand bei der halben
kritischen Winkelgeschwindigkeit sich finden: das ist alles was die Versuche Stodolas bestätigen; einen Beweis
für die den behaupteten Zustand kennzeichnenden Gleichungen (10) und (11) (Heft 1 Jahrg. 1918) vermag ich aber in den Versuchen nicht zu erblicken.
Ich werde im Folgenden noch kurz auf die weiteren Bemerkungen Stodolas zu meiner Arbeit eingehen.
Sowohl in den einleitenden Bemerkungen, wie in der Zusammenfassung unterstellt mir
Stodola, daß ich durch irrtümliche Auffassung der
Pendelschwingung zur Ablehnung der neuen kritischen Schwingung gekommen sei. Die Pendelschwingung hat natürlich mit der elastischen
Biegungsschwingung nichts zu tun und ist von mir auch in keinerlei Zusammenhang
mit derselben gebracht worden. Auch habe ich nicht etwa, wie dies Stodola anzunehmen scheint, die relative
Winkelgeschwindigkeit von WS gegen OW als Folge einer Pendelwirkung aufgefaßt. Bei der
Pendelschwingung handelt es sich auch nicht, wie Stodola
meint, um ein Gleichnis, sondern um Wirklichkeit, wovon sich Stodola an den ihm zur
Verfügung stehenden ausgezeichneten Versuchseinrichtungen unschwer hätte überzeugen
können.
Wird die Welle durch das Gewicht der Scheibe durchgebogen, so entsteht ein Pendel mit
der Lagerachse als Schwingungsachse. Die Eigenschwingungszahl des Pendels läßt sich
leicht berechnen: dieselbe ist unabhängig davon, ob die Welle sich dreht. Ordnet man
den Versuch so an, daß die Welle durch eine Kreuzgelenkkupplung so angetrieben wird,
daß das angetriebene Wellenende sich nicht nur dreht, sondern auch noch in einem
Kreis in einer Ebene senkrecht zur Lagerachse geführt wird, so erhält das Pendel
periodische Anstöße senkrecht zur Biegungsebene, die zu heftigen Pendelausschlägen
führen, sobald die Drehzahl der Welle mit der Eigenschwingungszahl des Pendels
übereinstimmt. Diese Pendelschwingungen können bereits bei kleinem Anstoß sehr
heftig werden, doch liegen die Eigenschwingungszahlen im allgemeinen so niedrig, daß
sie ohne Bedeutung bleiben. An einem kleinen Modell mit sehr stark durchgebogener
Welle, wie sie in praxi nie vorkommt, beobachtete ich zum Beispiel die kritische
Drehzahl zu über 400, die Pendeleigenschwingungszahl zu 40 in der Minute.
Ich komme nunmehr zu der wichtigeren Frage der Stabilität der
Biegungsschwingungen. Meine diesbezüglichen kurzen Bemerkungen tut Stodola als „grundsätzlich fehlerhaft“ ab. Nun muß
man hier, um zusammenzukommen, die Frage genau formulieren, die man beantworten
will. Die Frage Stodolas lautet:
Bei welcher Schwingungszahl kann eine von außen eingeleitete
dämpfungsfreie Schwingung ungeändert weiter bestehen bleiben?
Meine Frage lautet:
Wenn ein Massensystem durch Arbeitszufuhr oder Arbeitsabfuhr in
steigende oder fallende Drehungen versetzt wird, welches sind die
aufeinanderfolgenden Gleichgewichtszustände?
Meine Frage ist die allgemeinere: sie enthält die
Stodolasche Frage in sich und schließt auch gedämpfte
Schwingungen ein.
Die Bedingung für einen Gleichgewichtszustand ist gegeben durch Gl. (4) (S. 237 Heft
15 Jahrg. 1917)
h=\frac{P}{\sqrt{(M\,\omega^2-C)^2+(k\,\omega)^2}}=\frac{M\,.\,\omega^2\,.\,e}{\sqrt{(M\,\omega^2-C)^2+(k\,\omega)^2}}
oder wenn wir zunächst der Einfachheit halber die ungedämpfte
Schwingung betrachten, durch
h=\frac{M\,.\,\omega^2\,.\,e}{M\,.\,\omega^2-C}=\frac{\omega^2\,.\,e}{\omega^2-{\omega^2}_{\mbox{kr}}}.
Zwei aufeinanderfolgende um Δω
verschiedene Gleichgewichtszustände unterscheiden sich durch die Differenz der
Arbeitswerte, welche den beiden Gleichgewichtszuständen entsprechen. Der Arbeitswert
eines beliebigen Gleichgewichtszustandes beträgt bei der dämpfungsfreien
Schwingung
\frac{M\,.\,\omega^2\,.\,(h-e)^2}{2}+\frac{C\,.\,h^2}{2}+\frac{J\,.\,\omega^2}{2}.
Wenn bei einer Steigerung der Drehzahl von ω auf ω + Δω der
Arbeitsinhalt zunimmt, so ist, da nach der Voraussetzung Arbeit von außen nicht
zugeführt wird, ein selbsttätiger Uebergang zu der höheren Drehzahl ausgeschlossen.
Wenn bei einem Rückgang der Drehzahl von ω auf ω – Δω der Arbeitswert abnimmt, so ist ebenso ein
selbsttätiger Rückgang der Drehzahl – wenn nicht nach außen künstlich Arbeit
zugeführt wird, – unmöglich. Das Gebiet unterhalb der
kritischen Winkelgeschwindigkeit
(oa)
ist hiernach stabil (Abb.
2).
Fällt der Arbeitsinhalt bei einer Steigerung von ω auf
ω + Δω, so ist dementsprechend ein Uebergang zu dem
benachbarten Gleichgewichtszustand nur möglich, wenn dabei künstlich Arbeit
abgeführt wird. Ist dies nicht der Fall, so beschleunigt die freiwerdende Arbeit (ab) das Massensystem und zwar, wenn man von dem im
allgemeinen wohl verhältnismäßig kleinen Arbeitsverbrauch und Arbeitszuwachs während
des Ueberganges von einem Zustand in den anderen absieht, so lange, bis der Zustand
wieder erreicht wird, welcher gleichen Arbeitsinhalt besitzt.Von dieser Vernachlässigung des
Bahnwiderstandes ist Seite 254 Heft 16 Jahrg. 1917 die Rede.
Man erhält also einen unmittelbaren Einblick in die Stabilitätsverhältnisse, indem
man die Arbeitswerte
\frac{M\,.\,\omega^2\,(h-e)^2}{2}+\frac{C\,.\,h^2}{2}+\frac{J\,.\,\omega^2}{2}
oder wenn man eine gedämpfte Schwingung betrachtet, die
Arbeitswerte
\frac{M\,.\,\omega^2\,.\,\varrho^2}{2}+\frac{C\,h^2}{2}+\frac{J\,.\,\omega^2}{2}
über ω aufträgt, h und p sind dabei für
jeden Gleichgewichtszustand unmittelbar aus den Gleichungen (S. 237 Heft 15 Jahrg.
1917).
h=\frac{M\,.\,\omega^2\,.\,e}{\sqrt{M^2\,.\,(\omega^2-{\omega_0}^2)^2+(k\,\omega)^2}}
\varrho^2=h^2+e^2-2\,.\,e\,h\,.\,\cos\,\sigma=e^2-h^2+\frac{2\,.\,h^2\,.\,{\omega_0}^2}{\omega^2}
zu berechnen.
Daß die tatsächlichen Verhältnisse mit den beschriebenen sich decken, dafür habe ich
bereits den Sommerfeldschen Versuch angeführt. Um mit
numerischen Angaben dienen zu können, habe ich den Versuch sowohl an einem Brett
(ebene Schwingung) wie an einer Welle (umlaufende Schwingung) wiederholt und in beiden Fällen die Ergebnisse Sommerfelds bestätigt
gefunden: starke Leistungsaufnahme bis zum Maximum des Arbeitsinhalts, dann
augenblickliches Ueberschlagen zu einer höheren Schwingungszahl bei
gleichbleibender Leistungsaufnahme des Antriebsmotors.
Textabbildung Bd. 333, S. 74
Abb. 2.
Ein Beispiel, welches an einem schwingenden Brett gemessen ist, möge dies zeigen:
n/Min.
hmm
JAmp.
EVolt
E-JWatt
242,5
1,2
0,058
26,2
1,52
452,5
4,2
0,061
43,3
2,62
487,5
9,2
0,071
46,7
3,32
495,0
11,2
0,082
47,9
3,92
500,0
14,8
0,113
50,7
5,71
502,5
16,8
0,126
51,8
6,53
505,0
18,8
0,139
53,0
7,36
505,0
20,0
0,160
54,6
8,74
507,5
24,0
0,189
57,0
10,78
507,5
26,0
0,210
58,9
12,38
510,0
29,0
0,247
61,9
15,30
515,0
32,0
0,278
65,0
18,00
1450,0
3,0
0,137
128,2
17,50
1675,0
2,7
0,193
155,0
29,80
Das Ueberschlagen von 515 auf 1450 Schwingungen erfolgte fast momentan entsprechend
der nur kurzen Zeit, welche die Beschleunigung der kleinen exzentrischen Masse durch
die frei gewordene bedeutende Biegungsenergie benötigte.
Der einzige Zustand, der oberhalb der kritischen Geschwindigkeit auf dem Wege
ab in dem Stodolaschen
Sinne stabil ist, bei welchem also auch das Lüften der Bremse bei der Stodolaschen Versuchsanordnung keine Aenderung der
Drehgeschwindigkeit bringt, ist derjenige, welcher dem Minimum an Arbeitsinhalt
entspricht (b).
Berechnet man diesen Zustand für die dämpfungsfreie Schwingung, so kommt man durch
Differentiation der Gleichung des Arbeitsinhaltes zu dem Kriterium
\frac{1}{\vartheta}=\frac{e^2}{q^2}=\frac{(\alpha^2-1)^3}{3\,.\,\alpha^2+1},\mbox{ wobei }\alpha=\frac{\omega}{\omega_0}.
Betrachtet man mit Stodola nur
Zustände in unmittelbarer Nähe des kritischen Zustandes (α ? 1), so geht dieser Ausdruck in das Stodolasche Kriterium
\frac{e^2}{q^2}=\frac{(\alpha^2-1)^3}{4}
über.
Zu dem allgemeineren Kriterium
\frac{1}{\vartheta}=\frac{(\alpha^2-1)^3}{3\,.\,\alpha^2+1},
ist auf anderem Wege übrigens auch O. Föppl gelangt.Zeitschrift für das
gesamte Turbinenwesen Heft 7 (1916) S. 78, O. Föppl, Schnellumlaufende Motoren und kritische
Geschwindigkeit.
Stodola bestreitet in seiner Entgegnung ausdrücklich, daß
sein Kriterium etwa mit dem Minimum des Arbeitsinhaltes zusammenfalle: mit welchem
Recht, ist mir unklar geblieben.
Unsere Betrachtungen werden um nichts schwieriger, wenn man gedämpfte Schwingungen
betrachtet. Das Minimum des Arbeitsinhaltes findet sich dabei:
\frac{1}{\vartheta}=\frac{e^2}{q^2}=
\frac{[(\alpha^2-1)^2+\alpha^2\,.\,\beta^2]^2}{\alpha^4\,.\,[(\alpha^2-1)^2+\alpha^2\,.\,\beta^2]-[(\alpha^2-1)^2+\alpha^2\,.\,\beta^2]^2-\alpha^2\,(\alpha^2-3)\,.\,(2\,.\,(\alpha^2-1)+\alpha^2\,.\,\beta^2)}
\mbox{wo }\beta=\frac{k}{M\,.\,\omega_{\mbox{kr}}}.
Was endlich die Untersuchung Stodolas über die Welle mit
gleichmäßig verteilten Scheiben anlangt, so gilt das oben, über die
Ausgangsgleichungen Gesagte auch hier: dementsprechend vermag ich mich den Stodolaschen Schlußfolgerungen nicht anzuschließen. Im allgemeinen dürfte die Behandlung der Welle mit mehreren
Scheiben in der von mir skizzierten Art (S. 256 Heft 16 Jahrg. 1917) genügen.
Zusammenfassung.
Meine Darlegungen in D. p. J. Heft 15 u. 16 (1917) werden in allen Punkten
aufrechterhalten.
Zu 1. Das Bestehen eines kritischen Gebietes bei der halben kritischen Drehzahl
erklärt sich aus den infolge der Ungleichförmigkeit der Winkelgeschwindigkeit
auftretenden Trägheitskräften; das Kriterium der neuen kritischen
Winkelgeschwindigkeit, welches von Stodola theoretisch
gewonnen ist und die Frequenz in Abhängigkeit von der Exzentrizität und dem
Trägheitshalbmesser gibt, geht von einem unvollständigen Ansatz aus.
Zu 2. Gleiches gilt für eine Welle mit mehreren Massen.
Zu 3. Die Pendelschwingung einer gebogenen Welle ist durch Versuch und Rechnung
unabhängig von der Drehung der Welle nachweisbar. Mit elastischen
Biegungsschwingungen hat dieselbe gar nichts zu tun.
Zu 4. Die Stodolasche Stabilitätsuntersuchung führt nur zu
einem speziellen Fall: Ergebnisse dieser Untersuchung dürfen deshalb nicht auf ein
größeres Gebiet übertragen werden, als ihnen nach den Voraussetzungen zukommt. Die
allgemeine Stabilitätsuntersuchung muß von der von mir aufgestellten Bedingung
ausgehen, die die Stodolasche Bedingung einschließt.