Titel: | Bücherschau. |
Autor: | Rümelin |
Fundstelle: | Band 335, Jahrgang 1920, S. 284 |
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Bücherschau.
Bücherschau.
Wasserspeicherung und ihre
Bedeutung für die Wasserkräfte Württembergs. Von Burkhard Industriebücherei, Band 3, 1920. 138 Seiten mit 29 Abbildungen.
Stuttgart 1920. Eugen Wahl. Preis brosch. mit Buchhändlerzuschlägen M 18,–.
Die Industriebücherei Wahl erstrebt, wie auf dem Titelblatt steht, Aufklärungsarbeit
im besten Sinne des Wortes. Sie will allen Kreisen von Industrie, Handel, Technik,
Wissenschaft und Verkehr das brauchbarste Taschenmaterial zur Neugestaltung und zur
Erweiterung des gesamten Wirtschaftslebens in die Hand drücken.
Aus amtlichem Material, insbesondere den württembergischen Jahrbüchern und
Verwaltungsberichten, sowie aus den Belastungskurven einer Reihe von
württembergischen Elektrizitätswerken ist nun im ersten Teil der Burkhardschen Schrift eine Fülle von interessantem
Material zusammengetragen. Mit Ausnahme von Donau, Hier, Argen und Brenz erhält
Württemberg nur Flüsse der sogenannten grünen KohleVgl. Rümelin, Wasserkraftanlagen, I. Bd., S. 47
und H. Bresson, la houille verte, Paris
1920..
Nach der Zusammenstellung auf S. 84/85 an den 21 württembergischen Flüssen, die
zusammen eine Länge von 1703 km haben, sind 1065 Wasserkraftwerke mit rund 59000 PS
im Betriebe. Die Zahl der verfügbaren Wasserkräfte betrug 439 mit rund 60000 PS
Nutzleistung. Aus diesen Zahlen erhellt, daß Württemberg fast nur mittlere und
kleine Wasserkräfte der grünen Kohle zur Verfügung hat. Von den Sperrenwerken an dem
zu kanalisierenden Neckar nimmt die Schrift Burkhards
auffallenderweise keine Notiz. Der Verfasser legt sich in seiner Schrift die Frage
vor, wie man die spärlichen Wasserkräfte Württembergs in erhöhtem Maße zur
Kraftleistung heranziehen kann und findet als Ergebnis, daß man eine hydraulische
Speicherung möglichst überall durchführen müsse, wofür er die Pumpspeicherung
vorschlägt. Der Verfasser nennt dies künstliche hydraulische Akkumulierung, eine
unschöne Bezeichnung, die allerdings auch sonst ab und zu sich vorfindet. Seine
Unterscheidung zwischen künstlicher und natürlicher Akkumulierung ist aber auch dem
Wortsinne nach unrichtig, denn die Speicherung z.B. durch Abfließenlassen des
Ueberschußwassers in einen See ist genau so mit künstlichen Hilfsmitteln
herbeizuführen wie die Pumpspeicherung. Man rede also zweckmäßig von Speicherung und
Pumpspeicherung und nicht von natürlicher und künstlicher Akkumulierung.
Für den Niederschlag ist eine ausgedehnte, interessante Tabelle auf S. 18 gegeben,
aus welcher hervorgeht, daß auch bei dem Lande der grünen Kohle Württemberg der
meiste Niederschlag im Sommer fällt, nämlich 28,2 bis 36 v. H. gegen nur 13,3 bis
23,9 v. H. im Winter. Die Abflußfiguren 3 bis 17 dagegen zeigen das Gegenteil, den
niedersten Wasserstand im August und September und den höchsten im Spätwinter. Die
Erklärung dafür ist etwas dürftig ausgefallen. Es mangelt an einer
Verdunstungstabelle.
Auch sonst zeigt das Buch mancherlei Irrtümer, die bei dem vielversprechenden
Programm der Industriebücherei nicht vorkommen dürften. Da steht z.B. auf S. 77 über
die Francis-Turbine, daß „deren Bauart heute als Schnelläufer für kleine Gefälle
oder als Langsamläufer für große Gefälle und niedere Drehzahl die zur Ausnutzung
der verschiedensten Gefällsstufen (1 bis 130 m) und Leistungen (bis 20000 PS)
bei unmittelbarem Antrieb der Arbeitsmaschine anwenden“ lasse. In diesem
Satz stecken mindestens drei Unrichtigkeiten. Nicht die Langsamläufer haben niedere
Drehzahl, sondern die Schnelläufer. Nur wenn der Verfasser die spezifische Drehzahl
meint, hat er recht. Bei Gefällsstufen von 1 m kann die Francis-Turbine unter keinen
Umständen unmittelbaren Antrieb zum Generator oder zur Arbeitsmaschine erhalten.
Nicht bis 20000, sondern bis 52500 PS steigen die Leistungen ausgeführter
Francis-Turbinen.
Unter dem Abschnitt „Die Größe der Wasserkräfte Württembergs“ ist angegeben,
daß die wirtschaftliche Ausbaugrenze der Wasserkräfte Württembergs bei 120000 bis
550000 PS Nutzleistung liege. Bei Baden ist die Zahl von 507000, bei Bayern 600000
PS genannt. Es muß zum mindesten als Stilfehler bezeichnet werden, wenn man bei
Gegenüberstellungen die Farben am eigenen Haus dick aufträgt, während man sich bei
dem Konkurrenten mit einer Lasur begnügt. Wenn man bei Vergleichen Zahlen gibt, so
müssen sie auf gleicher Basis stehen. Daran ändern dann Worte, welche die gegebenen
Zahlen wieder etwas einschränken, nichts. Die Zahlen stehen da und fallen für den
Beschauer auf wie Bauwerke aus einer Landschaft. In dem Blumen- und Blätterwalde des
Textes sind auch unechte Worte rasch und leicht hineingestreut, und scheinen doch
organisch gewachsen. Zahlen aber haben den Eindruck des Gewollten, der Konstruktion.
Ehe der Schriftsteller solch eine unerbittliche Zahl setzt, muß er sie sich
siebenmal überlegen.
Wie wenig der Verfasser die Entwicklung der Praxis beim neuzeitlichen
Wasserkraftkanalbau verfolgt hat, beweisen Sätze wie: „Die Praxis rechnet in der
Regel für die Fortbewegung des Wassers in Erdkanälen mit einem Mindestgefälle
von 0,4 m auf 1000 m Länge. Flüsse mit einem Gefälle von 0,4 v. T. und darunter
können demnach, sofern nicht etwa durch Abkürzung großer Flußschleifen ein
erheblicher Gefällsgewinn erzielt wird, nicht mehr durch Kraftgewinnung
herangezogen werden. Doch auch schon bei Flüssen mit Gefällen von 1 v. T., die
nur eine Ausbeute von 60 v. H. ergeben, ist nach den seitherigen Anschauungen
die Bauwürdigkeit solcher Strecken wirtschaftlich nicht mehr vertretbar.“ Wo
käme unsere Industrie und Technik hin, wenn sie im Werkkanalbau Burkhard vertrauen wollte, daß er ihr „das
brauchbarste Tatsachenmaterial des gesamten Wirtschaftslebens“ in die Hand
gäbe?
Burkhard behauptet ferner, daß die Mittelgebirgsflüsse
Württembergs ohne außerordentliche Maßnahmen weitgehendst imstande sind, dem
Verbrauch sich anzupassen, dagegen bei den Flüssen alpiner Regionen z.B. der Schweiz
(der Verfasser meint die Flüsse der weißen Kohle) der Verbrauch und das Kraftangebot
der unregulierten Wasserkraft sich vollständig gegenläufig gegenüberstehen. Beide
Sätze sind irreleitend, freilich stehen sie unter der Ueberschrift „Jährliche
Verbrauchs-Schwankungen“. Aber so wie ihr Wortlaut nun einmal ist, verleiten
sie den unbefangenen und besonders den ungeübten Leser zu falschen Vorstellungen.
Erstens geht aus den Figuren 3 bis 17 hervor, daß der Abfluß sein Maximum nicht im
Dezember und Januar, sondern etwa im März hat, während die Stadt. Licht- und
Kraftwerke Stuttgart (siehe S. 108, Abb. 26) das Maximum des Verbrauches im Dezember
und Januar angeben: das Minimum an Strom dagegen beanspruchen die an dieses
Elektrizitätswerk angeschlossenen Verbraucher im April und Juni, während die
Mittellandflüsse Württembergs das Minimum ihrer Energiedarbietung im August und
September aufweisen. Also so ganz stimmt das auch nicht mit der Gleich- und
Gegenläufigkeit von der Energiedarbietung der Flüsse und vom Energieverlangen der
Verbraucher.
Die Hauptsache aber kommt noch. Der Hauptklagepunkt bei den Wasserkräften ist nicht
ihre jährliche Schwankung, sondern die Tatsache, daß sie den Tag über nicht
gleichlaufen mit den Schwankungen des Energieverlangens der Konsumenten. Die
Wasserkraft ist den Tag über immer nahezu konstant, während der Verbraucher in
seinem Energieverlangen kolossale Spitzen in der täglichen Kraftkurve aufweist. Kein
natürlicher Fluß, weder einer der grünen Kohle wie Neckar und Main, noch einer der
weißen Kohle wie Aare oder Isar, kann sich ohne besondere Maßnahmen den
Verbrauchsspitzen anpassen, dazu braucht man einen Speicherweiher und Gegenweiher
(Ausgleichsweiher) oder eine Dampfreserve, oder, für kleinere Verhältnisse, die von
Lüchinger, Rehbock, D. Thoma und Anderen vertretene Pumpspeicherung. Es ist zu sagen, daß in den
weniger bewohnten Gebieten der Alpenflüsse, insbesondere der Alpenvorlandsflüsse
Bayerns, leichter sich Spitzenweiher anlegen lassen, als in den dicht besiedelten
Tälern der Mittelgebirge. Angesichts dieses fundamentalen Uebelstandes der grünen
Kohle verschwindet völlig der kleine Nachteil der weißen Kohle, daß hier im
Winterhalbjahr mit seinen langen Nächten Niederwasser herrscht, im Sommer dagegen
Wasserüberfluß.
Auffallend ist, daß in dem ganzen Buche nichts steht von der Kraftwasserstraße
Rhein-Neckar, obwohl gerade hier über das Wasserspeicherbecken bei Plochingen und
die daran anschließenden Tandem- oder Kettenwerke auf dem kanalisierten Neckar sehr
viel über die hydraulische Kraft Wirtschaft sich hätte sagen lassen. Die Böhmlerschen Pläne sind zu bekannt, als daß Burkhard sie einfach mit Stillschweigen übergehen konnte;
wenn er nicht gleicher Meinung ist, so hätte er sie wenigstens kritisieren
müssen.
Wenn noch auf einige mehr äußerliche Kleinigkeiten hingewiesen werden darf, so steht
z.B. auf S. 92 in einer Anmerkung: „s. Abbildung S. 18“, aber auf S. 18 ist
keine Abbildung zu finden; oder es finden sich Druckfehler wie: Drücker statt Düker;
1/10 von 1/78 ist nicht 1/720 Kilowatt und
Kilowattstunde sind verwechselt und die in der deutschen, österreichischen und
schweizerischen Wasserkraft-Literatur eingeführte Bezeichnung schreibt hier ein
kleines k vor und nicht ein großes; ein alphabetisches
Register fehlt; das Literaturverzeichnis ist unvollständig; in der Wahl seiner
Gewährsmänner ist der Verfasser nicht immer glücklich verfahren.
So möge zum Schluß der Wunsch ausgedrückt werden, daß der Verfasser vor einer
Neuauflage sich in der Praxis noch etwas umschauen möge, wenn er dem Programm der
Wahlschen Industriebücherei in der neuen Auflage
gerecht werden will. Dazu wird auch gehören, daß wie in der Praxis längst
eingeführt, die Tabellen und Diagramme über den Abfluß nicht in Wasserständen,
sondern in m3/sec angegeben werden.
Rümelin.